Ausbaufähig: Schutz vor Wetterextremen

Am 14. und 15. Juli 2021 hatten starke Regenfälle vor allem im südlichen Nordrhein-Westfalen und nördlichen Rheinland-Pfalz verheerende Überschwemmungen verursacht, die ganze Landstriche verwüsteten. Mehr als 180 Menschen starben. Die Flut zerstörte tausende Gebäude sowie eine Vielzahl an Straßen, Brücken und weiteren Infrastrukturen. Für die Versicherungswirtschaft war das von Sturmtief „Bernd“ ausgelöste Hochwasser mit 206 000 Schäden und einem Gesamtschaden von 8,75 Milliarden Euro die bislang folgenschwerste Naturkatastrophe in Deutschland. „Mit rund 7,5 Milliarden Euro sind inzwischen gut 90 Prozent der Schadensumme ausgezahlt“, so Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Für die noch nicht ausgezahlte Schadensumme hätten die Versicherer Rückstellungen gebildet. Trotzdem fehlen nach wie vor Konzepte zur Anpassung an die Klimafolgen. Das Ahrtal ist wie viele andere Orte in Deutschland immer noch nicht gegen Wetterextreme geschützt.

„Wir sehen hier, dass viel gebaut und saniert wurde. Aber wie viele andere Orte in Deutschland ist das Tal heute immer noch wenig geschützt. In vielen Regionen in Deutschland liegen Extremwetter-Katastrophen auf Wiedervorlage“, sagt Anja-Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV in Bad Neuenahr. Anlässlich der anstehenden Entscheidung über eine Pflichtversicherung für Elementarschäden bestärken die Versicherer daher ihre Forderung nach Klimafolgenanpassung und Hochwasserschutz. Eine alleinige Elementarschaden-Pflichtversicherung reicht aus Sicht der Versicherer nicht aus: „Naturkatastrophen verschonen Häuser doch nicht, nur weil sie versichert sind. Es kommt darauf an, die Menschen und ihren Lebensraum vor Wetterextremen zu schützen“, macht Anja Käfer-Rohrbach deutlich.

Bestandsaufnahme im Ahrtal durch Professor Jörn Birkmann. Foto: Burggraf

Viele Menschen spüren die Folgen immer unmittelbarer: Schlammlawinen bedecken Bahnstrecken, Straßen werden unbefahrbar, Keller überflutet, Menschen verlieren ihr Zuhause. Seit Jahresbeginn waren beispielsweise Norddeutschland, das Saarland und dann Bayern und Baden-Württemberg von Starkregen und Hochwasser betroffen. Daher nimmt die Angst in weiten Teilen der Bevölkerung vor den Folgen von extremen Wetterereignissen zu. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Bundesingenieurkammer. Ihr zufolge befürchten zwei Drittel eine Zunahme von Extremwetterereignissen. Mehr als 90 Prozent der Befragten meinen, dass der Staat mehr in die Klimaanpassung von Infrastrukturen wie Straßen, Schienen, Brücken und Dämmen investieren muss. Mit dem Klimaanpassungsgesetz sind Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, einen verbindlichen Rahmen zu schaffen, wie Infrastrukturen besser gegen die Folgen klimatischer Veränderungen abgesichert werden können. Die Bundesregierung muss nun bis September 2025 eine „vorsorgende Klimaanpassungsstrategie“ erarbeiten. Länder und Kommunen sind zudem angehalten, regionale Strategien zum besseren Schutz gegen Hitze, Hochwasser und Dürre bis Januar 2027 vorzulegen. Hierzu zählen die Bereiche Infrastruktur, Wasserwirtschaft, nachhaltiges Bauen und Flächennutzung. Dazu Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer: „Wir brauchen jetzt vielfältige Klimaschutzmaßnahmen. Mögen die benötigten Investitionen auch hoch sein, führt Nichtstun zu deutlich höheren Folgekosten.“ Dem stimmt auch Holger Schüttrumpf, Professor am Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen, zu. Er sieht erheblichen Verbesserungsbedarf beim Hochwasserschutz auf allen Ebenen: „Wir müssen insbesondere die Umsetzung von Hochwasserschutzmaßnahmen beschleunigen. Einen Stillstand können wir uns eigentlich nicht leisten.“ Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Cornelia Weigand, Landrätin von Ahrweiler. „Die Flut 2021 hat gezeigt, dass der Katastrophenschutz in der gesamten Bundesrepublik auf allen Ebenen deutlich verbessert werden muss. Wichtig sind zudem vor allem Prävention in Form von baulichem Hochwasser- und Starkregenschutz sowie Maßnahmen zur Eigenvorsorge.“

Welche Rückschlüsse aus einem klimaresilienten Wiederaufbau für zukünftige Hochwasserereignisse zu ziehen sind, untersucht die Universität Stuttgart in enger Zusammenarbeit mit dem von der RWTH Aachen University koordinierten Forschungsverbund KAHR. Es geht darum, „ein Mehr an Resilienz zu schaffen, damit wir für zukünftige Ereignisse besser gerüstet sind“, betont Professor Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart. Seit drei Jahren begleitet der überregionale und interdisziplinäre Forschungsverbund erfolgreich den Wiederaufbauprozess. Themen sind beispielsweise die Erforschung von Schadensmustern, die Verlagerung besonders schutzwürdiger Infrastrukturen wie Schulen oder Pflegeheime, Vorsorgemaßnahmen für besonders verwundbare Bevölkerungsgruppen, die hochwasserresiliente Gestaltung von Brücken oder Sportstätten, die Schaffung von Retentionsflächen, eine hochwasserresiliente Stromversorgung, verbesserte Vorhersagemodelle und eine risikobasierte Raumplanung. Haushaltsbefragungen und Experten-Interviews zeigen unter anderem, dass der großen Mehrheit der Befragten vor der Katastrophe nicht klar war, dass sie in einem überflutungsgefährdeten Gebiet wohnten. Zudem hatten zum Zeitpunkt der Befragung im Sommer 2022 erst etwa die Hälfte der Befragten Vorsorgemaßnahmen umgesetzt. „Wir haben in den letzten drei Jahren im Verbund und gemeinsam mit den betroffenen Menschen viel erreicht. Dennoch bleiben noch wichtige Fragen und Handlungsfelder offen, die weitere wissenschaftliche Forschung erfordern“, so Professor Jörn Birkmann. Handlungsbedarf besteht etwa bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der Klimaresilienz im Wiederaufbau. Die Umsetzung von Hochwasserrückhaltebecken bedarf weiterer wissenschaftlicher Forschung, auch bezogen auf die Umsetzbarkeit und die Auswirkungen auf Umwelt und Landschaft. Des Weiteren gibt es konkrete Umbauplanungen für einzelne Quartiere oder Nutzungen, die bisher aber noch nicht umgesetzt wurden. „Die Begleitung dieser Transformationsprozesse durch die Wissenschaft wäre aus unserer Sicht wichtig, um nicht nur die Effektivität von Maßnahmen, sondern auch deren Akzeptanz näher zu beleuchten“, betont Professor Jörn Birkmann abschließend.

Hier bedarf es einer vorausschauenden Planung. Ingenieure sollten mit ihrer Expertise zur Schadensbegrenzung eingebunden werden. Dazu Professor Norbert Gebbeken, Experte für Katastrophenschutz und baulichen Objektschutz und Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau: „Drei Jahre nach der Katastrophe im Ahrtal scheinen viele der guten Vorsätze von damals für eine geänderte Siedlungsentwicklung bereits wieder vergessen zu sein. Dabei werden wir künftig wohl viel häufiger mit Hochwasser konfrontiert sein. Die Folgen können wir nur dann abmildern, wenn wir endlich anders planen und bauen. Wir müssen der Realität ins Auge blicken: Manche Ortschaften, die früher kein Hochwassergebiet waren, sind es nun. Will man diese Siedlungen nicht aufgeben, müssen nicht nur die Häuser, sondern vor allem die komplette Siedlung baulich verändert werden.“

August 2024