Baumaschine – was fehlt Dir heute?

Haben Sie heute schon Ihre 10 000 Schritte absolviert? So viel sollte jeder täglich gehen, um gesund zu bleiben. Fitness-Armbänder oder Apps zeichnen nicht nur die täglich absolvierte Bewegung auf, sondern die verzehrten Kalorien, die Herzfrequenz und den Schlafrhythmus. Condition Monitoring erfasst den menschlichen Organismus, aber wenn es um die Zustandsüberwachung von Baumaschinen geht, nehmen diese im Zuge von Big Data längst an einer Entwicklung teil, die den Einstieg in das Industrie-Zeitalter 4.0 bedeutet. Kritische Betriebsparameter dienen als Entscheidungshilfe, um den perfekten Wartungszeitpunkt festzulegen und Betriebszustände zu erfassen. Predictive Maintenance soll drohenden Maschinenausfällen vorbeugen und den Zeitpunkt für den Austausch von Ersatzteilen bestimmen. Damit lassen sich Stillstandszeiten abwenden und Servicekosten reduzieren.

Unzählige Sensoren an einem Bagger, Radlader oder Dozer kontrollieren Bauteile wie etwa Lager oder Ventile und registrieren jede noch so kleine Abweichung, wie Risse oder Vibrationen. Darüber hinaus werden Motor- Drehzahlen und -Geräusche oder Temperaturen von Ölen und anderen Betriebsmitteln aufgezeichnet und festgestellt, wenn auffällige Vibrationen oder eine Unwucht vorliegen. Denn die erfassten Daten lassen Rückschlüsse auf den Zustand einer Baumaschine zu. Predictive Maintenance, die vorausschauende Wartung, ist die intelligente Kombination aus moderner Sensorik und Echtzeit-Datenanalyse, die aus aktuellen und historischen Daten mittels Algorithmen und Big-Data-Analysen voraussagt, wann welcher Schadensfall eintritt.

Unternehmen wie Caterpillar und Zeppelin betreiben schon längst die proaktive Wartung. Sie unterhalten einen eigenen Bereich rund um Condition Monitoring für die Zustandsüberwachung von Baumaschinen. Foto: Zeppelin

Gab früher eine Baumaschine ihren Geist auf, konnte erst im Nachgang reagiert und die erforderlichen Schritte in die Wege geleitet werden. Der Servicetechniker musste seitens Disposition eingeplant werden, wann er den Fehler beheben konnte. Erst wenn die Schadensdiagnose vorlag, konnten Ersatzteile bestellt und schließlich die Reparatur durchgeführt werden. Damit es nicht zu einem Ausfall kommt, der womöglich noch zu einem Stillstand auf der Baustelle führt und folglich richtig kostspielig wird, wurde auf regelmäßige Wartung und Inspektionen gesetzt. Maschinenausfälle ließen sich manchmal nicht verhindern – anders beim Ansatz der präventiven Wartung: Dabei werden zwar auch keine erfassten Daten herangezogen, sondern Ersatzteile nach festdefinierten Intervallen gewechselt. Doch das hatte zur Folge, dass Teile ersetzt wurden, die eigentlich noch funktionstüchtig waren. Mit Predictive Maintenance werden die herkömmlichen Vorkehrmaßnahmen durch Datenanalysen ergänzt, die Auskunft geben über Verschleiß, Ausfall und Auslastung. Die vorausschauende Wartung baut auf dem bereits seit Jahren in vielen Branchen üblichen Condition Monitoring auf, das den Verschleißzustand von Bauteilen erkennt und überwacht. Anders als bei der vorbeugenden Instandhaltung sind die Wartungsintervalle nicht schon im Vorhinein festgelegt, sondern werden auf Grundlage der Sensordaten ermittelt. Unternehmen wissen deutlich früher, welche Bauteile wann ermüden und erneuert werden sollen. Somit lässt sich proaktiv das benötigte Ersatzteil bevorraten und der Zeitpunkt der Instandsetzung gezielt planen, die Wartung vorbereiten und auf den Betrieb sowie Baustelleneinsatz abstimmen.

Im Hinblick auf die Kosten unterscheiden sich die verschiedenen Wartungsstrategien deutlich: So hat das amerikanische Electrical Power Research Institute vergleichbare Wartungskosten pro PS in US-Dollar für verschiedene Wartungsstrategien ermittelt. Ihm zufolge verursacht eine geplante Wartungsstrategie mit 24 Dollar pro PS die größten Kosten. Mit 17 Dollar pro PS schlägt eine reaktive Wartungsstrategie zu Buche. Am kosteneffizientesten mit neun Doller pro PS ist eine proaktive Wartungsstrategie.

Weil sich Defekte im Voraus bestimmen, der Ausfallzeitpunkt prognostizieren und dadurch die Verfügbarkeit von Baumaschinen erhöhen lässt, wird Predictive Maintenance immer wichtiger für die Instandhaltungsstrategie. Unternehmen wie Caterpillar und Zeppelin betreiben schon längst die proaktive Wartung. Sie unterhalten einen eigenen Bereich rund um Condition Monitoring für die Zustandsüberwachung von Baumaschinen. Kunden werden bei der Auswertung der Diagnosecodes unterstützt, die von den gesendeten Baumaschinendaten eingehen. Schließlich muss der Zustand der Baumaschinen kontinuierlich beobachtet werden, um schnell wirkungsvolle Maßnahmen einleiten zu können.

Denn nachhaltiger Erfolg im Service wird künftig nur noch mit einer vorausschauenden Wartung möglich sein. Zu diesem Schluss kommt eine vom VDMA und der Deutschen Messe initiierten sowie von Roland Berger durchgeführten Studie, die von Dr. Ralph Lässig und Sebastian Feldmann von Roland Berger auf der Hannover Messe im letzten Jahr vorgestellt wurde. Allerdings macht Feldmann deutlich: „Predictive Maintenance darf nicht als „Heilsbringer“ verkannt werden, der bisherige Defizite im Service- Angebot ausgleicht. Das Servicegeschäft muss weiterhin in einem ganzheitlichen Unternehmensansatz analysiert und optimiert werden.“ Was die derzeitige Umsetzung von Predictive Maintenance noch erschwert, seien laut der Roland-Berger-Studie zufolge nicht technische Hindernisse, vielmehr bestünden Defizite in der Analyse, Mustererkennung und Prognose. Denn nur, wenn die Unmengen von Daten strukturiert aufbereitet, schnellstmöglich analysiert und richtig interpretiert werden, sind sie letztlich von Nutzen für die Instandhaltungsprozesse und dienen dann als Grundlage für strategische Entscheidungen. Unmengen an Daten sind zu speichern, müssen verarbeitet werden und sind mithilfe intelligenter Algorithmen zu analysieren.

Dabei kommt es darauf an, die Daten regelmäßig zu erfassen, um aus den Veränderungen verlässliche Trends und Entwicklungen über den Zustand der Baumaschinen ableiten zu können. Daher bedarf es entsprechend kompetenter Fachkräfte, welche die richtigen Rückschlüsse ziehen und Maßnahmen in die Wege leiten. Darüber hinaus erfordert Predictive Maintaince eine hohe Verfügbarkeit bei den Ersatzteilen. Was sich im Zuge von Industrie 4.0 im After-Sales- Service ändern wird: Ersatzteile werden geliefert, bevor etwas kaputt geht und ausgetauscht werden muss. Einen Schritt in diese Richtung hat beispielsweise Zeppelin eingeleitet und bietet beim Service von Cat Baumaschinen das Paket „Parts Plus“. Das beinhaltet den automatisierten Versand von Wartungsteilen. So wie bei einem Abo eine Zeitung jeden Morgen druckfrisch nach Hause geliefert wird, muss für die Ersatzteile keine extra Bestellung eingehen, sondern diese werden automatisch verschickt. Eine Bevorratung von Ersatzteilen und eine Verfolgung der Wartungstermine erübrigen sich. Mitarbeiter wissen so rechtzeitig, was sie wann tauschen müssen.

Was im Zuge der Zustandsüberwachung möglich ist, zeigt seit Jahresanfang zum Beispiel Komptech, Anbieter von Maschinen und Anlagentechnik zur Aufbereitung von Abfall und Biomasse. In Zerkleinerungsanlagen, Umsetzern oder Windsichtern wurde ein Hardwaremodul integriert und mit der zentralen Steuereinheit verbunden. Ereignisse und Diagnosecodes, aber auch Daten zu Betriebsstunden, Kraftstoffverbrauch, Leerlaufzeiten et cetera werden vom Modul per Mobilfunk an einen zentralen Datenserver übertragen. Über die webbasierte Software- Applikation „Connect!“ stehen die Daten dann Kunden, Vertriebspartnern oder dem Hersteller selbst zur Verfügung. Mit der kontinuierlichen Überwachung der Maschine kann jederzeit eine zustandsorientierte Instandhaltung gewährleistet werden, Vorhaltekosten lassen sich auf ein Minimum reduzieren, und die teilweise in Echtzeit analysierten Sensordaten bieten ein verlässliches und schnell reagierendes Informationssystem.

Mithilfe von Predictive Maintenance den Wartungsbedarf der Maschinen voraussagen, versprach sich auch Thyssenkrupp für den Handel mit Werk- und Rohstoffen sowie umfangreichen Anarbeitungsdienstleistungen. 2017 wurden Maschinenparks in der Werkstoffsparte mit der neuen digitalen Plattform „toii“ vernetzt. Maschinen verschiedenster Hersteller und Generationen wie Bandsägen und Kantmaschinen, Krane und Gabelstapler sowie komplexe Produktionsanlagen, Fräsmaschinen und Laseranlagen können nun miteinander und zwischen IT-Systemen kommunizieren. So können Abläufe in der Instandhaltung flexibel geplant und aufeinander abgestimmt werden – und zwar standortübergreifend. Ein weiterer großer Nutzen der Plattform ist die einfache Datenanalyse. Wo steht eine Wartung an oder wo entwickelt sich ein Problem? Welche Materialien müssen nachgeliefert werden? Diese Fragen beantwortet das System, indem es die Daten nicht nur sammelt, sondern auch analysiert. Die Ergebnisse sind per Mausklick abrufbar – anschaulich aufbereitet und leicht verständlich. Doch damit hat das Unternehmen noch nicht allzu viele Nachahmer gefunden.

Ein Großteil deutscher Industrieunternehmen ist von Predictive Maintenance bislang nicht restlos überzeugt und stuft deren Leistungsvermögen als gering oder zumindest noch ausbaufähig ein. Zu diesem Ergebnis kommt die Unternehmensberatung Staufen in einer Umfrage. Thomas Rohrbach, Geschäftsführer bei Staufen Digital Neonex, ist davon nicht überrascht: „Viel zu häufig werden
Begrifflichkeiten aus dem Baukasten der digitalen Transformation als Worthülse für Altbekanntes gebraucht. Der Übergang von der einfachen Fernwartung und Condition Monitoring zu Predictive-Maintenance-Lösungen ist fließend. Doch erst, wenn Anwender einen
echten Mehrwert erfahren, wird das Prinzip nachhaltig überzeugen.“ Nur wenige Betriebe sehen einen Nutzen in der vorausschauenden Instandhaltung auf der Grundlage von Prozess- und Maschinendaten. „Die überwiegende Mehrheit der Maschinenausfälle lässt sich auf Faktoren zurückführen, die Predictive Maintenance nicht lösen kann, allen voran Bedienungsfehler“, sagt Rohrbach, „einen echten Mehrwert kann vorausschauende Wartung nur erzielen, wenn sie mit anderen Leistungen gekoppelt wird, etwa einer intelligenten Überwachung der Prozessdaten zur Optimierung von Verfahren und Material oder digitalen Assistenzsystemen, die Fehler durch den Menschen verhindern.“ Dann erst könnten sich die hohen Erwartungen der Industrie an Predictive Maintenance erfüllen.

Eine Umfrage der Management- und Technologieberatung BearingPoint ergab, dass die Industrie das Thema der vorausschauenden Instandhaltung bislang lieber diskutiert statt umsetzt. Donald Wachs, globaler Leiter Manufacturing bei BearingPoint, rät: „Die
Voraussetzungen für den entscheidenden Schritt in Richtung Zukunft sind da und sollten von den Unternehmen genutzt werden. Oft fehlt es am Mut, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Das hemmt die Unternehmen und blockiert die Potenziale von Predictive Maintenance. Wichtig ist, das Thema ganzheitlich zu betrachten und mit kleinen Leuchtturmprojekten zu starten. Unternehmen, die Predictive Maintenance proaktiv angehen, können die Maschinenverfügbarkeit steigern, die Kosten senken sowie die Kundenbindung stärken.“

März/April 2018