Auf dem Weg zum grünen Fußabdruck

Die Auswirkungen des Klimawandels sind offensichtlich: Durch Starkregen verursachte Überschwemmungen und extreme Hitze häufen sich, wie Deutschland, aber auch Griechenland und die Türkei diesen Sommer leidvoll erfahren mussten. Einen großen Einfluss auf die Umwelt hat die Baubranche. Auf ihr Konto gehen ein Viertel aller Treibhausgase. Sie wird sich darum im Hinblick auf Planung, Produktion von Baustoffen, Bauausführung, Betrieb und Rückbau von Wohngebäuden, Gewerbeimmobilien und Infrastruktur umstellen müssen, um Nachhaltigkeitsziele im Zuge des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Mit „Fit for 55“ hat die EU-Kommission konkrete Vorschläge präsentiert, wie und mit welchen Instrumenten der grüne Wandel bis 2030 Fahrt aufnehmen soll. Denn dann soll bereits der CO2-Ausstoß um 55 Prozent gesenkt sein. Dabei kommt der Baubranche eine Schlüsselrolle zu. Es geht dabei nicht nur um den klimagerechten Neubau, sondern auch um eine klimagerechte Sanierung. Die Maßnahmen betreffen die Umstellung auf regenerative Energieträger und emissionsarme Produktionsprozesse bis hin zur Speicherung prozessbedingter CO2-Emissionen.

Der Ausstoß von Emissionen eines Gebäudes wird bereits in einer sehr frühen Projektphase vor Baubeginn entschieden. Parameter sind Gebäudegröße und -form sowie Dämmungsgrad – das alles wirkt sich auf die Emissionen in den kommenden Lebenszyklusphasen einer Immobilie aus. Im architektonischen Entwurf und der Planung werden die Weichen für die graue Energie eines Gebäudes gestellt. Graue Energie steht für die kumulierte Primärenergie, die für Rohstoffgewinnung, Herstellung, Transport, Wartung, Abriss und Entsorgung eines Gebäudes aufgewendet werden muss. Viele Baustoffe sind in der Produktion energieintensiv. So wird beispielsweise Zement bei Temperaturen von 1 450 Grad Celsius unter hohem Verbrauch an fossilen Energien hergestellt, erklärt Ulrike Elbers, Tragwerksplanerin vom Planungs- und Beratungsbüro Arup. Entsprechend hoch sei der CO2-Ausstoß, der bei rund 600 Kilogramm pro Tonne liegt. Davon sind ein Drittel brennstoff- und zwei Drittel rohstoffbedingte Prozessemissionen.

Mit optimierter Geometrie, intelligenten Konstruktionen, reduzierter Gebäudetechnik und langlebigen Materialien lassen sich neue Maßstäbe setzen, so Ulrike Elbers. Sie sieht die wichtigsten Stellschrauben im Tragwerk, gefolgt von der Fassade, der Gebäudetechnik und dem Ausbau. Kompakte Baukörper mit schlanken und effizienten Tragsystemen reduzieren ihr zufolge den Anteil an grauer Energie, das Bauen von Tiefgaragen und besonders hohen Gebäuden sowie Fassaden mit viel Glas und Aluminium erhöhen ihn.

Doch die am Bau Beteiligten haben es selbst in der Hand, wie stark die CO2- Emissionen ausfallen. Jeder kann auf seine Weise einen anderen Einfluss auf das Ergebnis der CO2-Vermeidung nehmen. Während ein Bauträger das Design des Gebäudes vorgeben kann, kann ein Bauunternehmen versuchen, den Abfall auf der Baustelle zu reduzieren und spritsparende Baumaschinen einsetzen.

Mit rund 51,7 Milliarden Tonnen Baumaterialien stellt der 22 Millionen Gebäude umfassende Bestand unser größtes Rohstofflager dar, heißt es seitens Arup. Es plädiert für eine konsequente Wiederverwertung beim Abbruch, um den jährlichen Bedarf an Rohstoffen zu verringern. Zudem ließe sich dadurch die bereits in den Gebäuden gebundene sogenannte graue Energie nutzen und der CO₂-Ausstoß im Vergleich zu Abriss und Neubau um bis zu 70 Prozent senken.

Die Unternehmensberatung McKinsey ist überzeugt, dass eine Nachhaltigkeitsstrategie erhebliche Chancen für die Wertschöpfung der Branche bringt und eben nicht nur Kosten, die nur schwer an Kunden respektive Bauherren weitergereicht werden können. Bauakteure können von nachhaltigen Trends profitieren, sofern sie Nachhaltigkeit als strategische Chance sehen und mit anderen Akteuren zusammenarbeiten, glaubt McKinsey. Vorausgesetzt, dass die Bauakteure Veränderungen berücksichtigen, auf Megatrends wie neue Technologien und mit neuen Geschäftsmodellen reagieren. Wird das jedoch versäumt, droht eine immer strengere Regulierung.

Länder, die zielstrebig auf erneuerbare Energieträger umstellen, verbessern ihre Chancen auf wirtschaftliche Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit, das glaubt auch das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). Allerdings könne es auch zu Spannungen zwischen Vorreitern und Nachzuglern im Hinblick auf Dekarbonisierung kommen. Denn schon jetzt sei der Zugang zu den technologischen und finanziellen Mitteln, die für den Übergang erforderlich seien, durch Ungleichheiten gekennzeichnet. So entfallen laut der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) 95 Prozent der installierten Kapazität auf nur 16 Prozent aller Länder, nämlich die hochentwickelten Länder. Steigenden Energiebedarf haben jedoch vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer, die noch stark auf fossile Brennstoffe setzen. „Diese Kluft droht sich zu vertiefen: Länder, die frühzeitig in Forschung, Entwicklung und Produktion im Bereich erneuerbare Energien investieren, profitieren wirtschaftlich, auch in Bezug auf Arbeitsplatze. Nachzügler bei der Dekarbonisierung sind in den kommenden zehn Jahren deutlich höheren Transformationsrisiken ausgesetzt. Ihre industrielle Wettbewerbsfähigkeit sinkt und das Risiko für ökonomische Instabilität steigt“, erläutert Laima Eicke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IASS.

Doch was ist sinnvoll und wirkt nachhaltig? McKinsey hat vor diesem Hintergrund eine Reihe von Maßnahmen zur Dekarbonisierung zusammengestellt – jede wurde bewertet im Hinblick auf das Vermeidungspotenzial und die Kosten in Euro pro Tonne CO₂, mit denen Bauunternehmen Klimaneutralität erzielen können. Das Ergebnis: Netto-Null-Emissionen für den Betrieb von Gebäuden lassen sich zu Kosten von durchschnittlich fünf Euro pro Tonne CO₂ erreichen. Die wichtigsten und längerfristig sogar kostenpositiven Hebel zur CO₂-Vermeidung sind die Steigerung der Energieeffizienz des Gebäudes (durch Wärmedämmung und Heizungssteuerung) sowie die Wahl der Energiequelle, die für die Heizung verwendet wird, wie zum Beispiel Strom aus erneuerbaren Energien zum Antrieb von Wärmepumpen. Eine Isolierung und ein Umrüsten auf erneuerbare Technologien wie Fotovoltaik stellen darum kosteneffiziente Ansätze zur Emissionsverringerung dar. Die EU schätzt, dass 97 Prozent der vor 2010 gebauten Gebäude renoviert werden müssen, um die langfristigen strategischen Ziele zu erfüllen. Berechnungen von McKinsey gehen jedoch davon aus, dass diese Ziele nur erreicht werden, wenn sich die derzeitigen Renovierungsraten mehr als verdoppeln.

Die Verringerung der Emissionen bei Neubauten erfordert wiederum einen anderen Ansatz als bei der Dekarbonisierung des Gebäudebetriebs. Diese kann durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen je nach Gebäudetyp und Standort erreicht werden. Hierzu zahlt McKinsey verbesserte Gebäudegrundrisse, aber auch die Erhöhung der Kreislaufwirtschaft sowie die Verwendung von alternativen Baumaterialien, die energieeffizienter sind als gängige Baustoffe. Auch in der Elektrifizierung von Produktionsanlagen sowie in energieeffizienten Baumaschinen steckt Potenzial, um Rohstoffe energiesparend zu produzieren.

Die Baubranche hat mittlerweile erkannt, dass Nachhaltigkeit Potenzial für ein neues Geschäftsmodell hat. Unter 400 weltweit führenden Unternehmen hat in einer Umfrage gegenüber McKinsey die große Mehrheit Nachhaltigkeit als treibende Kraft ausgemacht, die am ehesten zu einem Wandel in der Branche in den nächsten ein bis fünf Jahren fuhren wird. Führende Vertreter gaben an, dass sie bereits Investitionen in Nachhaltigkeitsmaßnahmen erhöht haben. HeidelbergCement hat sich beispielsweise zum Ziel gesetzt, die CO₂-Emissionen pro Tonne Zement bis 2030 um 30 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Bis 2050 will der Baustoffproduzent einen CO₂-neutralen Beton realisieren. Außerdem sei Nachhaltigkeit zu einem der häufigsten Themen geworden, die Kunden an Bauunternehmen herantragen und die Investoren an den Kapitalmarkten nachfragen, bestätigt McKinsey.

Doch das alles hat auch seinen Preis. „Der angestrebte Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Dekarbonisierung des Gebäudesektors stellen uns wirtschaftlich und sozial vor immense Herausforderungen. Es ist richtig, dass die EU-Kommission das Potenzial der Energieeffizienz von Gebäuden beim Klimaschutz mit einem eigenen Maßnahmenpaket für den Gebäudesektor ambitionierter angeht“, so Tim-Oliver Muller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, zum Gesetzespaket der EU. Es sei Konsens, für den Klimaschutz gewaltige Finanzierungsanstrengungen zu unternehmen. Doch die Konsequenz werden Preiserhöhungen sein. So werden zum Beispiel die Kosten für Zement in den kommenden Jahren bedingt durch die Dekarbonisierung steigen. Denn die Senkung der CO₂-Emissionen ist aufwendig und bei der Produktion von Zement beziehungsweise seinem Vorprodukt Zementklinker werden große Mengen an CO₂ freigesetzt, obwohl es seit 1990 den deutschen Zementherstellern gelungen ist, die CO₂-Emissionen in einer Größenordnung von 20 bis 25 Prozent zu reduzieren. Doch die Zementindustrie stößt mittlerweile an Grenzen, soll sie weitere Grenzwerte unterschreiten. Eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung von Zement und Beton werden daher neben teils neuen, CO₂-effizienten Rohstoffen für die Klinker-, Zement- und Betonherstellung vor allen Dingen die Abscheidung von CO₂ im Zementwerk und dessen Nutzung beziehungsweise Speicherung spielen – so das Ergebnis einer Studie zur Dekarbonisierung, die der Verein Deutscher Zementwerke herausgegeben hat. Darüber hinaus werden für die Baubranche in den kommenden Jahren Verfahren und Bauteile attraktiv, die Zement einsparen, aber auch technische Innovationen seitens Baubranche und Baustoffindustrie vorangetrieben, die für nachhaltige Lösungen stehen.

Doch gesetzliche Rahmenbedingungen bremsen diese vielfach wieder aus. Denn die politischen Regularien seien oftmals praxisfern und laufen den eigentlichen Möglichkeiten der Bauindustrie zuwider, verhinderten sie teilweise sogar, beklagt etwa der Bauindustrieverband Ost. Deren Hauptgeschäftsführer, Dr. Robert Momberg, macht deutlich: „Bei der Realisierung der Auftrage werden zwangsläufig Ressourcen verbraucht und CO₂-Emissionen verursacht. Andererseits sind die Klimaziele ohne die Bauwirtschaft nicht umsetzbar. Die Politik muss in diesem zukunftsgewandten Prozess klug die Rahmensetzung übernehmen und Voraussetzungen für ein Mehr an Nachhaltigkeit und Klimaschutz schaffen.“ Die Ausweisung von regionalem Deponieraum, um weite Transportfahrten zu vermeiden oder auch die Priorisierung von Recyclingbaustoffen gegenüber herkömmlichen Baumaterialien in öffentlichen Ausschreibungen seien nur zwei von vielen Beispielen einer nachhaltigen Baupolitik.

September/Oktober 2021