Arbeitswelt im Corona-Krisenmodus

Wie Baufirmen reagieren: zwischen Weiterbaggern auf der Baustelle, Homeoffice und Kurzarbeit

Die Welt ist wegen Covid-19 aus den Fugen geraten: Während das Coronavirus das Wirtschaftsleben nahezu zum Stillstand bringt und viele Menschen im Homeoffice versuchen, ihrer Arbeit nachzugeben, geht es auf etlichen Baustellen in Deutschland vorerst weiter. Gegen das Arbeiten an der frischen Luft – entsprechenden Sicherheitsabstand und erforderliche Hygienemaßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter auf der Baustelle vorausgesetzt – gibt es keine Vorbehalte, sodass der Baustellenbetrieb aufrechterhalten werden kann. Zumindest solange keine Verschärfung der Restriktionen im Kampf gegen die Pandemie oder Lieferengpässe von Baumaterial das Einstellen der Arbeiten erfordern und Baukolonnen nicht selbst erkrankten oder in Quarantäne müssen, wird gebuddelt, um die Aufträge abzuarbeiten. Dass Bauunternehmen Gesundheitsvorsorge und die Sicherheit der Mitarbeiter dabei gewährleisten, ist angesichts der Arbeiten auf engem Raum eine der Schwierigkeiten, auf welche die Betriebe reagieren müssen.

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Deutsche Bauunternehmen leisten derzeit hohe Anstrengungen, den Baustellenbetrieb sicher fortzuführen und dabei den Schutz der Mitarbeiter zu gewährleisten. Foto: Caterpillar

IG BAU-Bundesvorstandsmitglied Carsten Burckhardt stellt dabei klar, worauf Arbeitgeber besonders achten müssen: „Die Praxis, Kollegen in Kleinbussen gemeinsam auf die Baustelle zu fahren, muss geändert werden. Wir fordern, dass ab sofort jeder mit dem eigenen Pkw fahren kann und ihm dafür die entsprechenden Kilometerpauschalen gezahlt werden. Wo keine Versorgung mit fließend Wasser besteht, müssen zum regelmäßigen Händewaschen und – desinfizieren Wassercontainer und Desinfektionsmittel aufgestellt werden. Statt engen Baucontainern brauchen wir Unterstände für die Pausen unter freiem Himmel mit ausreichend Platz.“

Deutsche Bauunternehmen leisten derzeit hohe Anstrengungen, den Baustellenbetrieb sicher fortzuführen und dabei den Schutz der Mitarbeiter zu gewährleisten. „Die Bauwirtschaft hat die notwendigen Kapazitäten und kann trotz der momentanen Herausforderung die Bauvorhaben weiter vorantreiben“, führt Martin Steinbrecher, Präsident der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen, aus. Viele Baubetriebe fürchten den Stillstand. Um den Baustellenbetrieb aufrechtzuerhalten, muss die öffentliche Hand stetig weitere Bauprojekte auf den Markt bringen, fordert der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Reinhard Quast. Gleichzeitig braucht es eine zügige Bezahlung erbrachter Bauleistungen, sowohl bei Abschlags- als auch Schlussrechnungen, so die Forderungen des Branchenverbandes. „Ohne entsprechende Liquidität können weder Materiallieferungen noch Löhne bezahlt werden. Daher ist es absolut notwendig, eine Störung des Bauablaufs durch den Coronavirus als „höhere Gewalt“ einzustufen, um entsprechend Bauzeiten verlängern und Zahlungen nicht verweigern zu können,“ forderte Quast von den öffentlichen Hand.

Doch nicht überall kann auf den Baustellen der vorgegebene Sicherheitsabstand zwischen Mitarbeitern im praktischen Baubetrieb eingehalten werden, wie er gesetzlich gefordert ist. So ist ein Einstellen der Arbeiten unausweichlich, was bedeutet, die Baustellen so zu sichern und für einen mehrwöchigen Stillstand vorzubereiten. Denn niemand kann derzeit abschätzen, wie lange der Ausnahmezustand tatsächlich dauert.

Allerdings zeigt sich auch schnell, was zur Engstelle wurde: Wenn die Grenzen dicht sind, können viele Arbeiter aus Osteuropa nicht einreisen, sodass es die eine oder andere Baustelle eben doch gestoppt werden muss. Inzwischen macht der Anteil der ausländischen Arbeiter auf deutschen Baustellen laut Statistik des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie rund 20 Prozent aus. Seit den letzten zehn Jahren hat er rapide zugenommen. „Montagearbeiter aus dem europäischen Ausland fallen aufgrund der aktuellen Einreisebestimmungen zunehmend aus“, so auch Florian Becker, Geschäftsführer des Bauherren-Schutzbund e.V. Bauherren müssen sich ihm zufolge deshalb auf eine Bauzeitverzögerung einstellen. Auch bei Produzenten von Baumaterialien macht sich die Krise bemerkbar. „Es kommt zu Lieferengpässen durch unterbrochene Lieferketten, fehlende Zulieferteile und personelle Ausfälle im Anlieferungsverkehr“, stellt er fest. Immer mehr Firmen informieren ihre Auftraggeber, dass Heizungs-, Elektro- und Lüftungsinstallationstechnik, die in Asien produziert wird, nicht rechtzeitig geliefert und deshalb nicht eingebaut werden kann. „Korrekt sollten Baufirmen Lieferverzug in einem sogenannten Bedenkenhinweis den Bauherren mitteilen, jedenfalls wenn ein VOB/B-Vertrag vorliegt“, empfiehlt Rechtsanwalt Holger Freitag vom Verband Privater Bauherren (VPB). Es bleibt aber zu klären, ob das Fehlen der Teile tatsächlich auf der Corona-Krise beruhe und nicht nur ein vorgeschobener Grund sei. Eine weitere Frage wäre, ob denn nur die nicht lieferbaren Teile geschuldete Leistung seien oder ob diese durch andere – noch lieferbare – ersetzt werden könnten. Das hänge davon ab, so der VPB, ob vertraglich nur der Bauwerkserfolg und nicht auch die genauen Teile zur Erreichung der Leistung vereinbart worden seien. Hier allerdings reiche es in der Regel nicht, wenn in AGB das nicht lieferbare Fabrikat und „oder gleichwertig“ benannt sind, denn dieser Leistungsänderungsvorbehalt ist als AGB zu unpräzise.

Kann der Fertigstellungstermin nicht gehalten werden und wird die Baufirmen bei Einzugsverzögerungen haften, ist ungewiss, heißt es seitens VPB. Denn Schadensersatzansprüche setzen immer Verschulden voraus. Die Beweislast dafür trägt zwar hier die Firma, aber angesichts der Pandemie ist das Führen eines Entlastungsbeweises im Einzelfall gut denkbar. „Prominentester Vertreter“, erläutert Holger Freitag, „ist eine Bauzeitverlängerung für den Fall höherer Gewalt. Darunter fasst die Rechtsprechung Lagen, die außerhalb der vertraglichen Beziehung angesiedelt sind, von keiner Vertragspartei verschuldet oder auch nur vorhergesehen worden sind und auch nicht vorhergesehen hätten werden müssen und gegen das es auch bei größter Sorgfalt durch die Vertragsparteien keine effektive Abwendungsmöglichkeit gibt. Es ist gut denkbar, dass die Corona-Krise darunter gefasst wird. Die Frage bleibt natürlich immer in jedem Fall, ob die Verzögerung denn auch tatsächlich auf der Pandemie beruht.“ Bauherren sind zudem für die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzes auf der Baustelle mitverantwortlich nach Maßgabe der Baustellenverordnung. Ein Drängen auf Fertigstellung des Bauvorhabens darf nicht auf dem Rücken der Gesundheit der Beschäftigten erfolgen, mahnt Holger Freitag.

Anders als in Deutschland, wo noch weitergebaut wurde, entwickelt sich die Lage im Ausland, wie in Österreich, wo Baustellen eingestellt werden mussten. Konzerne wie die Strabag meldeten zum 20. März dort – wie viele andere auch – für drei Monate Kurzarbeit an. „Mit den neuen Rahmenbedingungen zur Kurzarbeit hat die österreichische Regierung – nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks – eine für alle akzeptable und vernünftige Lösung ausgearbeitet. Das „Gespenst der Kündigung aller Mitarbeitenden“ ist damit vom Tisch, und darüber bin ich sehr froh. Wir haben Kurzarbeit zu tragbaren Bedingungen immer als die bevorzugte Lösung angesehen – diese Bedingungen sind jetzt geschaffen worden. Bis dahin mussten wir das Risiko für unser Unternehmen mit seinen tausenden Arbeitsplätzen verringern. Daher hatten wir die Mitarbeitenden zunächst höchst vorsorglich beim Frühwarnsystem des AMS angemeldet“, sagte Thomas Birtel, Strabag-Vorstandsvorsitzender.

Doch bereits rund zehn Tage später, nachdem die vorübergehende Einstellung der Baustellen in Österreich bekannt gegeben wurde, nahm der größte österreichische Baukonzern die Baustellentätigkeit sukzessive wieder auf. Möglich wurde dies durch die erzielte Sozialpartnereinigung über baubezogene COVID-19-Schutzmaßnahmen. Gemäß der Sozialpartnervereinbarung kann der Mindestabstand bei notwendigen Arbeiten auf der Baustelle nun unterschritten werden, sofern Mund und Nase aller beteiligten Personen geschützt sind und Angehörige von Risikogruppen nicht für solche Arbeiten eingesetzt werden. Zu den weiteren Vereinbarungen gehören arbeitshygienische Maßnahmen wie regelmäßige Desinfektion der Einrichtungen auf der Baustelle und organisatorische Maßnahmen wie eine zeitliche Staffelung der Arbeiten. „In den kommenden Tagen werden wir für jede einzelne Baustelle unserer über tausend österreichischen Baustellen prüfen, ob und wie die Gesundheitsvorkehrungen eingehalten werden können“, so Thomas Birtel. Das Unternehmen geht davon aus, dass die Einrichtung der hygienischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen innerhalb der kommenden Wochen bei der überwiegenden Anzahl der Baustellen möglich sein wird.

Welche Langzeitfolgen und Effekte sich für die Baubranche und dessen Personal ergeben, ist derzeit noch gar nicht absehbar. Doch soll die Fortführung der Baumaßnahmen im Hochbau, Straßenbau und Wasserbau die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur weiter sicherstellen. Es gilt vor allem nach der Corona-Krise, um die wirtschaftlichen Folgen schnell überwinden zu können. Zugleich zeigt sich, welche Tätigkeiten systemrelevant sind – auch das Bauen gehört dazu. „Nur durch die Weiterführung ist es möglich, dass wir in solch schwierigen Zeiten dafür sorgen können, dass die systemrelevanten Bereiche, wie Telekommunikation, Mobilität oder Energiegewinnung sowie Ver- und Entsorgung weiter funktionieren“, so Peter Hübner, Präsident Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Einen positiven Nebeneffekt haben die durch die Corona-Pandemie verhängten Ausgangssperren und Kontaktverbote: Weil weniger Menschen mit ihrem Auto unterwegs sind, ist weniger los auf den Autobahnen und somit lassen sich Baumaßnahmen leichter durchführen. Mit dem Frühjahr geht die Bausaison erst richtig los und daher wird es etwa auf den Straßen von NRW auch keinen Baustopp geben. Das betont Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin von Straßen.NRW: „Derzeit laufen noch alle unsere Baustellen, und das soll auch so bleiben. Die Firmen haben uns zwar einige Personalausfälle gemeldet, aber bislang ist keine Baustelle grundsätzlich in Gefahr. Und auch bei Straßen.NRW sind die Strukturen arbeitsfähig.“

Wenn viele Menschen im Homeoffice zu Hause bleiben und nicht mit dem Pkw zur Arbeit fahren, will Straßen.NRW daher diese besondere Situation nutzen. „Der Verkehr hat nachweislich durch die geringere Mobilität der Menschen abgenommen. Sperrungen auf hochbelasteten Strecken könnten gerade jetzt einfacher durchgeführt werden“, stellt die Straßen.NRW-Direktorin heraus. Auf Baustellen könne zudem sehr gut der erforderliche Abstand zwischen den arbeitenden Menschen eingehalten werden, Arbeitskolonnen könnten verkleinert werden und die Schichten mit einem festen Personenkreis zusammengestellt werden, um die Ansteckungsgefahr auszuschließen. In einer Telekonferenz mit Vertretern der Bauwirtschaft hat Straßen.NRW vereinbart, weitere Baumaßnahmen auszuschreiben. „Wir wollen der Bauwirtschaft und auch den Zwischenhändlern die Botschaft übermitteln, dass wir alles tun, damit das Baugeschäft weiterläuft“, so Elfriede Sauerwein-Braksiek. Zwischen Straßen.NRW und der Bauwirtschaft wurde vereinbart, sich in den nächsten Wochen regelmäßig auszutauschen, um schnell auf Herausforderungen reagieren zu können.

März/April 2020