Handlungsbedarf Wetterextreme

Dieser Sommer hat seine Spuren hinterlassen. Aufgrund der langen Hitzeperiode gingen Wasserspiegel an Seen und Flüssen stark zurück, was die Schifffahrt einschränkte. Bauern beklagten massive Ernteausfälle aufgrund der Trockenheit. Es gab Wald- und Flächenbrände, aufgeplatzte Straßen und verformte Gleise. Unter den Temperaturen und der UV-Strahlung litten die Mitarbeiter von Baufirmen. Manches Bauunternehmen legte darum den Arbeitsbeginn vor und spendierte den Kolonnen Sonnenbrillen und Sonnencreme. „Hitzefrei, wie man das aus der Schule kennt, gab es für Arbeitnehmer in Deutschland nicht. Allerdings ist es für Beschäftigte, die im Freien arbeiten, Pflicht der Arbeitgeber, geeignete Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter umzusetzen“, so Klaus-Richard Bergmann, Hauptgeschäftsführer der BG BAU. Mit einer Durchschnittstemperatur von 19,3 Grad registrierte der Deutsche Wetterdienst den zweitwärmsten meteorologischen Sommer nach 2003, als Durchschnittstemperaturen von 19,6 Grad Celsius erreicht wurden. Rekordhitze und Dürreperioden auf der einen Seite und Starkregen mit orkanartigen Windböen auf der anderen Seite sind Wetterextreme, mit denen wir immer öfter rechnen müssen, prognostizieren Wissenschaftler und Forscher. Darauf müssen sich nicht nur Städte und Kommunen vorbereiten, sondern auch Planer, Architekten und Baufirmen müssen überlegen, wie Infrastruktur und Gebäude Wetterextreme abfangen können.

Besonders hart erwischt hat es zwischen 2002 und 2016 den Landkreis Deggendorf in Bayern. Zu dieser Einschätzung kommt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Er erstellte eine Langfristbilanz für die Regionen, die in dem Zeitraum am stärksten von Sturm, Hagel sowie Überschwemmungen durch Starkregen oder Hochwasser betroffen wurden. Das Ergebnis: Der Landkreis Deggendorf ist bundesweit über einen Zeitraum von 15 Jahren am schlimmsten von extremen Wetterereignissen eingeholt worden. Doch auch andere Kommunen müssen in Zukunft mit Wetterkapriolen rechnen. „Jede Stadt und jede Gemeinde in Deutschland muss sich auf den Schutz vor Extremwetterereignissen einstellen, um Schäden zu minimieren. Aber das kostet Geld, und die Kommunen dürfen als letztes Glied der Kette nicht auf den Problemen sitzen bleiben. Sie brauchen Unterstützung der Länder, um sich auf die Klimafolgen einstellen zu können und dann auch vor allem handeln zu können. Vieles ist bereits in Bewegung, aber es muss noch mehr passieren“, appellierte Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), an Bundesländer und Kommunen.

Klimaerwärmung, versiegelte Flächen und Abwärme von Heizungen, Industrie und Verkehr heizten Städte immer stärker auf, nachts kühlten sie kaum noch ab, so Bonde. Zunehmende Extremwetterereignisse mit langen Hitzeperioden und Starkniederschlägen hätten in den letzten Jahren in zahlreichen Städten bereits erhebliche Schäden verursacht. Zudem potenzierten der hohe Versiegelungsgrad, die dichte Bebauung und noch zunehmende Verdichtungsgrade das Auftreten von urbanen Überflutungen, Hitzestaus und Trockenheit. Es „wird und muss“ künftig darum gehen, vorbeugende Maßnahmen in Neubau und Bestand zu ergreifen, meinte Bonde. Erforderlich sei eine Stadtentwicklung, welche die Verwundbarkeit städtischer Infrastruktur gegenüber Hitze und extremen Niederschlägen verringern könne. Das Ausweiten bestehender und die Auflage neuer Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene sei dringend notwendig, um Kommunen die erforderliche Finanzierung personeller Ressourcen und Investitionen zu ermöglichen und Überflutungsvorsorge als Klimaanpassungsaktivität in die Breite zu tragen. Auch Gesetze, Verordnungen und technisches Regelwerk bedürfen dringend einer stärkeren Berücksichtigung von Überflutungsvorsorge und einer Anpassung an den veränderten Handlungsdruck durch die Zunahme von Starkregenereignissen.

Flachdächer, geneigte Dächer und insbesondere begrünte Fassaden etwa hätten positive Auswirkungen auf Umwelt, Natur, Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen und könnten stadtökologische Probleme und Auswirkungen des Klimawandels wie Starkregenereignisse oder Hitzeperioden entschärfen. Sie verbesserten das Mikroklima in den Städten, weil durch den Verdunstungseffekt die Umgebung abkühle und zudem Kohlenstoff gebunden werde. Ebenso trügen schattenspendende Großbäume in den Städten zur angenehmen Abkühlung von Straßenzügen bei. Regenwasser werde von der Substratschicht gespeichert und von den Pflanzen verdunstet. Das übrige Wasser gelange vom Dach erst mit zeitlicher Verzögerung in Kanalsysteme und Kläranlagen. Dazu Bonde: „Das verhindert bei Starkregen überflutete Keller und Straßen. Dickere Substratschichten und dichtere Bepflanzungen schützten im Haus vor sommerlicher Hitze.“

Treten große Niederschlagsmengen in kurzer Zeit auf, müssen die Wassermassen aufgenommen und abgeleitet werden. virtualcitySystems aus Grafing entwickelte ein neues dreidimensionales Simulationsverfahren, um besseres Hochwassermanagement in Kommunen zu ermöglichen. Es soll vor einem Starkregenereignis detaillierte Szenarien berechnen, die an den tatsächlichen Ablauf angepasst sind, innerhalb kurzer Zeit Entscheidungshilfen zur Planung von Abwehrmaßnahmen liefern und neues Wissen für zukünftige Prognosen berücksichtigen.

Während der natürliche Hochwasserschutz Überflutungen von vornherein verhindern soll, muss im akuten Fall von Hochwasser weiterhin auf technischen Hochwasserschutz zurückgegriffen werden. Mit der sogenannten AquaWand habe – so Bonde – das Startup-Unternehmen Aquaburg aus Münster mit Unterstützung der DBU einen intelligenten Objektschutz entwickelt, der innerhalb von 15 Minuten aufgebaut werden könne. Eine gegen Hochwasser und Treibgut sehr widerstandsfähige Schutzwand aus Kunststoffplane und Stahlseilnetz werde an den kritischen Stellen praktisch unsichtbar unter einer Abdeckung in einer Bodenrinne installiert. Im Falle eines drohenden Hochwassers könne die Konstruktion ohne Transportlogistik schnell und sicher aufgestellt werden. Weitere Vorteile dieser Schutzwand sind ihre Anerkennung durch Schadensversicherungsgesellschaften und ein geringer Wartungsaufwand.

Überschwemmungen, in Minutenschnelle geflutete Straßen, Unterführungen, Keller, Tiefgaragen und U-Bahnschächte – kaum eine Stadt oder Gemeinde ist darauf wirklich vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie, in der Professor F. Wolfgang Günthert vom Institut für Wasserwesen der Universität der Bundeswehr in München die Risiken und Gefahren von urbanen Sturzfluten untersucht hat. „Starkregen ist enorm gefährlich. Es gibt keine tagelange Vorwarnung wie etwa beim Hochwasser von Flüssen. Die Flut kommt quasi von oben – ohne Deich, ohne Schutz“, meinte Günthert, als er die von der Initiative „Wasser und Umwelt“ in Auftrag gegebene und vom Deutschen Baustoff-Fachhandel koordinierte Studie auf der Ifat im Mai in München vorstellte.

„Allerdings blenden die meisten Kommunen die Gefahren, die hinter dem wachsenden Starkregen-Risiko stecken, einfach aus. Das ist fahrlässig“, so Günthert. Der Studienautor geht noch weiter: „Die Kommunen müssen zu mehr Prävention gezwungen werden.“ Konkret fordert der Wissenschaftler, dass Städte und Gemeinden dazu verpflichtet werden, künftig Gefahren- und Risikokarten zu erstellen. Die Topografie mit lokalen Grünflächen und dem Gefälle, die Meteorologie, die Kapazität von Kanalsystemen … – Warnkarten entstehen aus einer Fülle von Daten, erklärt der Professor. „Auf diesen Risikokarten muss Straße für Straße – bis auf das einzelne Haus genau – die Überschwemmungsgefahr eingetragen werden. Es geht darum, mit der Starkregen- Risikokarte die Wirkung von Sturzfluten digital zu simulieren“, so Günthert. Warnkarten bieten seiner Meinung nach die Chance für ein effektives Regenwasser-Management, das bundesweit dringend notwendig sei. Städte könnten so „wassersensibel entwickelt“ werden. Dazu gehöre insbesondere das Transportieren, Reinigen, Speichern und Ableiten von Regenwasser. Die „Entwässerung der Zukunft“ für Wohnsiedlungen und Verkehrswege vermeide Engpässe im Kanalnetz. Sie schütze damit wesentlich besser vor Überschwemmungen. Aber auch Hausbesitzer würden von Starkregen-Risikokarten profitieren. Sie könnten damit ganz individuell mehr Vorsorge und damit Gebäudeschutz betreiben. „Es kommt darauf an, gezielt die Schwachstellen beim Haus zu ermitteln und diese umzubauen. Das bietet sich übrigens nicht nur für die Starkregen-Hotspots an. Heftige Gewitter mit anschließenden Überschwemmungen werden mehr werden – und sie werden auch immer mehr Kommunen treffen“, so Günthert.

Berlin soll Schwamm-Stadt werden. Foto: Stefan Erdmann

Berlin hat schon eine Vision, wie es die durch den Klimawandel hervorvorgerufene Starkregen samt Versickerung bewältigen will: Ganz nach dem chinesischen Vorbild einer Schwammstadt soll Regenwasser wie ein Schwamm aufgesaugt und wieder abgegeben werden, sobald das Wasser wieder benötigt wird. Denn am 29. Juni 2017 wäre Berlin beinahe kollabiert, angesichts der Wassermenge, die innerhalb von 18 Stunden vom Himmel fiel – das war so viel Regen wie er sonst in einem Vierteljahr zusammenkommt. Normalerweise fließen an einem Tag rund 550 000 Kubikmeter Abwasser durch die Kanalisation zu den sechs Klärwerken. Doch am 29. Juni 2017 war es doppelt so viel. Hinzu kamen rund 123 Tonnen Sand bei den Klärwerken an und mussten aus dem Abwasser entfernt werden – für gewöhnlich sind es an einem durchschnittlichen Tag sechs Tonnen. Weitere 2,8 Millionen Kubikmeter Regenwasser – zum Teil mit Abwasser gemischt – flossen ungereinigt in die Berliner Oberflächengewässer. Weil das Wasser nicht mehr über die Kanalisation geordnet abtransportiert werden konnte, will Berlin Schwammstadt werden. Das bedeutet: Flächen werden entsiegelt sowie Parks, Plätze und Straßen in Wasser-Zwischenspeicher umgewandelt. Auch Dachbegrünung, die zur Kühlung im Sommer und zur Entlastung der Abwasserkanäle durch den verzögerten Ablauf des Regenwassers beitragen soll, ist Teil des Programms. Für dessen Umsetzung machten Senat und Abgeordnetenhaus bis 2021 rund 94 Millionen Euro locker. Entwickelt werden sollen Lösungen für ein geordnetes Regenwassermanagement.

Vorbild Spongebob. Foto: Rice/pixelio.de

November/Dezember 2018