„Der Euro ist nachweislich gescheitert“

Sie malen ein düsteres Bild von Europa: Matthias Weik und Marc Friedrich sehen das Ende des Euro und der EU kommen, sollte Europas Finanz-, Wirtschafts- und Sozialsystem nicht umgebaut werden. Die beiden Ökonomen, Querdenker, Honorarberater und mehrfache Bestseller-Autoren decken auf, warum unsere Politik aus den Fugen geraten ist. Gerade legten sie mit dem Gründer der Drogeriemarktkette dm, Professor Götz W. Werner, ihr neuestes Buch vor: „Sonst knallt’s – Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“. Mit ihnen sprachen anlässlich ihres Vortrags „Zerbricht die EU und der Euro?“ an der Zeppelin Universität Peter Gerstmann, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns, und die Redaktion des Deutschen Baublatts.

Die beiden Ökonomen, Querdenker, Redner und Honorarberater Marc Friedrich und Matthias Weik präsentierten ihre Thesen an der Zeppelin Univertität. Sie schrieben 2012 gemeinsam den Bestseller „Der größte Raubzug der Geschichte“. Es war das erfolgreichste Wirtschaftsbuch 2013. Darauf folgte das Buch „Der Crash ist die Lösung“ – es avancierte zum erfolgreichsten Wirtschaftsbuch 2014. Zwei Jahre später folgte Bestseller Nummer drei: „Kapitalfehler“. Im April 2017 brachten sie zusammen mit dem Gründer der Drogeriemarktkette dm, Professor Götz W. Werner, ihr viertes Buch „Sonst knallt´s!“ heraus – auch das fand Eingang in die Bestsellerliste. Foto: Constantin Ehret/Zeppelin Universität
Matthias Weik. Foto: Constantin Ehret/Zeppelin Universität

DEUTSCHES BAUBLATT: Wieso ist unsere Welt aus den Fugen geraten?

MARC FRIEDRICH: Seit 2008 sind wir in einer Dauerkrise. Südeuropa ist immer noch bankrott. Der Euro ist nachweislich gescheitert. Den Ländern wie beispielsweise Italien, Frankreich, Griechenland … geht es heute mit dem Euro schlechter als mit den souveränen Währungen. Die EZB hat bis dato 1,7 Billionen Euro in den Markt gepumpt, um Staatsanleihen zu kaufen. Statt die Finanzkrise zu lösen, wurde sie nur mit viel Geld in die Zukunft verschoben.

PETER GERSTMANN: Deutschland steht doch blendend da, was etwa den Haushaltsüberschuss, Steuerrekordeinnahmen oder die hohe Beschäftigtenquote betrifft.

MATTHIAS WEIK: Wie viel Schulden haben wir eigentlich letztes Jahr zurückgezahlt? Wenn nicht mal wir das in der jetzigen Verfassung als Exportweltmeister in Rekordjahren mit Rekordsteuereinnahmen schaffen, wer soll es dann sonst machen?

PETER GERSTMANN: Wird es Ländern wie Griechenland je gelingen, sich wieder aus der Schlinge zu befreien?

MARC FRIEDRICH: Griechenland ist pleite und wird niemals auf die Beine kommen, solange es im Zins- und Währungskorsett der EZB und des Euros ist. Trotzdem hält man krampfhaft am Verbleib des Landes in der Euro-Zone fest. Das Szenario eines Staatsbankrotts ist nicht vorgesehen. Das halten wir nicht nur für dürftig, sondern für realitätsfremd. Die 368 Milliarden Euro an Steuergeldern, die bislang an Hilfspaketen für Griechenland geschnürt worden sind, hätten Wirkung zeigen müssen. Stattdessen sind sie größtenteils an die Gläubiger – Banken in London, Paris, Frankfurt … – geflossen. Die Geldpolitik setzt völlig falsche Anreize. Griechenland kann sich auf weitere Hilfen verlassen.

DEUTSCHES BAUBLATT: Welche Schritte sind nötig, um nicht noch tiefer in die Krise zu rutschen?

MATTHIAS WEIK: Das derzeitige Finanzsystem wird nur künstlich am Leben gehalten. Notwendige Reformen blieben aus. Alle Staaten haben Schulden – und diese Staatsschulden werden zu 99 Prozent von der Finanzbranche aufgekauft. Recherchen für unser neues Buch haben ergeben: Die Krisen sind sogar gewollt. Die Vermögen der Superreichen sind global seit 2008 so stark gestiegen wie nie zuvor. Dem kann man nur ein Ende bereiten, wenn der Euro ad acta gelegt wird und es zu einem Schuldenschnitt kommt. Unabdingbar ist die Einführung eines gedeckten Geldsystems und unabhäniger Notenbanken. Es ist zwingend erforderlich, die Finanzwelt strenger zu kontrollieren, damit es nicht zu weiteren Exzessen kommt.

DEUTSCHES BAUBLATT: War der Brexit der Anfang vom Ende?

MARC FRIEDRICH: Unserer Ansicht nach ganz klar. Immer mehr Menschen in Europa wehren sich gegen die etablierten Parteien. Die politische Kaste hat sich zu weit von der Realität entfernt. Die Idee eines vereinten Europas war großartig, aber der Euro zerstört unseren Wohlstand und unsere Demokratie. Wir befürchten, dass sich auch mit dem Hoffnungsträger Macron in Frankreich nichts ändern wird und es danach noch schlimmer kommt. Bestes Beispiel war der glorifizierte Amtseintritt Obamas: Als er seine Wähler enttäuschte, kam danach Trump.

DEUTSCHES BAUBLATT: Welche Fehler seitens Politik und Notenbanken in Europa führten zum Scheitern?

MATTHIAS WEIK: Aus der Krise 2008 hat man nicht die notwendigen Schlüsse gezogen und alle versprochenen Maßnahmen, um die Finanzwelt tiefgreifend zu regulieren, nicht umgesetzt. Die internationalen Finanzkonzerne bestimmen nach wie vor die Marschrichtung.

PETER GERSTMANN: Ist das Quittung dafür, dass wir zwar eine wirtschaftliche Einheit geschaffen haben, aber es nie eine wahre politische Einheit gab?

MATTHIAS WEIK: Ganz genau. Man hat das Pferd von hinten aufgezäumt. Es funktioniert einfach nicht, dass unterschiedlich starke Volkswirtschaften wie in Griechenland, Italien und Spanien auf der einen Seite und Deutschland, Österreich und Holland auf der anderen Seite eine gleiche Währung haben. Besonders drastisch hat die Flüchtlingskrise vor Augen geführt, dass in Europa mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet wird.

PETER GERSTMANN: Was die Europäer machen, praktizieren die Amerikaner seit Jahren, indem sie sich verschulden. Aber sie leben immer noch.

MARC FRIEDRICH: Natürlich – die Japaner leben auch immer noch obwohl sie die höchste Verschuldung der Welt haben mit über 250 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt. Nicht vergessen sollte man, dass der Dollar die Leit- beziehungsweise Weltwährung ist.

MATTHIAS WEIK: Aber irgendwann ist das Spiel vorbei. Man kann nicht auf Dauer Schulden mit Schulden bezahlen.

PETER GERSTMANN: Ist das die Sollbruchstelle von Europa, dass immer dann, wenn es einem Land schlechter geht, zu einem Ausscheren aus der Einheit kommt? Das ist in Amerika nicht möglich.

MARC FRIEDRICH: Amerikaner haben eine homogene Kultur und Gesellschaft mit einer gleichen Sprache. Sie haben ein anderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Europa ist künstlich zusammengepresst worden in ein Zwangskorsett.

DEUTSCHES BAUBLATT: Heißt das jetzt, dass Deutschland wieder zurück zur DM soll?

MARC FRIEDRICH: Zurück klingt immer so negativ. Wir müssen neue souveräne Staatswährungen einführen. Dann können die Südländer Europas sich entschulden. Vom „schwachen“ Euro profitiert nur Deutschland, der Rest leidet darunter.

PETER GERSTMANN: Wie hoch stufen Sie die Arbeitslosigkeit nach der Restrukturierung ein?

MARC FRIEDRICH: Es wird einen deutlichen Anstieg geben. Aber keine Heilung geht einher ohne Schmerzen. Das System wird kollabieren. Es bewegt sich jetzt bereits am Limit. Die deutsche Steuerbelastung ist die weltweit höchste nach Belgien.

MATTHIAS WEIK: Auch unser Gesundheitssystem steht auf wackligen Füßen. Es rücken immer weniger junge Arbeitskräfte nach, die Bevölkerung wird aber immer älter. Noch sind wir Exportweltmeister, weil wir einen schwachen Euro haben und weil viel zu viele Menschen, die in einem der größten Niedriglohnsektoren Europas arbeiten, nicht fair bezahlt werden. Das wird sich in Zukunft bitter rächen, weil diese Menschen kaum etwas in ihre Altersversorgung stecken können. Altersarmut ist vorprogrammiert.

PETER GERSTMANN: Meine Tätigkeit führt mich oft in die USA. Dort sieht man eine Verarmung der Bevölkerung auf der Straße, die es hierzulande in diesem Umfang nicht gibt. Da sind Menschen auf mehrere Jobs angewiesen, um über die Runden zu kommen. Dort ist der Niedriglohnsektor wesentlich ausgeprägter als hier. In Brasilien gibt es kaum eine Mittelschicht. Da existieren nur Reiche und Arme. Dazwischen ist nichts. Deswegen glaube ich, dass wir trotzdem auf einer Insel der Glückseligen leben, auch wenn bei uns nicht alles rund läuft.

MARC FRIEDRICH: Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht ausruhen. Herr Schäuble bekommt sogar Geld, dass er sich verschuldet. Wir haben 23 Milliarden Euro Überschuss und trotzdem werden keine Schulden abgebaut und die Mittelschicht entlastet.

DEUTSCHES BAUBLATT: … oder Steuern gesenkt. Warum passiert da nichts?

MARC FRIEDRICH: Die Politik liefert keine Antworten auf die dringendsten Fragen unserer Zukunft. Unsere Politiker wissen genau, dass Kosten auf uns zukommen und die Konjunktur eine Ausnahmesituation darstellt.

PETER GERSTMANN: Darauf stellen wir uns als Unternehmen auch ein. Wir erwarten nicht, dass es immer steil bergauf geht. Das hat noch nie funktioniert.

MARC FRIEDRICH: Der Finanzkapitalismus hat den Realkapitalismus gekapert und quetscht ihn aus. Nur eine kleine Elite profitiert heute überproportional.

MATTHIAS WEIK: Haben wir eigentlich noch Kapitalismus oder eher eine monetäre Planwirtschaft der Notenbanken? Momentan kaufen Notenbanken Unternehmensanleihen von Unternehmen, die auf der Kippe stehen. Oder sie erwerben Aktien. Das heißt, sie intervenieren kontinuierlich in den Märkten. Ist das noch Kapitalismus? Wenn ja, müsste sich der Markt bereinigen. Tut er das noch? Was haben wir für ein politisches System, wenn die Notenbanken alles aufgekauft haben?

MARC FRIEDRICH: Wir sind überzeugte Kapitalisten, aber lehnen planwirtschaftliche Maßnahmen, also die Interventionen oder Rettungspakete ab. Wir hätten 2008 die Märkte einfach wirken lassen sollen.

DEUTSCHES BAUBLATT: Fast die Hälfte des Einkommens geht hierzulande für Steuern drauf. Sie halten es deshalb für sinnvoller, den Konsum und nicht das Einkommen zu besteuern.

MARC FRIEDRICH: Unser jetziges Steuersystem ist ein Relikt aus dem Mittelalter. Dort ging es um Selbstversorgung. Wir leben heute in einer Gesellschaft der absoluten Abhängigkeit. Ohne die anderen Leistungen sind wir nicht lebensfähig. Die Besteuerung von Leistung ist kontraproduktiv. Es verhindert Selbstständigkeit und Innovation. Unser Steuersystem muss an die modernen Anforderungen angepasst werden. Konsumsteuer ist die einzige Steuer, die fair ist, weil es keine Steuervermeidungsmöglichkeiten mehr gibt. Steuern werden direkt an der Kasse bezahlt. Es gibt keine Steuerparadiese. Der ganze Behördenwahnsinn fällt weg.

PETER GERSTMANN: Dann müsste aber der Leistungsgedanke auch neu definiert werden. Auf unserem letzten weltweiten Managementmeeting zu unserer zukünftigen Strategie hatten wir den Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky eingeladen, der seine Vision der Arbeitswelt bis 2025 dargestellt hat, beeinflusst durch Automatisierung und Digitalisierung. Er machte unmissverständlich klar, dass ein Großteil der Berufe verloren gehen wird. Dabei geht es nicht nur um einfache Arbeitsplätze, sondern auch um qualifizierte Berufe, wie Juristen, Steuerberater oder Ärzte. Da bleibt so gut wie keiner ausgenommen.

MARC FRIEDRICH: Die Vereinten Nationen haben eine Studie herausgebracht, dass weltweit 50 bis 75 Prozent aller Arbeitsplätze in den nächsten ein, zwei Dekaden durch die Digitalisierung verloren gehen werden. Darauf muss die Politik reagieren. Doch sie tut es nicht.

PETER GERSTMANN: Die Antwort von Herrn Jánszky war: Wir werden dafür sorgen müssen, dass die Wertschöpfungsprozesse, die wir automatisieren, indem wir neue Werte schaffen, neu verteilen müssen. Im Zweifelsfall wird dann eben jeder ein Grundeinkommen bekommen.

MARC FRIEDRICH: Wir waren lange Zeit keine überzeugten Anhänger eines Grundeinkommens. Aber es wird kein Weg daran vorbeiführen, …

MATTHIAS WEIK: … sonst droht Revolution, wenn über die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos ist.

PETER GERSTMANN: Sehen Sie eine politische Zielfindung in unserer Parteienlandschaft, die in der Lage wäre, solche Modelle zu vermitteln?

MATTHIAS WEIK: Diese sehen wir noch gar nicht. Das Problem ist, Politiker drehen sich mit dem Wind. Erst, wenn sie sehen, was mit den Massen an Wählern passiert, werden sie ihr Verhalten ändern.

PETER GERSTMANN: Die Frage ist doch, welche Denkweisen lässt man zu. Radikale Veränderungen gingen meist mit radikalen Lösungen einher. Das kann einem schon Angst machen.

MARC FRIEDRICH: Genau dieses Bild haben wir auch in unserem neuen Buch beschrieben. Momentan folgen die Menschen den radikalen Kräften, die laut schreien und einfache Lösungen versprechen.

DEUTSCHES BAUBLATT: Dürfte jeder Europäer über den Verbleib in der EU abstimmen, was käme da raus?

MARC FRIEDRICH: Die Mehrheit würde voraussichtlich aussteigen wollen, vor allem die Südschiene Europas. Auch in Deutschland wäre der Wahlausgang knapp. Es wäre zwingend angebracht, mal eine Volksabstimmung darüber zu machen, in welcher Form und ob überhaupt die Bürger die EU haben wollen. Damit würde man den radikalen Kräften auch den Nährboden entziehen.

Mai/Juni 2017

4 Kommentare

  1. Ich bin positiv überrascht das hier im Baublatt zu lesen. Ich kenne die Arbeit und die Bücher der beiden – finde allesamt großartig.

  2. Grüß Gott,
    Deutschland „steht“ vielleicht gut da,aber vielen Deutschen geht es heute wirtschaftlich deutlich schlechter als vor der Euro Einführung!
    Eine Rekord Beschäftigung wurde auch nur durch Leiharbeit,Teilzeitarbeit und 450€ Jobs erreicht{aka Lüge)!
    Die Anzahl an Vollzeitarbeitplätze sinkt von Jahr zu Jahr!
    Gäbe es wirklich in Deutschland einen Mangel an Arbeitskräften gäbe es nicht ca.10 Millionen Menschen die durch Transferleistungen vom Staat abhängig sind {ALG 1+2,Aufstoker etc…

  3. eher bin ich kaiser in china , als unsere politiker solche Maßnahmen ergreifen werden. sie wollen den jetzigen zustand beibehalten, da er ihre riesigen Pensionen sichert. was nach ihrem aktiven treiben passiert, ist denen völlig egal!