Grüner Fußabdruck im Straßenbau

Stehst du noch oder fährst du schon? In Anlehnung an einen Werbeslogan eines skandinavischen Möbelhauses kommt der Verkehrsfluss immer wieder ins Stocken. Insgesamt zählte der ADAC im vergangenen Jahr 474 000 Staus und die gemeldeten Verkehrsstörungen ergaben eine Gesamtlänge von 733 000 Kilometern. Auch für 2023 wird mit steigendem Verkehrsaufkommen und somit hohem Stauaufkommen gerechnet. Zum großen Streitthema der Ampelkoalition geriet daher auch der Straßenbau. Die FDP wollte den Bau von neuen Fernstraßen beschleunigen. Doch das stieß bei den Grünen und Klimaaktivisten auf heftigen Gegenwind. Stein des Anstoßes war die Frage: Torpedieren neue Autobahnen die Klimaziele und damit den Rückgang der CO2-Emissionen?

Einigen konnten sich SPD, FDP und Grüne in einer Marathonsitzung darauf, dass es mehr Tempo bei der Planung von Windkraftanlagen, Schienen und vor allem bei rund 4 000 maroden Brücken braucht. Doch auch der Straßenbau soll nicht auf die Bremse treten. Vereinbart wurde nun, 144 dringliche Projekte anzupacken, die bereits im Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossen beziehungsweise bereits begonnen wurden. Um den Grünen hier entgegenzukommen, soll der Ausbau mit dem Bau von Solarflächen gekoppelt werden. Akzeptieren müssen sie nun im Gegenzug, dass nicht alles dem Klimaschutz unterstellt wird.

Deutschland verfügt mit 13 000 Kilometern Autobahnen und rund 38 000 Kilometern Bundesstraßen über eines der weltweit dichtesten Straßennetze der Welt. Hochgerechnet machen kommunale Straßen rund 800 000 Kilometer aus. Dabei wurde etwa allein das Verkehrsnetz an Autobahnen seit den 50er-Jahren stetig vergrößert – es hat sich inzwischen versechsfacht. Dagegen fällt das Schienennetz mit knapp 33 300 Kilometern Strecke deutlich zurück. Die Ampel plant daher, das Schienennetz mit „erheblichen Mitteln“ zu ertüchtigen. Bis 2027 hat die Bahn allein einen Investitionsbedarf von rund 45 Milliarden Euro, der nun etwa durch Einnahmen aus der Lkw-Maut gedeckt werden soll.

Experten waren die Investitionen schon in der Vergangenheit nicht ausgeglichen genug. So wies der Think Tank Agora Verkehrswende bereits auf Defizite des Bundesverkehrswegeplans 2030 hin. Der aktuelle Plan enthält rund 1 300 Bundesfernstraßenprojekte (davon mehr als 500 Ortsumfahrungen), 66 Schienenprojekte und 22 Wasserstraßen. Das Investitionsvolumen für diese Projekte beträgt nach den aktuellen Schätzungen insgesamt 270 Milliarden Euro und bestimmt den Bau der Infrastruktur des Bundes für die kommenden Jahre. Doch die Annahme beruhe auf überholten Szenarien und werde den Anforderungen des Klima- und Umweltschutzes nicht gerecht.

Auch der Bund Naturschutz kritisiert die Angaben der CO2-Emissionen für Fernstraßenprojekte im Bundesverkehrswegeplan 2030 und beruft sich auf ein von ihm beauftragtes Gutachten bei RegioConsult. Das kommt zu dem Ergebnis: Zusätzlicher Straßenbau würde sich auf die ohnehin sehr schlechte Klimabilanz des Verkehrssektors noch stärker negativ auswirken als bisher angenommen. Demnach werden im Bundesverkehrswegeplan 2030 systematisch deutlich zu niedrige CO2-Emissionen angegeben. Das Gutachten zeigte außerdem, dass die bau- und anlagebedingten Kosten in die Klimakosten nur unvollständig einfließen. Das beeinflusst den sogenannten Nutzen-Kosten-Faktor, der bei jedem Straßenbauprojekt errechnet wird und letztlich über die Umsetzung entscheidet.

Dagegen verlangt die Baubranche ein klares Bekenntnis der Ampelkoalition zum Neu- und Ausbau von Straßen. Mi-chael Gilka, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e. V., appellierte, unter-schiedliche Verkehrsträger klug zu kombinieren. „Mit Sanieren allein ist es nicht getan“, unterstrich Michael Gilka. Das von einigen politischen Interessenvertretern praktizierte finanzielle gegeneinander Ausspielen der Verkehrsträger Schiene versus Straße ist kontraproduktiv für die Mobilität in Deutschland. „Stillstand wäre Rückschritt. Ohne ein funktionierendes Straßensystem würden die Wirtschaft und die Gesamtmobilität einen massiven Dämpfer erleiden“, betonte Michael Gilka. Darauf verwies auch eine im Jahr 2022 veröffentlichte Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zum Thema Infrastrukturprobleme: 78 Prozent der befragten Unternehmen werden durch Mängel in der Straßeninfrastruktur in ihrer Geschäftstätigkeit gehemmt. Am weitesten verbreitet sind Probleme mit dem Straßenverkehr. Von den Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, die sich durch Infrastrukturmängel beeinträchtigt sahen, hatten 83 Prozent Probleme mit Straßen und Brücken. Auch Ostdeutschland und Baden-Württemberg sind bei den Straßen besonders betroffen. Gegenüber 2018 treten auch Probleme mit dem Schiffsverkehr viel häufiger auf: 42 Prozent der generell beeinträchtigten Unternehmen haben Probleme mit Wasserstraßen und Häfen, 2018 waren es noch 15 Prozent. Beim Luftverkehr stiegen diese Anteile von 19 auf 33 Prozent.

Um die CO2-Emissionen im Verkehrssektor, bei der Asphaltproduktion und dem Einbau zu senken, sind neue Ideen nötig. Ein Weg wäre mit Blick auf Energie- und CO₂-Einsparungen der Einsatz von Niedrigtemperaturasphalt (NTA) – doch noch ist diese Bauweise nicht in die Regelwerke aufgenommen. Pilotvorhaben erproben derzeit die Anwendung in der Praxis. In Ostwestfalen-Lippe entlang der Meller Straße (L647) in Borgholzhausen wurde der NTA 2022 im Rahmen einer Deckensanierung verwendet. Dabei wurde die Asphalteinbautemperatur um etwa 30 Grad auf 130 Grad abgesenkt. Der Einsatz basiert auf einer Grenzwertänderung: Ab 2025 gilt ein neuer Arbeitsplatzgrenzwert von 1,5 mg/m³ für Aerosole und Dämpfe, die beim Einbau von Bitumen entstehen. Zurzeit werden Walzasphalte bei Temperaturen von im Mittel 160 Grad eingesetzt, der aktuelle Richtwert beträgt 10 mg/m³. „Es ist aber absehbar, dass der neue Grenzwert mit der aktuellen Einbautechnik, im Regelwerk festgelegten Asphaltzusammensetzungen und den damit verbundenen Einbautemperaturen nicht eingehalten werden kann“, erklärte Nina Flottmann vom zuständigen Referat Straßenbau und Landschaftsbau. Um die Aerosol- und Dampfbildung beim Einbauprozess zu reduzieren, kamen temperaturabsenkende Bindemittel im NTA und Absaugeinrichtungen am Straßenfertiger zum Einsatz.

Auch Forschungsvorhaben versuchen herauszufinden, wie der Straßenbau in Zukunft noch nachhaltiger werden kann. Smart Site Solutions startete darum gemeinsam mit der Reif Bauunternehmung, dem Makadamlabor Schwaben und der Universität Hohenheim das Forschungsprojekt „Künstliche Intelligenz für den nachhaltigen Straßenbau“. Dabei werden KI-Verfahren für die Echtzeitsteuerung von Asphaltbaustellen nach Kriterien der Nachhaltigkeit entwickelt, um die CO2-Emissionen im Bauprozess live zu messen und durch KI-basierte Optimierungsalgorithmen zu senken, ohne negative Auswirkungen auf Qualität, Kosten und Zeit. Ziel ist die Entwicklung intelligenter, datengetriebener Echtzeit-Steuerungsverfahren auf Basis von Technologien des maschinellen Lernens. Als Ergebnisse sollen digitale Tools für das CO2-Reporting und die Entscheidungsunterstützung entstehen. Mittels Sensoren und Schnittstellen sollen Daten über die gesamte Asphaltlieferkette hinweg erhoben werden. In der Cloud werden diese Daten dann in Echtzeit mittels KI-Verfahren analysiert. Dies ermöglicht die Ableitung von Handlungsempfehlungen für das bauausführende Personal. Die Projektergebnisse sollen Bauunternehmen helfen, Straßenbauprojekte durch eine CO2-optimierte Planung und Prozesssteuerung nachhaltiger auszuführen.

Auf einer Gesamtfläche von rund 18 000 Quadratmetern in Hamburg-Veddel baute wiederum die Strabag 2022 ihren luftreinigenden Clean Air (ClAir) Asphalt ein. Hinzu kamen CO2-sparende Tragschichten aus Niedrigtemperaturasphalt mit Schaumbitumen, wodurch auch die Aerosolbelastung für die Einbau-Kolonne deutlich reduziert wurde. Binder- und Deckschichten wurden ressourcenschonend mit einem auf 60 bis 80 Prozent erhöhten Recycling-Anteil im Asphaltmischgut realisiert. Außerdem ließ die Hamburg Port Authority (HPA) Temperatur- und Beschleunigungssensoren in den Asphalt integrieren, um künftig das Erhaltungsmanagement zu verbessern. Die Strabag hat ihren luftreinigenden und lärmmindernden Asphalt bundesweit bereits auf zahlreichen Pilotstrecken für kommunale Auftraggeber eingebaut. Das dafür eingesetzte Abstreumaterial aus mit Titandioxid versetztem, ultrahochfestem Beton baut dabei unter Einwirkung von UV-Strahlung in der Luft gebundene Stickoxide ab und wird direkt und dauerhaft in die heiße Asphaltoberfläche eingebunden.

Entsprechend groß sind auch die Potenziale, Asphalt zu recyceln. Auf einem hohen Niveau liegt die Wiederverwertungsquote beim Ausbauasphalt. „Durch ortsnahe Aufbereitung und Wiederverwendung mittels innovativer Gewinnungs- und Recyclingverfahren setzen wir den Kreislaufwirtschaftsgedanken hier nahezu optimal um“, erklärte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, als die Initiative Kreislaufwirtschaft Bau im Februar den Monitoring-Bericht mit den Daten zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle vorstellte. Oliver Nohse, Präsident des Deutschen Asphaltverbandes, stellte die Wiederverwendung von Asphalt als Baustoff ebenfalls auf den Deutschen Asphalttagen in Berchtesgaden in den Mittelpunkt seiner Ansprache: „Mit 84 Prozent Wiederverwendungsquote von Asphalt liegen wir vor dem Recycling der Glas- und Papierindustrie.“

Aber auch in der Stahlproduktion werden in Deutschland jedes Jahr über fünf Millionen Tonnen an Schlacke erzeugt – eine wertvolle Ressource, die zum größten Teil in den Straßenbau geht. Da Stahl- und Zementindustrie längst eng miteinander verzahnt sind, gilt es auch hier, Ressourcen zu schonen und Treibhausgase zu vermeiden. Die bisherigen Nebenprodukte der integrierten Stahlproduktion kommen seit Jahren insbesondere im Bauwesen zum Einsatz. Hochofenschlacken werden zu Hüttensand granuliert und dann etwa als Gesteinskörnung im Verkehrsbau genutzt. Das schont Ressourcen – insbesondere Kalkstein-, Sand- und Kieslagerstätten. Jedoch steht die Stahlindustrie derzeit vor einem strukturellen Wandel: Um CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, sollen in Deutschland Stück für Stück die traditionellen Prozesse der Stahlerzeugung mittels Hochofen-Konverter-Route auf eine Direktreduktion mit Einschmelzer umgestellt werden: Das bedeutet, dass Eisenerz zu festem Eisenschwamm reduziert und anschließend zu einem Elektroroheisen aufgeschmolzen wird. Dadurch entstehen chemisch und mineralogisch völlig veränderte Schlacken, deren Eigenschaften bisher weitgehend unbekannt sind. Etablierte Verwendungswege in der Bauindustrie müssen überprüft werden.

Neben der Wiederverwendung von Asphalt als Baustoff und der hohen Haltbarkeit der Asphaltbauweise liege die Zukunft der Branche auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in ihrer Innovationskraft. Die Digitalisierung von Prozessen in Herstellung, Logistik und Einbau biete das Potenzial, sowohl die Kosteneffizienz zu erhöhen als auch den CO₂-Fußabdruck zu verringern. Doch das allein wird nicht reichen. „Wir müssen die Akzeptanz der Straße in der Bevölkerung zurückgewinnen“, machte Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, klar. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur geht, die der Baubranche zu niedrig sind. Denn Asphaltmischwerke brauchen bei den kostenintensiven Investitionen auch Planungssicherheit. Seit 2015 stellt der Bund zwar wieder mehr Investitionsmittel für Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung, diese werden aber durch die steigenden Baupreise aufgezehrt. Für alle Verkehrsarten braucht es deshalb deutlich mehr Geld. Auch das deutsche Planungsrecht bremst den Ausbau aus.

März/April 2023