Wie man es auch dreht und wendet: Der Wohnungsbau kommt nicht von der Stelle – trotz Wohnungsbaugipfel vor knapp einem Jahr und Versprechen der Ampel-Regierung, jedes Jahr 400 000 neue Wohnungen zu bauen. Der Zentrale Immobilien Ausschuss e.V. beziffert die Neubaulücke aktuell auf 600 000 Wohnungen und warnt, dass die Zahl ohne Extra-Anstrengungen auf bis zu 830 000 Wohnungen im Jahr 2027 steigen könnte. Insbesondere in Ballungsräumen verschärft sich der Mangel an bezahlbarem Wohnraum immer weiter. Für 2024 geht die Branche von einem realen Umsatzrückgang von zwölf Prozent in diesem Jahr aus. Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Materialknappheit und langwierige Genehmigungsverfahren hemmen die Bauaktivitäten. Die Schwäche im Wohnungsbau zieht inzwischen die Volkswirtschaft nach unten und werde ihr in diesem Jahr Milliarden-Verluste und dem Staat erhebliche Rückgänge bei den Steuereinnahmen bescheren.
Wissenschaftler untersuchten erstmals gezielt – und damit isoliert vom restlichen Bausektor – die wirtschaftliche Bedeutung des Wohnungsbaus. Das Beratungsunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Econ) ermittelte für die Wohnungsbaubranche eine Bruttowertschöpfung von insgesamt rund 537 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Der Wohnungsbau stecke damit – quer durch alle Wirtschaftsbereiche – hinter jedem siebten Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland, heißt es. Auch finanzpolitisch hat der Wohnungsbau Gewicht: Hinter ihm steckten im vergangenen Jahr Steuereinnahmen von 141 Milliarden Euro – immerhin 17 Prozent der gesamten Steuereinnahmen in Deutschland.
„Der Mangel an neuen Aufträgen ist weiterhin ein großes Problem. Häuslebauer sind zurückhaltend, auch weil die Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank vorerst nur ein erster Schritt ist. Bei den Finanzierungskosten hat sich noch nicht viel getan. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der Baugenehmigungen. Was heute nicht beauftragt und genehmigt wird, kann zunächst auch nicht gebaut werden“, skizziert Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen. Abzulesen ist die Krise im Wohnungsbau auch am Handel mit Bauland. Wie eine Studie des Hamburger GEWOS-Instituts für Stadt-, Regional- und Wohnforschung zeigt, haben die stark gestiegenen Baupreise und Finanzierungskosten nun die kalkulatorischen Schwierigkeiten vieler Marktakteure deutlich verschärft. Das volle Ausmaß der Baukrise wird allerdings erst zeitverzögert sichtbar werden, glaubt das GEWOS-Institut. Der Handel mit baureifem Wohnbauland ist 2023 das zweite Jahr in Folge deutlich zurückgegangen, sowohl die Zahl der Transaktionen als auch der hiermit verbundene Flächenumsatz erreichten im vergangenen Jahr historische Tiefststände. Das geht aus einer ersten vorläufigen Auswertung der GEWOS-Immobilienmarktanalyse IMA hervor, die als einzige flächendeckende Studie zum deutschen Immobilienmarkt auf der Erfassung der tatsächlichen Verkäufe beruht. Demnach wurden im letzten Jahr bundesweit rund 46 700 Kauffälle von baureifem Wohnbauland registriert (minus 34,2 Prozent gegenüber 2022), der hiermit verbundene Flächenumsatz sank um 39,5 Prozent auf rund 4 400 Hektar. „Selbst das Niveau der Jahre 1982 bis 1994, das auf das frühere Bundesgebiet beschränkt ist, wurde durch die gesamtdeutschen Werte des Jahres 2023 deutlich unterschritten. Das ist angesichts der hohen Wohnungsnachfrage in Deutschland ein fatales Signal für die kommenden Jahre. Die Baulandverkäufe sind ein guter Frühindikator für die zukünftige Neubautätigkeit. Die heute nicht verkauften Flächen sind die nicht erteilten Genehmigungen von morgen und die nicht gebauten Wohnungen von übermorgen“, so Sebastian Wunsch, Bereichsleiter Immobilienwirtschaftliche Analysen beim Hamburger GEWOS-Institut.
Auch wenn das Bundeskabinett nun im Bundeshaushalt 2025 über 20 Milliarden Euro bis 2028 für den sozialen Wohnungsbau geplant hat, wird die entstandene Lücke nicht zu schließen sein, glaubt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe. „Allein 100 000 Baugenehmigungen weniger zum Jahresende 2023 werden mit den jetzt vorgesehenen Mitteln nicht aufgeholt werden können. Hier braucht es mehr Ehrgeiz, damit die bauwilligen Bürgerinnen und Bürger, insbesondere junge Familien, bei immer noch hohen Zinsen und teuren Baumaterialpreisen überhaupt ans Bauen denken können“, kommentierte er den Bundeshaushalt.
Als kontraproduktiv wird in der Branche bewertet, wenn der soziale Wohnungsbau zwar mehr Förderung erhalte, zeitgleich aber neue Auflagen das Bauen wiederum verteuern. In der Kritik steht hier beispielsweise der Entwurf der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung. Diese soll den Verbrauch primärer Rohstoffe reduzieren und die Stoffkreisläufe schließen. Grundsätzlich ein Ansatz, hinter dem die Wirtschaft steht, doch sieht die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) Verbesserungspotenzial und drängt darauf, Maßnahmen zu ergänzen, die relevant wären, aber noch fehlen. Konkret müsse der Flächenbedarf reduziert und Flächen müssen intensiver genutzt werden – eine Maßnahme wäre hier, den Leerstand im Bestand aktiv zu verringern und bei Neubauten durch entsprechende Planungsmaßnahmen zukünftig zu vermeiden. Um Produktivitätssteigerungen in der Kreislaufbauwirtschaft zu erreichen, müsste der Materialeinsatz über den Lebenszyklus von Gebäuden erfasst und deutlich gegenüber dem Bestand reduziert werden. Konkrete Gebäudekonzepte sind gefordert, die nicht immer mehr Materialien für weniger Nutzen einplanen. Die DGNB schlägt zudem vor, Gebäudetypen für längere Nutzungsdauern auszulegen und die Nutzungsdauer von Produkten in den Blick zu nehmen.
Fehlen Wohnungen, bedeute das auch sozialen Sprengstoff und lasse politische Unzufriedenheit wachsen. Vor allem aber halte fehlender Wohnraum auch dringend gebrauchte Fachkräfte aus dem Ausland zunehmend davon ab, nach Deutschland zu kommen. Dies sei eine „fatale Entwicklung, bei der die Krise im Wohnungsbau einen Dominoeffekt und damit massiven Schaden für weite Teile der Wirtschaft auszulösen droht, so das Verbändebündnis Wohnungsbau. Außerdem habe jeder siebte Arbeitsplatz mit dem Wohnungsbau zu tun: Hier sei es im vergangenen Jahr um die Jobs von knapp 6,6 Millionen Menschen gegangen.
Bauinvestitionen sichern nicht nur Arbeitsplätze im Baugewerbe, sondern sorgen für ein gesamtwirtschaftliches Wachstumspotenzial. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bauwirtschaft, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Auftrag der Branche erstellt hat. 2019 lag der Anteil des Baugewerbes und seines Vorleistungsverbundes an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung bei 7,5 Prozent. Von Ende 2020 bis Ende 2023 ist die Wertschöpfung des Baugewerbes um real 15 Prozent gesunken. Der Mix aus steigenden Zinsen, globaler Unsicherheit und deutlich höheren Baukosten hat insbesondere den Wohnungsbau getroffen. Dazu Peter Hübner, Präsident vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: „Das Ergebnis sollte uns Unternehmern, aber auch der Politik zu denken geben. Fakt ist, dass wir künftig mit weniger Menschen mehr bauen sollen und deshalb produktiver werden müssen. Das können wir einerseits aus eigener Kraft erreichen, durch mehr Digitalisierung, industrielle Prozesse sowie unternehmerischen Mut für Innovationen und neue Technologien. Anderseits muss der Staat die unzähligen regulatorischen Hemmnisse abbauen. Keine Branche ist so durchreguliert wie der Bau: vielfältige und ständig neue staatliche Vorgaben, veraltete Regelwerke und kaum digitalisierte öffentliche Verwaltungen prägen das Bild. Die Trennung von Planung und Bau sowie eine strikte, kleinteilige Auftragsvergabe gibt es in keiner anderen Branche, nur am Bau. Stattdessen brauchen wir mehr Flexibilität bei der öffentlichen Beschaffung und eine bessere Kooperation aller Projektpartner auf Augenhöhe. Die Politik sollte dieses Ergebnis ernst nehmen und genau dort ansetzen. Das kostet keinen Cent extra – nur ein verlässliches Bekenntnis zur Bauindustrie.“ Peter Hübner rechnet jedoch im laufenden Jahr nicht mehr mit einer Kehrtwende: „Wir sind ins Jahr gestartet mit einer Prognose von minus 3,5 Prozent. Diese haben wir auf minus vier Prozent nach unten revidiert. Grund ist, dass auch der öffentliche Bau schwächer laufen wird als erwartet.“ Einziger Wachstumsbereich bleibt der Wirtschaftsbau mit einem Umsatzplus von 1,5 Prozent, auch wegen Großaufträgen der Deutschen Bahn, dem kommunalen ÖPNV und der Stromnetzbetreiber. Dabei gibt es für die Bauwirtschaft einen Berg an Aufgaben zu bewältigen. „Ohne eine Verbesserung der Infrastruktur kann die Wettbewerbssituation Deutschlands nicht verbessert werden, und ohne mehr Investitionen in den Gebäudebestand lassen sich die Klimaschutzziele nicht erreichen“, stellt Studienautor Professor Michael Voigtländer vom IW dar. Sein Vorschlag: Mit besseren regulatorischen Rahmenbedingungen die Produktivitätspotenziale der Bauwirtschaft zu heben.
Dass mehr Wohnungen schnell entstehen müssen und diese auch noch bezahlbar sein müssen – darüber sind sich Politik und Wohnungsbauindustrie einig. Um die Baukosten in den Griff zu bekommen, geht es letztlich um Vereinfachung, Flexibilisierung und Harmonisierung des Bauordnungsrechts. Deswegen wird der Gebäudetyp E ins Spiel gebracht, der das Bauen vereinfachen soll. Kürzlich wurde vom Bauministerium eine neue, 70-seitige Leitlinie mit Vorschlägen vorgelegt, basierend auf Ideen der Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer. Dazu Bundesbauministerin Klara Geywitz: „Vertragspartner können künftig beim Bauen von kostenintensiven Standards rechtssicher abweichen und zugleich die hohen Sicherheitsstandards beim Bauen einhalten.“ Die erforderlichen Änderungen im BGB werden nun auf den Weg gebracht, die das einfache und kostengünstige Bauen im Zivilrecht unterstützen werden. Kritisch sieht das die TGA-Repräsentanz Berlin und die sie tragenden Verbände, wie ihr Geschäftsführer, Frank Ernst, einräumt: „Die Diskussionen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass mit „einfach“ oft der Verzicht auf wichtige Technik gemeint ist. Neubauten werden heute so errichtet, dass Bewohner vor Lärm geschützt sind und der Energieverbrauch gesenkt wird. Solche dichten Gebäude erfordern technische Lösungen. Technische Systeme sind deshalb auch in Gebäuden des Typs E notwendig, um eine dauerhafte Nutzung zu ermöglichen.“ Das gilt es nun in Einklang mit der Schaffung von kostengünstigem Wohnraum zu bringen.
August 2024