Weg vom Schema F

„Warum sollen wir was ändern? Es läuft doch auf den Baustellen.“ Diese Phrase killt jede Idee im Keim. Zwar mag es absolut menschlich sein, einschneidende Veränderungen erst einmal skeptisch zu betrachten. Doch mit dem Festhalten am Status quo und ohne die notwendigen Anpassungen an eine Bauwelt im Wandel ist keine Baufirma langfristig am Baumarkt wettbewerbsfähig. Das gilt angesichts der Herausforderungen durch die Energiekrise, der Materialknappheit, den Lieferengpässen und Preiserhöhungen umso mehr. Hinzu kommen immer höhere bürokratische Auflagen, die das Arbeiten auf Baustellen erschweren. Dabei sind neue Technologien für intelligentere Bauweisen längst verfügbar, die Prozesse beschleunigen, effizienter machen und letztendlich automatisieren, aber auch Abläufe nachhaltiger gestalten. Nur müssen die technischen Möglichkeiten auch angenommen werden. Wer angesichts des enormen Kostendrucks alles weiterlaufen lässt, wie gehabt nach Schema F, wird den Fortschritt verschlafen und es versäumen, digitale Tools zu seinem Vorteil zu nutzen und dann monetär davon zu profitieren.

Dass die Digitalisierung der Schlüssel ist, den Hebel in Richtung Produktivität zu stellen, wissen die großen Konzerne – manch kleiner und mittelständischer Betrieb tut sich noch schwer damit, weitere Schritte in Richtung Digitalisierung zu gehen. Denn das bindet Kapital, Zeit und personelle Ressourcen, und das in einer ohnehin angespannten Situation. Es scheint unmöglich, Digitalisierungsprojekte auch in Krisenzeiten zu finanzieren und durchzusetzen. Doch es ist allerhöchste Zeit, weil es sonst immer schwieriger wird, den Anschluss zu finden. Um teure Planungsfehler und Zeitverzögerungen im Bau zu minimieren, setzt die Bundesregierung auf Digitalisierung: Building Information Modeling, kurz BIM, soll für maximale Transparenz und Planungssicherheit sorgen. Für öffentliche Infrastrukturprojekte ist BIM bereits seit drei Jahren verbindlich, ab Ende 2022 gilt die Vorschrift auch für Hochbauten des Bundes. Trotz dieser Vorgaben nutzt ein Großteil der Architektur- und Ingenieurbüros sowie Bauunternehmen die digitale Methodik noch nicht.

Natürlich kann niemand alle Prozesse von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Aber der Einstieg kann die Datenerfassung von Baumaschinen sein, weil Bagger, Radlader oder Dozer längst Unmengen an Betriebszuständen aufzeichnen. Nun gilt es, mit diesen Daten zu arbeiten, die Daten richtig zu interpretieren und aus den Daten die richtigen Rückschlüsse auf Bauprozesse, Abläufe und Geräteeinsatz zu ziehen. Denn sich nur auf das reine Bauchgefühl zu verlassen, reicht heute nicht mehr, sondern kann fatal sein, wenn mit dieser Einstellung viel Geld verbrannt wird. Daten können eben vage Vermutungen be- oder auch widerlegen und dann eine fundierte Grundlage für Entscheidungen sein, etwa in neue Technik zu investieren oder Prozesse umzukrempeln. Angesichts des Einsparpotenzials und der sich daraus ableitenden Verbesserungen ist die Datenerfassung unumgänglich, auch wenn sie nicht jedem leichtfällt. Es ist komplex, ganze Flotten beziehungsweise den gesamten Maschinenpark zu vernetzen und alles, was im Tief-, Straßen- und Erdbau errichtet wird, in eine Datenstruktur und ein digitales Geländemodell einzubetten. Niemand muss das allein wuppen, sondern kann sich extern von Spezialisten beraten oder unterstützen lassen, langfristig eine ganzheitliche digitale Lösung zu entwickeln, die den Anforderungen des Betriebs entspricht.

Dabei kann es hilfreich sein, Daten zu priorisieren. Nicht jede Information, die Sensoren senden, wird auch wirklich benötigt oder muss in Echtzeit abgefragt werden. Das ist die große Kunst: Bauunternehmen müssen sich klarmachen, was sie mit den Daten anstellen wollen und sie dann so entschlüsseln, dass sie dazu beitragen, Veränderungen anzustoßen. Und diese können wieder junge Fachkräfte anlocken, die als Digital Natives Bock darauf haben, die Branche mit ihren Ideen zu verändern, agil in digitalen Modellen zu arbeiten und sich mit den verschiedenen Akteuren zu vernetzen. Aber genau das ist die Zwickmühle: Auf der einen Seite sind Firmen bei der Digitalisierung auf den Nachwuchs angewiesen, auf der anderen Seite müssen Betriebe die digitale Transformation erst anstoßen. Die größten Hürden für den Einstieg liegen mittlerweile weniger in den technischen Voraussetzungen, sondern vor allem in den dafür notwendigen Veränderungen der Betriebsabläufe und der Mitarbeiteraufgaben. Und dafür braucht es dann auch das entsprechende Mindset und eben keine Denkweise im Stil von: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Januar/Februar 2023