Konjunktur wird zur Belastungsprobe für die Baubranche

Auch der Chef von Roland Berger hat es getan: Stefan Schaible stellte gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel klar: „Wenn gefühlt jede zweite Rolltreppe in einem Land kaputt ist, dann sagt das was.“ Er stimmte damit ein in das Klagelied über den Wohlstandsverlust. So wie er schlagen Unternehmer und Wirtschaftsverbände deutschlandweit Alarm und warnen davor, dass unser Wohlstand in Gefahr sei, sollte die Politik nicht rasch handeln. Seit der Energiekrise beschwören Untergangspropheten ein Untergangsszenario Deutschlands herauf. Aber ist die Lage wirklich so mies, wie sie allerorts dargestellt wird?

Die Stimmungslage der mittelständischen Wirtschaft hat sich im Frühjahr 2024 noch mal weiter verschlechtert. Das zeigt die aktuelle Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung aus Neuss. „Die Hoffnung auf eine Konjunkturerholung nach dem dritten Krisenjahr wird sich nicht erfüllen. So schlecht wie jetzt war die Stimmung im Mittelstand seit der Weltfinanzkrise nicht mehr“, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Die Geschäftserwartungen sind pessimistischer als im Vorjahr und liegen auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren. Die aktuell schwache Baukonjunktur und Industrieproduktion bremsen die Geschäftsentwicklung im Mittelstand erheblich. Neben den Kriegen in Osteuropa und im Vorderen Orient trägt auch die derzeitige Wirtschaftspolitik zur hohen Verunsicherung bei. „Die Abschwächung der Inflation hat bei den Unternehmen bisher noch keine positiven Effekte hinterlassen“, erläuterte Patrik-Ludwig Hantzsch. Weiterhin überwiegen die Nachwirkungen der Teuerung. Die weitere Auftrags- und Umsatzentwicklung wird im Mittelstand eher pessimistischer eingeschätzt als in den Vorjahren. Hohe Finanzierungskosten und pessimistische Konjunkturaussichten dämpfen zudem die Investitionsbereitschaft erheblich. „Die globale Nachfrage nach Investitions- und Vorleistungsgütern bleibt schwach und wirtschaftspolitische Unsicherheiten bestehen weiter. Viele Unternehmen verschieben daher ihre Investitionsentscheidungen“, erklärte Lara Zarges, Konjunkturexpertin am ifo-Institut. Die industrielle Basis in Deutschland bröckelt immer mehr“, bestätigte auch IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. „Schon viel zu lange sind wir in einer Investitionskrise.“ Aus der Politik kämen kaum Impulse, das müsse sich dringend ändern. „Es fehlt ein kompromissloser Konjunkturbooster, bisherige Ansätze wie das Wachstumschancengesetz sind zu schwach und werden kaum Wirkung zeigen“, lautete die Diagnose von Michael Grömling.

Angesichts mangelnder Wachstumsimpulse schlagen Unternehmer und Wirtschaftsverbände deutschlandweit Alarm und warnen davor, dass unser Wohlstand in Gefahr sei. Foto: Pixabay/Nattanan Kanchanaprat

Dass Geld fehlt, macht sich auch im Bundesfernstraßenbau bemerkbar. Aktuell fehlen 9,7 Milliarden Euro für Neu- und Ausbau, Erhalt und Betrieb aller Bundesfernstraßen für die nächsten vier Jahre, meldet die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB). „Das ist eine mittlere Katastrophe, die wir so fast schon prophezeit haben“, reagierte der zuständige Geschäftsführer Daniel Jonas auf die Situation. Ihr Hauptgeschäftsführer Michael Gilka forderte parallel die Bundesregierung auf, massiv nachzubessern: „Hier geht es nicht um einen Schönheitswettbewerb, hier geht es schlicht um elementare Notwendigkeiten, damit unsere Infrastruktur und Wirtschaft keinen massiven Schaden erleiden.“ Darüber hinaus habe die Bauwirtschaft auf die Ankündigungen der Regierung hin erhebliche Kapazitäten aufgebaut. „Es kann nicht sein, dass die jetzt alle ungenutzt stillstehen – den zunehmenden Wettbewerbsdruck aufgrund stockender Ausschreibungstätigkeit spüren unsere Unternehmen schon jetzt“, ergänzte Daniel Jonas. Mehrfach wurden bereits verlässliche überjährige Finanzmittel bereits in der Vergangenheit gefordert. „Wir haben bewusst eine überjährige auskömmliche Mittelbereitstellung eingefordert, damit das jährliche Zittern um Bauaufträge endlich einmal endet“, blickte BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka zurück. „Und jetzt ist genau das eingetreten, wovor wir unermüdlich gewarnt haben“, fügte Geschäftsführer Daniel Jonas hinzu.

Die schlechte Entwicklung droht nach langer Zeit erstmals auch den Arbeitsmarkt nach unten zu ziehen. In manchen Unternehmen steht ein Beschäftigungsabbau bevor, so das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Nur 23 Prozent der Firmen suchen laut einer Konjunkturumfrage zusätzliche Mitarbeiter. Dagegen rechnen 35 Prozent damit, Stellen abbauen zu müssen. Besonders tangiert es hier die Industrie: Fast vier von zehn Unternehmen planen einen Beschäftigungsabbau, im Baugewerbe sind es 36 Prozent.

Was die Baubranche betrifft, stellt der deutliche Rückgang der Bauaktivitäten Unternehmen vor existenzbedrohende Herausforderungen. „Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Anstieg der Insolvenzen in der Baubranche zwischen zehn und 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, so Michael Karrenberg, Regional Director Risk Services Germany, Central and East Europe des internationalen Kreditversicherers Atradius. Aber auch die weiter steigende Bürokratie belastet Unternehmen. Ein Hebel wären hier weniger ambitionierte Energiesparvorgaben und Bauvorschriften, wie es Branchenexperten regelmäßig fordern. „Wichtig ist, dass Wirtschaft und Politik umgehend gemeinsame Lösungen umsetzen, um die Wirtschaft, vor allem die Baukonjunktur, langfristig zu unterstützen und zu stärken. Das Handwerk muss Maßnahmen wie die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, die Ausbildung der Fachkräfte und die Erschließung neuer Absatzmärkte vorantreiben. Dafür bedarf es einer hohen Investitionsbereitschaft, die nur mit langfristigen, verlässlichen politischen Maßnahmen zu realisieren ist“, machten Präsident Kurt Krautscheid und Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich von der Handwerkskammer (HwK) Koblenz deutlich, die 3 000 Mitgliedsunternehmen zur Konjunktur befragte.

Getrieben wird die negative Stimmung in der Baubranche vor allem durch die aktuelle Lage im Wohnungsbau, aber auch im gewerblichen Hochbau – insbesondere aufgrund des Mangels an neuen Aufträgen, fehlenden Arbeitskräften, höheren Preisen und Finanzierungskosten sowie einem erhöhten Ausfallrisiko der Bauträger und Projektentwickler. „Es mangelt an neuen Aufträgen“, sagte Michael Karrenberg. Aktuell am stärksten betroffen sind Firmen im kleinen und mittleren Segment, da diese mit geringeren finanziellen Mitteln ausgestattet sind. Erschwerend kommt hinzu, dass das ambitionierte Ziel der Bundesregierung, den Wohnungsmangel durch den Bau von jährlich 400 000 neuen Wohnungen zu bekämpfen, bei Weitem nicht erreicht wird. So wurden im vergangenen Jahr nach bisherigen Angaben nur etwa rund 245 000 Wohnungen fertiggestellt. Neben dem Wohnungsbau ist der Wirtschaftsbau derzeit problematisch. „Angesichts der steigenden Kosten können Projekte vielfach nicht mehr profitabel abgewickelt werden“, so Michael Karrenberg. Die Krise treffe dabei besonders Projektentwickler, die während der niedrigen Zinspolitik Grundstücke gekauft, vermarktet und ein Projekt nach dem anderen entwickelt hätten, ohne auf die Rentabilität zu achten.

Angesichts des anhaltenden und sogar steigenden Bedarfs an Wohnraum, dem Ausbau der Energieinfrastruktur und der Mobilitätswende blieben die Perspektiven der Baubranche trotz der aktuellen negativen Delle positiv. „Wir brauchen für die Zukunft eine funktionierende und gut aufgestellt Baubranche“, äußerte Michael Karrenberg und fügte hinzu: „Die aktuelle Marktbereinigung ist nicht gesund.“ Schließlich verliere die Branche aufgrund der bestehenden Herausforderungen zahlreiche Unternehmen, die mittel- und langfristig eigentlich benötigt würden.

Erste Anzeichen einer Erholung in der Baubranche machte jüngst Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland aus. Sie wolle die Krise nicht kleinreden, aber mit Blick auf den Rückgang der Baugenehmigungen gebe es noch einen Auftragsberg, der zeige, dass in Zukunft noch viel gebaut werde. Was ihr zufolge noch dafür spreche, sei, dass sich das Preisniveau etwa bei Baumaterialien wieder auf ein normales Niveau eingependelt habe und Bauzinsen gesunken seien.

Bereits von einer Trendwende zu sprechen, wäre allerdings noch zu früh. Zwar ist der reale (preisbereinigte) Auftragseingang im Bauhauptgewerbe nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Februar 2024 gegenüber Januar 2024 kalender- und saisonbereinigt um 1,8 Prozent gestiegen. Dabei nahm der Auftragseingang im Hochbau erneut ab, während er im Tiefbau zulegte, was auf Infrastrukturmaßnahmen bei der Energieversorgung sowie dem Schienen- und Nahverkehrsausbau zurückzuführen ist. „Die bundesweiten Wohnungsbauaufträge erreichten im Februar knapp 1,4 Milliarden Euro. Wir sehen nach 22 Monaten zum ersten Mal kein Minus bei den Wohnungsbauordern. Mit Blick auf die Baugenehmigungen ist das aber noch kein Wendepunkt. Die Genehmigungen sind Voraussetzung für die Aufträge und waren im Februar weiter negativ verlaufen. Die Situation ist und bleibt festgefahren. Hohe Finanzierungskosten und zu hohe Anforderungen bei der Förderung verhindern viele Investitionen auf dem Wohnungsbaumarkt“, beschrieb Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe, die Lage. Er geht davon aus, dass sich diese zwiespältige Entwicklung in den nächsten Monaten wohl fortsetzen werde. 

Um die Branche zukunftsfähig aufzustellen, bedürfe es daher neben der Eigenverantwortung der Unternehmen auch der Unterstützung durch die Politik. Die Regierung hat bereits Maßnahmen eingeleitet, wie etwa bessere Abschreibungsmöglichkeiten (degressive Abschreibung auf Abnutzung (AfA)) für den Wohnungsbau, die Anhebung der Einkommensgrenze für die Wohneigentumsförderung für Familien von 60 000 auf 90 000 Euro pro Jahr, ein millionenschweres Förderprogramm für klimafreundliche Neubauten oder ein Förderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für die Umwandlung von leerstehenden Gewerbeimmobilien in Wohnraum. Allerdings seien nach Ansicht von Atradius weitere Maßnahmen notwendig, wie etwa ein umfassendes Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau, schnellere Genehmigungen oder die Förderung von seriellem, modularem Bauen. Bei Letzterem werden mehrfach produzierbare Gebäudeteile oder Module, wie in einer Automobilfabrik, ganz oder teilweise in einem Werk vorgefertigt und vor Ort dann zusammengefügt. Dies spart Zeit und Kosten. Dazu Michael Karrenberg: „Inmitten dieser Krise liegt eine Chance zur Neuerfindung und Anpassung, die nicht nur durch die Überwindung aktueller Hürden, sondern auch durch die Umarmung digitaler Transformation und nachhaltiger Bauweisen definiert wird.“

Mai 2024