Gefräßige Raupe Nimmersatt

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Tue Gutes und rede darüber – das ist zu einer geflügelten Redewendung für PR-Aktivitäten geworden. Doch könnte sich dies als großer Bumerang erweisen, wenn nicht nur große Kapitalgesellschaften ab 500 Mitarbeiter aufwärts, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen in Zukunft schrittweise im Zuge der Nachhaltigkeits-Berichtspflichten zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsreports (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) gezwungen sind. Das heißt dann in der Praxis, auch mittelständische Baufirmen können indirekt davon betroffen sein, denn sie müssen dann berichtspflichtigen Unternehmen zur Einhaltung der verbindlichen EU-Standards Informationen, etwa zum CO2-Ausstoß, liefern können.

Foto: Adobe Stock/Oleg Kovtun

Bauunternehmer dürften Schlimmes ahnen: Mit den ESG-Reportings zu Umwelt, Soziales und Governance, sprich zur Unternehmensführung, geht das böse Bürokratiemonster um. Der Wirtschaft drohen nicht nur eine Flut an Fragebögen zum Engagement für Umwelt und Soziales, sondern auch einmalige Kosten in Höhe von 750 Millionen Euro und nach Einführung jährliche Kosten von 1,4 Milliarden Euro. Und dabei ist noch nicht einmal klar, welchen Nutzen die CSRD-Berichtspflicht stiftet. Ein krasser Widerspruch zum Mantra von weniger Vorschriften, Gesetzen und Regularien, wie es die Politik versprochen hat.

Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts Akademie, befürchtet gar, dass über 90 Prozent der Firmen mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung hoffnungslos überfordert sind, um dafür den erforderlichen ökologischen Fußabdruck anhand des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen auszuweisen. Geschweige denn, dass bislang noch gar keine Voraussetzungen im Berichtswesen parallel zum Tagesgeschäft dafür geschaffen wurden. Aufgelistet werden muss dann alles, was unternommen wurde, um mehr Nachhaltigkeit zu fördern. Da geht es um einiges mehr als das Wassermanagement, um Abfall- und Recyclingquoten sowie um Lieferketten und deren soziale und ökologische Verantwortung. Genauso aufgezeichnet werden müssen Initiativen rund um die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, eine faire Vergütung, Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt und Inklusion sowie zur Förderung von Menschenrechten, Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

Wohl dem, der solche Informationen zur Hand hat und seinen Baubetrieb so weit digitalisiert hat, dass er solche Daten dann in der erforderlichen Qualität auch abrufen kann. Aber die Bürokratie ist eine gefräßige Raupe Nimmersatt: Wer sie einmal mit Informationen füttert, der weiß, dass daraus noch detaillierte Pflichtangaben erfolgen, die zu ergänzen und zu konkretisieren sind. Daten zu erheben, ist nur die eine Seite. Die andere und die noch viel größere Hürde wird es sein, Daten zu analysieren und Szenarien durchzuführen, um nachhaltige Maßnahmen samt deren Auswirkungen auf die Umwelt im Hinblick auf Risiken und Potenziale zu bewerten. So mancher Mittelständler mag da ins Straucheln kommen. Denn er ist weder personell noch finanziell so aufgestellt, um diese Anforderungen zu erfüllen und die komplexen Wertschöpfungsketten entsprechend der Vorgaben auch nachweisen zu können. Mehrarbeit droht auch den überlasteten Behörden. Sie brauchen ebenfalls entsprechende Kapazitäten, um die Angaben zu kontrollieren. Experten gehen davon aus, dass auch sie überfordert sind und der Beamtenapparat im Faxmodus stecken bleibt.

Die Frage, die sich daher stellt: Kann eine Nachhaltigkeitsberichterstattung das nachhaltige Handeln von Unternehmen verändern? Die ersten Anzeichen dafür sind hier eher entmutigend, schaut man sich eine Umfrage des German Business Panel (GBP) an, die aktuell die insgesamt ablehnende Haltung vieler Unternehmen gegenüber der aktuellen Nachhaltigkeitsregulierung belegt, einschließlich auch der neuen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Bewährte Kriterien wie der Preis, die Verlässlichkeit der Zahlungsziele oder die Länge der Geschäftsbeziehung spielen bei Unternehmen nach wie vor die wichtigste Rolle bei der Auswahl ihrer Kunden und Lieferanten. Nachhaltigkeitsaspekte sind – ungeachtet des neuen Lieferkettengesetzes – klar untergeordnet. „Die vielen bürokratischen Pflichten, die für Lieferketten eingeführt wurden, ändern offensichtlich wenig daran, dass Unternehmen bei der Auswahl ihrer Geschäftsbeziehungen kaum bereit sind, ihre gewohnten Geschäftsabläufe aus Rücksicht auf gesellschaftliche Ziele umzustellen“, stellt Professor Jannis Bischof, Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim, dar. Das spricht Bände.

August 2024