Eine schwache Konjunktur, hohe Inflation sowie Auswirkungen geopolitischer Spannungen und Konflikte lassen den wirtschaftlichen Druck auf Baufirmen steigen. Die Branche befindet sich ohnehin vor einem Wendepunkt, hervorgerufen durch Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel, die Unternehmen herausfordern. Wie stark sie in Zukunft dem Wandel unterliegen und sich im Umbruch befinden, darüber scheiden sich die Geister, wie eine Studie vom Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau IRB ans Licht brachte. Sie untersuchte die Meinung der Bauakteure zum Wandel, um herauszufinden, inwieweit die Transformation schon im Alltag angekommen ist. Doch die entscheidende Frage ist: Welche Technologien haben das Potenzial dazu, Veränderungen herbeizuführen und werden sich durchsetzen? Autoren wie Melissa Köhler, Katrin Jochum, Michael Brüggemann, Albrecht Franz und Simon Buchart haben zahlreiche Interviews geführt, um die Stimmung in den Unternehmen zu erfassen, bei welchen Themen für Unternehmen großer Handlungsbedarf besteht und wo die Chancen liegen, sich als Betrieb für die Zukunft zu rüsten.
Zwar glaubt die Mehrheit der Befragten (50 Prozent), dass der Baubranche eine Transformation bevorsteht, doch im Alltag sehen sie davon wenig – ein Wendepunkt sei noch nicht in Sicht. Ganze 25 Prozent der Befragten haben ihre Zweifel, ob die Branche überhaupt einer Transformation ausgesetzt ist. Die anderen 25 Prozent sind jedoch überzeugt: Die Transformation ist bereits voll im Gang. Es betrifft vor allem Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Für ausbaufähig halten sie Innovationen und Know-how beziehungsweise Weiterbildung, insbesondere etwa bei der strategischen Fachkräftesicherung – es fehlt jedoch an ausreichend konkreten Maßnahmen, um so Potenziale für die betriebliche Praxis zu heben. Dies betrifft auch Technologien wie künstliche Intelligenz. Als deutlich gering wahrgenommen wird der Druck, Innovationen umzusetzen. „Durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und gezielte Weiterbildungsmaßnahmen können wir die Transformation aktiv vorantreiben“, erklärt Dr. Albrecht Franz, Studien- und Bereichsleiter beim Fraunhofer IRB. Auf diese Weise lassen sich Wettbewerbsvorteile realisieren und sowohl aktuelle als auch zukünftige Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Denn klar ist auch: Die Branche steht unter Druck, meint Dr. Albrecht Franz. „Aufgrund der Komplexität der Transformation ist es sehr schwer, die richtigen Hebel zu identifizieren“, so der Bereichsleiter.
Ob mit dem Internet der Dinge, Blockchain, Drohnen, Robotik – die Liste der innovativen Technologien ließe sich fortsetzen. Marktforscher von Bauinfoconsult haben ebenfalls in einer Perspektive von drei beziehungsweise zehn Jahren auf Basis einer repräsentativen Befragung unter Architekturbüros untersucht, welche Technologie das Potenzial hat, die Baubranche langfristig zu revolutionieren. Dabei zeigt sich: Bereits jetzt spielen Themen wie nachhaltiges Bauen, gezielte Abfallvermeidung auf der Baustelle oder die Nutzung sogenannter „biobasierter“ Baustoffe in der Baupraxis eine wichtige Rolle – und das soll sich bis 2027 noch verstärken. Als am Markt erst langsam Fuß fassende Zukunftstrends im eigentlichen Sinne erweisen sich die einschlägigen datenbasierten Digitaltrends: So hat das Internet der Dinge aktuell nur für jedes zehnte Projekt der deutschen Architekturbüros eine sehr starke oder starke Bedeutung. Noch seltener sind praktische Anwendungen von KI, Blockchain-Technologie oder Robotik. Durch dieses niedrige Erwartungsniveau sind allerdings auch die erwarteten Wachstumsraten bei den digitalen Anwendungen bis 2027 umso fulminanter: So rechnet ein Drittel der deutschen Planerfirmen etwa bei Anwendungen des Internets der Dinge am Bau im Jahr 2027 mit einer hohen Relevanz dieser Technologie für ihre Bauprojekte – das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Ist-Zustand um das 200fache. Bei den aktuell noch marginaler in Projekten präsenten Trends wie KI, Blockchain oder Robotik sind die Wachstumsraten bis zum Jahr 2027 sogar noch deutlich höher. Allerdings dürfte momentan auch die geringere konkrete Erfahrung der Architekturprofis mit diesen eher abstrakt wirkenden Digitaltrends die Einschätzungen des Potenzials für die Befragten erschweren. Das zeigt das Beispiel Bauen mit Drohnen. Die Anwendung am Bau ist in den Projekten der befragten Akteure noch kaum verbreitet. Dennoch kann man sich die Anwendung – etwa zur Bauüberwachung oder für schwierig einsehbare Installationssituationen – recht konkret vorstellen. Dementsprechend hoch (womöglich sogar zu optimistisch) fällt die Erwartung von über der Hälfte der Architekturbüros zum Drohneneinsatz bis 2027 aus.
Doch mindestens genauso entscheidend dürfte sein, wie es gelingt, sich der Transformation zu stellen. Ein Ansatz wäre daher, mehr Kooperationen zu wagen, um gemeinsam die anstehenden Herausforderungen besser bewältigen zu können. Denn auf der einen Seite wächst die Komplexität bei Bauprojekten, auf der anderen Seite stehen die Beteiligten unter großem Druck, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, wenn sie Bauvorhaben in Zukunft nachhaltig und womöglich klimaneutral abwickeln wollen. Daher kann eine engere Zusammenarbeit für verschiedene Partner Vorteile bieten. Zumal ein Unternehmen allein kaum selbst in der Lage sein wird, eine ganze Branche mithilfe von Innovationen umzukrempeln. Wenn es um Innovationen geht, bieten sich Kooperationen mit Forschungseinrichtungen an. Eben erst haben die Strabag und die TU Wien ihre Kräfte gebündelt, um gemeinsam und in interdisziplinären F&E-Projekten Lösungen zu entwickeln, die dem nachhaltigen und digitalen Bauen dienen. Erkenntnisse aus bestehenden Forschungsaktivitäten der Partner werden systematisch zusammengeführt. Die inhaltlichen Schwerpunkte werden über den regelmäßigen Austausch in gemeinsamen Gremien festgelegt. „Forschung und Lehre der TU Wien unterstützen heute und in Zukunft bei der Bewältigung der drängenden globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel – und bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele in allen Dimensionen: ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Das schaffen wir nur gemeinsam in einem Innovationsökosystem Wissenschaft-Wirtschaft und unter Berücksichtigung der Anforderungen aus der Gesellschaft“, so Jens Schneider, Rektor der TU Wien. Durch die Zusammenarbeit ergeben sich wiederum für die Strabag Kontaktmöglichkeiten, um mit Nachwuchstalenten ins Gespräch zu kommen.
Auch in der Region Berlin-Brandenburg wurde eben erst ein neues Forschungsnetzwerk aus der Taufe gehoben, das an der nachhaltigen Transformation des Bausektors arbeiten will. Es ist ein Zusammenschluss von Professuren der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, der Fachgebiete Natural Building Lab und Habitat Unit der TU Berlin, der PaludiZentrale sowie Bauhaus Erde. Gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern aus Industrie, Praxis, Wissenschaft und Politik. Sie wollen Lösungen finden, wie regionale und kreislaufgerechte Wertschöpfungsketten für Baumaterialien aufgebaut werden. Dieses Potenzial zu heben, ist unter anderem die Idee für eine gemeinsame Plattform zur Präsentation von Projekten, zur Bereitstellung von Wissen, zur Information über künftige Veranstaltungen und zur Vernetzung in der Region. „Für die klimagerechte Transformation des Bausektors brauchen wir eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Stakeholder. Nur mit einem gegenseitigen Verständnis für die Herausforderungen und Chancen aller Beteiligten kann diese Mammutaufgabe gelingen“, ist Professor Tobias Cremer von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde überzeugt.
Eine engere Zusammenarbeit im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung trieb auch das weltweit tätige Planungs- und Beratungsunternehmen Arup zu einer Partnerschaft mit Concular, einem Software-Entwickler im Bereich zirkuläres Bauen. Gemeinsam bündeln sie ihr Know-how: Arup, mit mehr als 75 Jahren internationaler Erfahrung in den Bereichen Architektur und Ingenieurbau, implementiert kreislaufgerechte Prozesse in seine Planungs- und Beratungsleistungen. Conculars Stärke liegt in der digitalen Expertise bei Gebäudedaten sowie der Entwicklung von Sanierungs- und Rückbaukonzepten. Durch den Einsatz der von Concular entwickelten Software wird eine umfassende Berichterstattung über die Kriterien des kreislaufgerechten Planens und Bauens sichergestellt, wie eine Ökobilanz für Zertifizierungen nach DGNB oder QNG oder auch den verpflichtenden Gebäuderessourcenpass. Auf Portfolio-Ebene können Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Dadurch wird der ökonomische Vorteil geschlossener Materialkreisläufe messbar und bietet Kunden einen klaren Nachweis zur Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele und eine transparente Berichterstattung. Durch die Digitalisierung wird der zirkuläre Prozess nicht nur vereinfacht, sondern auch auf moderne Planungsanforderungen abgestimmt. Dies führt zu erheblichen Einsparungen bei den Entsorgungs- und Beschaffungskosten.
Aber auch die fehlenden Nachfolger in Bauunternehmen sowie der Fachkräftemangel können ein Impuls für Kooperationen sein. So haben sich 13 regional tätige und eigenständige mittelständische Unternehmen der Baubranche unter dem Dach der Terras-Tiefbau-Gruppe zusammengetan. Gemeinsam wollen sie ein deutschlandweites Netzwerk für Zusammenarbeit im Bereich Infrastrukturum- und -ausbau entwickeln. Aufgaben sieht die Firmengruppe in der Energie- und Mobilitätswende sowie dem Aufbau und der Sanierung der deutschen Infrastruktur. In der Kombination aus regional verankerten Unternehmen und national tätigen Spezialisten will sie Kunden eine hohe Fertigungstiefe anbieten.
Firmen müssen sich nicht nur neu ausrichten, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sich verändern, sondern auch, weil Kunden andere Anforderungen stellen. So erfordert beispielsweise der Wohnungsbau eine Transformation, weil sich Wohnbedürfnisse und Wohnpräferenzen im Zuge steigender Wohnkosten, staatlicher Eingriffe, des soziodemografischen Wandels und eines wachsenden Umweltbewusstseins ändern. Während in den letzten zehn bis 15 Jahren vor allem die Themen Immobilienpreise, Zinsen, Bezahlbarkeit und ökologische Sanierung im Vordergrund standen, kristallisieren sich nun andere Megatrends heraus, die erhebliche Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt haben werden. Es geht um einen soziodemografischen Wandel, ausgelöst durch neue Lebensstile, die flexible Wohnkonzepte erfordern. Um den Energieverbrauch zu reduzieren, wird nachhaltiges Wohnen an Bedeutung gewinnen. Hierbei können Smart-Home-Technologien unterstützen, sodass digitale Lösungen noch weiter nachgefragt werden.
Doch um diesen Wandel auch zu gestalten, braucht es entsprechende Fachkräfte, die sowohl Branchenwissen vorweisen können als auch was von der IT verstehen. Schließlich verlangen ESG-Berichtspflichten, Klimaziele und anspruchsvolle Mieter – sprich Investoren – nach Daten rund um die Gebäude-Erstellung und den Betrieb. Investitionsentscheidungen in Bauvorhaben werden künftig zunehmend datengetrieben sein. Hierbei wird auch KI eine Rolle spielen, wenn Investmententscheidungen anstehen. Doch dafür werden IT-Fachkräfte wie KI-Experten, Data Scientists und Programmierer benötigt. Dass hier die Immobilienwirtschaft vor einer digitalen Transformation steht, war das Fazit bei einem von Rueckerconsult organisierten Online-Panel. Dort machte Matthias Höppner, Geschäftsführer bei RecToCon, darauf aufmerksam, dass der Branche der „Coolness-Faktor“ fehlt und sie unter anderem bei Fachkräften aus den Bereichen IT und Software-Entwicklung zu wenig sichtbar ist. „Viele Bewerber wissen zudem wenig über die anstehenden digitalen Herausforderungen in der Immobilienbranche. In der Real-Estate-Branche wird oft in Objekten gedacht, im Tech-Umfeld hingegen in Datenströmen. Das zusammenzubringen und dann noch die Fachbegriffe vom Property-Management zu verstehen, ist eine Herausforderung.“ Marko Broschinski, Head of Sales bei Intreal Solutions, ergänzt: „Die Gestaltungsmöglichkeiten, die Mitarbeiter mit digitalem Arbeitsschwerpunkt in unserer Branche haben, werden unterschätzt. Dabei werden in der Branche eine Vielzahl von Fertigkeiten langfristig nachgefragt, wie Software-Entwicklung, Datenanalyse, Schnittstellen-Management und zunehmend auch Aufgaben im Bereich Cybersecurity.“ Doch nicht nur angehende Fachkräfte müssen sich auf den Wandel einstellen, auch die Arbeitgeber müssen ihre Strategie ändern. „Viele Immobilienunternehmen müssen die digitale Transformation noch aktiver in ihr Geschäftsmodell integrieren“, ist PropTech-Vertreter Felix Dorner, CFO von aedifion, überzeugt.
November 2024