Heiliger BIMbam

Experten ist längst klar: BIM (Building Information Modeling) wird die Baubranche auf den Kopf stellen. Mithilfe von BIM lassen sich Bauprojekte mit weniger Fehlern effizienter steuern, ohne dass Baukosten aus dem Ruder laufen oder Bauprojekte zu lange dauern.
Denn BIM erfasst alle baurelevanten Daten auf einer Plattform, verknüpft sie und erstellt dann ein digitales Modell. Der Vorteil: Alle Beteiligten können so das fertige Bauprojekt schon in der Planungsphase virtuell begehen und schnell modifizieren. Außerdem können Bauunternehmen auf Basis der in BIM eingestellten Informationen und Angebote frühzeitig über Materialien und ausführende Firmen entscheiden. Doch für viele Baubetriebe ist BIM nach wie vor unbekanntes Terrain. Dabei beginnt digitales Planen und Bauen in Zukunft viele Geschäftsmodelle infrage zu stellen. Wer bei der neuen Technologie nicht mitmacht, riskiert aus dem Markt verdrängt zu werden – behauptet die neue Studie von Roland Berger, für die Experten aus der europäischen Bauindustrie befragt wurden.

Für viele Betriebe ist BIM ein unbekanntes Terrain. Foto: Lutz Stallknecht/www.pixelio.de

Ihnen zufolge soll sich der Markt für BIM-Anwendungen zwischen 2014 und 2022 von 2,7 auf circa 11,5 Milliarden Dollar vervierfachen. „Dabei geht es nicht nur um Kosteneinsparungen“, warnt Roland Berger-Experte Philipp Hoff: „BIM entwickelt sich zunehmend zum Standard für die gesamte Bauindustrie. Ohne Zugang zum System werden Unternehmen mittelfristig aus dem Markt gedrängt, da sie auf dieser Plattform nicht sichtbar sind und der Abstimmungsprozess mit ihnen zeit- und kostenaufwendig ist.“ Insbesondere die öffentliche Hand wird sich künftig verstärkt mit der digitalen Planungsmethode auseinandersetzen müssen. Denn ab dem Jahr 2020 wird die Nutzung von BIM bei öffentlichen Infrastrukturprojekten in Deutschland verbindlich sein. Bei Hochbauprojekten des Bundes müssen die Bauverantwortlichen schon heute ab einer Bausumme von mehr als fünf Millionen Euro prüfen, ob das jeweilige Vorhaben BIM-geeignet ist.

Das eigentliche Potenzial, das hinter Digitalisierung und Vernetzung steckt, liegt allerdings in der Bauindustrie meist noch ungenutzt brach, so die Unternehmensberatung Staufen – auch wenn per GPS gesteuerte Bagger längst Alltag auf deutschen Baustellen sind. Deren Beobachtung: Die Branche hat den Handlungsbedarf erkannt, hält aber nach wie vor beharrlich am alten System fest. Gerne beruft man sich auf die Unverträglichkeit von partnerschaftlichen Vertragsmodellen und der HOAI, mit ihrer strikten Trennung in Leistungsphasen. Auch wenn bei wesentlichen Branchenführern bereits seit einigen Jahren ein Umdenken in Richtung Kooperation zu verzeichnen ist, steht der flächendeckende kulturelle Wandel in der Branche noch aus. „Statt das Kundeninteresse im Blick zu haben, dominieren Kontrolle und Rechthaberei und es wird gegen- statt miteinander gearbeitet“, schildert Staufen-Berater Robert Farthmann die tägliche Praxis. „Das geht hin bis zu kräftezehrenden und teuren Rechtsstreitigkeiten, mit denen am Ende keinem gedient ist, weil die Qualität leidet und sich die Fertigstellung der Baustelle meist deutlich verzögert.“

Die deutsche Bauindustrie verliert den Anschluss, weil trotz technisch hohem Niveau die Zusammenarbeit nicht gelingt. Die starken Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung der Baubranche ergeben – und das nicht nur in technischer, sondern auch in organisatorischer und personeller Hinsicht – werden alle Marktteilnehmer dazu zwingen, ihre Geschäftsmodelle zu revidieren und liebgewonnene Geschäfts- und Projektabläufe anzupassen.

Wie ein Projekt phasenübergreifend im Team gemeistert werden kann, ist hingegen oft auf internationalem Parkett zu beobachten. So sind digitale Methoden am Bau im Ausland fast schon selbstverständlich. „Mit BIM können und werden heute schon alle relevanten Gebäudedaten mithilfe einer Software digital modelliert und geometrisch visualisiert“, so Robert Farthmann. „Diese Daten gilt es nun entlang des gesamten Lebenszyklus eines Projektes zu synchronisieren und allen Beteiligten zugänglich zu machen.“

Was mit Building Information Modeling für ein Unternehmen verbunden ist, geht nicht nur weit über den Kauf einer entsprechenden Software und den Ausbau einer relevanten IT-Infrastruktur hinaus, sondern hat weitreichende Auswirkungen. Denn durch BIM können zum Beispiel Architekten und Planer direkt über Dienstleister und Materialien entscheiden. Außerdem werden etwa Bauprojekte mit niedrigen Margen noch stärker unter Druck stehen; lukrative Nachträge für Bauunternehmen fallen weg oder werden weniger. Und auch Generalunternehmer und Baustoffhändler werden deutlich an Einfluss verlieren, da die Material- und Produktentscheidung im Bauprozess immer weiter nach vorne verlagert wird. „All das bedeutet, dass sich die Geschäftsverhältnisse innerhalb der Bauindustrie verändern: Designer und Planer werden direkt mit Baustoffherstellern in Kontakt treten“, erklärt Kai-Stefan Schober. „Händler sollten ihre Geschäftsmodelle überdenken und sich zum Beispiel als Anbieter modularer Baukästen für ganzheitliche Baustofflösungen auf dem Markt etablieren.“

Um Betriebe der Baubranche hier in Zukunft zu unterstützen, haben die baugewerblichen Verbände eine Broschüre mit dem Titel „Bauen 4.0 – Digitale Chancen für das Baugewerbe“ aufgelegt. Firmen wird bei der Einführung von BIM geraten, „mit einem relativ einfachen Bauvorhaben zu beginnen und es parallel konventionell und digital mit BIM zu realisieren.“ So lassen sich Erfahrungen aus- und Kompetenzen Schritt für Schritt aufbauen.

Ein weiterer Tipp aus der Roland-Berger- Studie: Beim digitalen Wandel sollten Firmen allerdings ihre Belegschaft nicht vernachlässigen; ihre Mitarbeiter sollten sie auf neue digitale Prozesse und Technologien vorbereiten. Denn beim BIM geht es nicht nur um den Einsatz von digitalen Werkzeugen, sondern um eine digitale Unternehmenstransformation. Dazu erklärt Mirco Beutelspacher, Partner bei Drees & Sommer: „Besonders in komplexen Projekten entfaltet BIM sein volles Potenzial. Denn die Methode ermöglicht schon bei der Planung, die Anforderungen einer Vielzahl von beteiligten Akteuren besser zu koordinieren und zusammenzuführen. Wer als Bauherr BIM richtig einsetzt beziehungsweise einsetzen lässt, kann somit Termin-, Kosten und Qualitätsrisiken verringern. Realisieren kann ein Auftraggeber diese und weitere Vorteile jedoch nur, wenn BIM bei seinem Bauvorhaben richtig aufgesetzt und professionell betrieben wird. Das gelingt nur mit den entsprechenden BIM-Experten auf Seiten des Bauherrn, beim Projektmanagement sowie bei den Planern“. Entsprechend umfangreich ist der Bedarf an qualifizierten Fort- und Weiterbildungsangeboten für Mitarbeiter von Baufirmen. Hierfür muss auch entsprechend Zeit eingeplant werden, um BIM-Wissen aufzubauen. Diese Aufgabe ist für alle Beteiligten weit größer als die technische Ausrüstung. BIM erfordert nicht nur neue oder zusätzliche Mitarbeiter, sondern ein Team, das über entsprechendes Know-how verfügt. Unternehmen müssen ein solches aufbauen und neue Aufgaben verteilen.

Was die Implementierung der BIM-Methodik erschwert, ist ein einheitlicher Standard, welcher die Verantwortlichkeiten und Funktionsweise von Building Information Modeling im Planungs- sowie Geschäftsprozess  genau definiert. Vielfach kennen Vertreter der Branche nicht die Prozesse und Vorgänge, die im Vorfeld geklärt werden müssen, bevor mit BIM gearbeitet werden kann. Das animierte etwa Drees & Sommer in einem BIM-Praxisleitfaden ein einheitliches Rollenverständnis und die Hauptprinzipien der Methode festzuhalten. Dazu Peter Liebsch, Leiter Digitale Prozesse und Werkzeuge bei Drees & Sommer: „In Deutschland gibt es anders als in Großbritannien bisher noch keine nationalen BIM-Standards. Das erschwert eine klar definierte und einheitliche Vorgehensweise, wenn BIM angewendet wird. Doch damit die digitale Methode einwandfrei funktioniert, müssen BIM-Verantwortlichkeiten sowohl im Planungs- als auch im Bauprozess einheitlich und eindeutig sein.“

November/Dezember 2017