Sondervermögen als historische Chance

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung: Dass in Deutschland viel passieren muss, um die marode Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen und damit Wirtschaft sowie Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, ist unbestrittener Common Sense. Das zweckgebundene Sondervermögen bietet der Baubranche eine einmalige, historische Chance, sofern die Gelder auch zügig abgerufen werden. Allein die Ankündigung erzeugte eine Aufbruchstimmung, die auf der bauma in zahlreichen Gesprächen spürbar war und in Verkaufsabschlüssen mündete. Doch ein Aufbruch kann nur entstehen, wenn es gelingt, 500 Milliarden Euro effektiv einzusetzen und die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sonst wird es nichts mit dem Modernisierungsschub für Straßen, Brücken und Schienen und dem Wachstumsmotor für die Wirtschaft, auf den unser Land so dringend angewiesen ist.

Bildquelle: Adobe Stock/Anoo

Vorhaben, in denen das Geld gut angelegt wäre, gibt es viele. Doch damit die Mittel ihre Wirkung entfalten können und die geplanten Effekte nicht verpuffen, braucht es mehr als nur Bagger. Endlose Planungsverfahren und langwierige Genehmigungsprozesse dürfen nicht zum Hindernis für den Einsatz des Sondervermögens werden. Es wird nicht ausreichen, nur zu sagen, dass sich hier was ändern muss. Den Worten müssen konkrete Reformen bei der Vergabe und Beschaffung folgen, um bei den Verfahren Tempo zu machen. Der Berliner Baurechtsexperte Professor Ralf Leinemann drängt zum Beispiel darauf, die Vergabe von Fach- und Teillosen für größere Infrastrukturaufträge abzuschaffen. Planung und Bau von Großprojekten gehören in eine Hand. Sein Vorschlag: schnell viel Strecke machen – und das in einem Stück. Dafür braucht es schlankere Prozesse – nach der Devise: Weniger ist mehr. Das heißt, Verfahren weiter digitalisieren und entbürokratisieren. Ein Ansatz: Nachweise und Zertifikate bei öffentlichen Aufträgen müssen nicht alle Anbieter bringen, sondern nur die nachreichen, die in der Bieterliste Platz eins und zwei belegen. Hier muss die Politik den Mut haben, Ausnahmen zuzulassen. Nötig sind auch eine klare Strategie, eine Priorisierung bei den Ausschreibungen sowie eine geordnete Koordination der Projekte, die kurz-, mittel- und langfristig umgesetzt werden müssen. Ersatz vor Neubau von Brücken ist eine weitere Schlussfolgerung, wenn man sich deren Zustand anschaut. Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden war ein Weckruf, der sich so nicht wiederholen darf.

Wer schlagkräftig sein will, wenn sich Deutschland zu einer Großbaustelle wandelt, muss auf die nötigen Kapazitäten zugreifen können: Das betrifft die öffentlichen Ämter genauso wie die Baufirmen. Wer bauen will, braucht Fachkräfte und Ressourcen, ob Baumaterial oder Baumaschinen. Das alles muss schnell abgerufen werden können. Eine akribische Vorbereitung war schon immer der Schlüssel zum Erfolg. Darauf sollten sich Bauunternehmen einstellen, wenn sie einen Vorsprung haben wollen, indem sie Personal gewinnen und entsprechend für die bevorstehenden Aufgaben qualifizieren. Dazu gehören auch Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen auf den Baustellen oder in der Verwaltung. Somit darf das Sondervermögen nicht nur als Konjunkturpaket verstanden werden, sondern auch als Instrument der Modernisierung. Wer hier die Weichen stellt, schafft gute Voraussetzungen, von dem Sondervermögen zu partizipieren. Das gilt auch, wer Anforderungen im Hinblick auf ressourcenschonendes Bauen erfüllen kann. Hierauf wird nicht nur der politische Fokus liegen, sondern auch Banken werden ein Auge bei der Kreditvergabe darauf haben, wie sich Bauunternehmen dann positionieren. Und das ist wiederum eine Chance für Firmen, den Wandel mitzugestalten.