Genehmigungsturbo zünden

Zu lange Bauzeiten und ausufernde Baukosten: Dieses Image haftet Großprojekten in Deutschland an. Als Musterbeispiele dafür gelten das Bahnprojekt Stuttgart 21, der Berliner Flughafen BER oder die Hamburger Elbphilharmonie. Dass es hierzulande auch anders geht, zeigen die LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade und Lubmin. In Rekordzeit werden die Flüssiggas-Terminals an das Gasnetz angeschlossen, um eine Versorgung mit verflüssigtem Erdgas sicherzustellen und durch den Aufbau einer eigenen LNG-Infrastruktur die Bezugsquellen zu erhöhen. Eine Neuausrichtung der Energiepolitik zwingt zu sportlichem Tempo bei den Baumaßnahmen und das LNG-Beschleunigungsgesetz sorgt dafür, dass der Bau von Gasleitungen und Infrastruktur für Flüssiggas-Terminals Fahrt aufnimmt. Es könnte zum neuen Maßstab für den Ausbau erneuerbarer Energien werden, die auf schnellere Planungs- und Genehmigungsprozesse angewiesen sind.

In Deutschland lassen Auflagenflut und Regulierungswahn Baufirmen verzweifeln. Der Föderalismus tobt sich aus in 20 000 Bauvorschriften, Regelwerken und Normen – Baurecht ist Ländersache. 16 verschiedene Landesbauverordnungen sind Teil einer ausufernden Bürokratie, die den Baufortschritt schwächt und Bauvorhaben ausbremst. Bürokratie ist nicht nur deswegen eine Belastung, sondern weil laut Nationalem Normenkontrollrat uns das seit 2011 bis heute teuer zu stehen kommt: 6,6 Milliarden Euro gehen zulasten von Regeln und Vorschriften. Doch mit den LNG-Terminals scheint sich erstmals was zu ändern. Tempo machen Ingenieure, Hafenlogistiker, Bürgermeister und kommunale Beamte, die seit Wochen durcharbeiten, um die Bauvorhaben voranzutreiben, damit sogenannte schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheiten (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) einen Gasmangel vermeiden.

Am 28. Februar 2023 fand am LNG-Terminal Wilhelmshaven die Schlussabnahme statt – am 1. März 2023 wurde der Regelbetrieb aufgenommen. Foto: Uniper

Wilhelmshaven, der einzige deutsche Tiefseehafen, liefert als erstes von sechs Terminals Flüssiggas. Am 4. Juli 2022 war der Baustart, um nach der Inbetriebnahme im Winter darüber schnellstmöglich bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr umzuschlagen. „Wir planen, genehmigen und bauen mit der achtfachen Geschwindigkeit. Das geht bei so komplexen Projekten nur, wenn alle am gleichen Strang ziehen“, so der niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, Olaf Lies. Die erforderliche Genehmigung und Zulassung des vorzeitigen Beginns von Errichtungsarbeiten der land- und seeseitigen Infrastruktur sowie einer 30 Kilometer langen Gashochdruckleitung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erfolgte durch das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg.

Seit dem ersten Rammschlag liefen die Bauarbeiten, die das Unternehmen Depen­brock im Rahmen einer Arbeitsgemein­schaft mit Kurt Fredrich Spezialtiefbau durchführte, auf Hochtouren. An der be­stehenden Umschlagsanlage wurden eine Anlegeplattform sowie Fender­ und Fest­macherdalben für den Liegeplatz gebaut. Für das Fundament wurden 194 Pfähle in den Boden gerammt, die der Struktur die nötige Stabilität verleihen und den Anleger auch bei Extremwetter sichern. In nur 194 Tagen konnte Vollzug der Rammarbeiten zur Installation der Gründungselemen­te im Hafenbecken und der zugehörigen Überbauten gemeldet werden. Um dem sportlichen Zeitplan gerecht zu werden, wurde parallel zur Gründung an den Be­tonplattformen des Anlegers gearbeitet. Neun Beton­-Halbfertigteile für die Platt­form und die Zugangsstege des Anlegers wurden vorgefertigt und per Ponton zur Baustelle transportiert. Die einzelnen Teile hatten ein Gewicht von 160 bis 380 Ton­nen. Auch Stahl wurde auf einer Länge von 350 Metern für 18 Laufstege verbaut. Zur Befestigung wurden abschließend Sliphaken auf den Vertäudalben befes­tigt, die auf ein Gewicht von 150 Tonnen ausgelegt sind. In der Summe machte das 7 000 Tonnen Stahl und über 3 000 Qua­dratmeter Beton aus.

Die Hafengesellschaft Niedersachsen Ports als Auftraggeberin hat mit Unter­stützung der JadeWeserPort Realisierungs GmbH und den Baufirmen gemeinsam an der schnellen Umsetzung gearbeitet. Holger Banik, Geschäftsführer von Nie­dersachsen Ports sowie der JadeWeserPort Realisierungs GmbH & Co. KG, über die Zusammenarbeit: „Alle Beteiligten haben unter hohem Zeitdruck unermüdlich Tag für Tag dafür gesorgt, dass dieser Anleger pünktlich fertig wird.“ Uniper, die das Terminal betreiben wird, stellt wiederum die Verbindung zwischen der FSRU und den Anlagen an Land her. Die Anbindung an das 30 Kilometer entfernte Erdgaslei­tungsnetz und damit auch an den Erd­gasspeicher Etzel hat Open Grid Europe (OGE) realisiert. Auch hier ging es eher los als geplant. Das Projekt startete im März 2022 und konnte dank einer stark beschleunigten Abwicklung im Dezem­ber 2022 seinen Betrieb aufnehmen. Laut Betreibergesellschaft seien im Schnitt zwei Kilometer pro Woche verlegt worden – das sei ungewöhnlich schnell für ein solches Vorhaben. „Der neue LNG­-Anleger ist ein großer Schritt für eine sichere Ener­gieversorgung. Niedersachsen hat binnen kürzester Zeit geliefert, und das in der viel beschworenen neuen Deutschlandge­schwindigkeit. Die bereits vorhandene Ha­feninfrastruktur sowie die hervorragenden Rahmenbedingungen haben dazu beige­tragen, dass das Projekt zu einer Erfolgs­geschichte wurde. Möglich wurde dies vor allem durch die präzise Abstimmung und die hochprofessionelle Zusammenarbeit aller Projektpartner. Innovation und In­genieurskunst waren die Motoren für ein Infrastrukturprojekt von nationaler Be­deutung“, so Olaf Lies.

Wegen der drohenden Gasmangella­ge ging es plötzlich auch in Brunsbüttel schnell – jahrelang hatte Frank Schnabel, Geschäftsführer der Schramm-­Gruppe, welche die Brunsbüttel Ports GmbH be­treibt, sich für ein LNG­-Terminal starkgemacht. Doch er konnte keinen Politiker vom Bau überzeugen. Mit dem Krieg in der Ukraine wendete sich das Blatt. Die Landesregierung von Schleswig-­Holstein hat dann mehrere Gesetzesänderungen beschleunigt, um schon vor der offizi­ellen Planfeststellungsentscheidung mit ersten Bauarbeiten an den notwendigen Hafenanlagen zu beginnen. Bis zum Jah­reswechsel wurden nun die Zulassungsver­fahren für den Terminal­-Anleger sowie für den Betrieb der Anlage unter Dach und Fach gebracht. Das von RWE betriebene Flüssiggas­-Terminal kann ein Volumen von etwa fünf Milliarden Kubikmetern Flüssiggas pro Jahr aufnehmen und re­gasifizieren. Aufgrund der Netzkapazitä­ten werden in der ersten Projektphase im Durchschnitt jedoch erstmal nur bis zu 3,5 Milliarden Kubikmeter erreicht. „Es ist ein komplexes Unterfangen, bei dem wir mehrere Bauprojekte parallel planen – von Terminals bis hin zum gleichzeitigen Bau von zwei Gasleitungen“, äußerte sich Schleswig-­Holsteins Energieminister To­bias Goldschmidt. Mit Blick auf die Kritik von Umweltverbänden und lokalen In­itiativen an den beschleunigten Planungs­- und Genehmigungsprozessen betonte er: „Ich kann gut nachvollziehen, dass weder das Projekt an sich noch die Verfahrens­verkürzungen Begeisterungsstürme aus­lösen. Aber die Energieversorgungslage ist nun einmal wie sie ist: bitterernst.“ Im November genehmigte darum das Land Schleswig­-Holstein dem Fernleitungs­netzbetreiber Gasunie die vorzeitige Bau­maßnahme für die Verlegung einer rund 55 Kilometer langen Anbindeleitung vom zukünftigen LNG­Standort Brunsbüttel an das deutsche Gasverbundnetz. Erstma­lig darf damit in Schleswig­-Holstein ein Vorhabenträger vor Erhalt eines offiziellen Planfeststellungsbeschlusses Maßnahmen zur Umsetzung eines Infrastrukturpro­jekts durchführen. „Dabei ergreifen wir auch Maßnahmen, die mich als großer Verfechter einer partizipativen Infrastruk­turplanung wirklich schmerzen. Klar ist, dass solche verkürzten Prozesse die absolu­te Ausnahme bleiben müssen. Sie sind dem von Russland zu verantwortenden Krieg und der damit verbundenen Energiekri­se in diesem Winter geschuldet“, erklärte Tobias Goldschmidt. Mit den vorzeitig eingeleiteten Maßnahmen geht außerdem eine sogenannte Duldungsanordnung einher. Sie ermöglicht es Gasunie, not­wendige Maßnahmen zum Bau der Gas­leitung auch dann durchzuführen, wenn betroffene Grundstückseigentümer damit nicht einverstanden sein sollten. Unter gewöhnlichen Voraussetzungen haben Grundstücksbesitzer vor Erlass einer Dul­dungsanordnung ein Anhörungsrecht. Hierauf musste wegen der besonderen Dringlichkeit verzichtet werden. Das Amt für Planfeststellung Energie (AfPE) in Kiel gab auch grünes Licht für Baustraßen und Baustelleneinrichtungsflächen, für die Baufeldräumung sowie für die Umset­zung von Beweissicherungs-­ und Umwelt­schutzmaßnahmen vor der eigentlichen Genehmigung. Aufgrund der Tragweite der Maßnahmen wurde die sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung, ein Kern­stück jedes Genehmigungsverfahrens, für die Gasleitung hintangestellt. Auch die Bürgerbeteiligung fällt weitgehend aus.

Doch dieses Tempo fehlt beim Ausbau von erneuerbaren Energien. Die Vorha­ben sind langwierig und komplex. Allein der Bau von Windenergieanlagen zieht sich hin. Denn dafür müssen alle Rand­bedingungen stimmen: vom Einleiten des Genehmigungsverfahrens und dem Er­stellen der erforderlichen Gutachten über die Klärung der Eigentumsverhältnisse bis zur Finanzplanung und der Auswahl des geeigneten Anlagentyps. Landschafts­ und Naturschutzinteressen sind ebenso in die Vorüberlegungen einzubeziehen, wie die Frage nach Zufahrtswegen und den Optionen für den Netzanschluss. Auch das Baugesetzbuch (BauGB) beinhaltet noch zahlreiche Hindernisse für den Aus­bau und die Nutzung von Erneuerbaren-­Energien-­Anlagen. Mit der kommenden „kleinen“ Novelle sollen einige Hürden abgebaut werden. Diese beinhaltet eine beschleunigte Öffnung von Braunkohle­-Tagebauflächen zur Belegung mit Wind­energie­ und Fotovoltaikanlagen.

Weiteren Änderungsbedarf gibt es im Bereich der Solarenergie, auch wenn die Solarwirtschaft 2022 einen regelrechten Boom erlebte. Nach Angaben der Bun­desnetzagentur wurden 2022 in den ersten acht Monaten 21 Prozent mehr Solar­stromleistung installiert als im vergleich­baren Vorjahreszeitraum. Damit gingen mehr neue Solarstromanlagen in Betrieb als im gesamten Jahr 2021. Nach Einschät­zung des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW) müsse der Solartechnik-­Ausbau je­doch weiter deutlich beschleunigt werden, um die in diesem Sommer von der Bun­desregierung angehobenen Energiewende­-Ziele zu erreichen. Die Ampelkoalition will den Solaranteil am deutschen Stromver­brauch in den kommenden sieben Jahren von derzeit zehn auf knapp 30 Prozent ver­dreifachen und die Dauer solcher Vorha­ben halbieren. „In so kurzer Zeit kann das nur gelingen, wenn jetzt sehr schnell und konsequent weitere Marktbarrieren abge­baut und Investitionsbedingungen weiter verbessert werden“, mahnt BSW­Hauptge­schäftsführer Carsten Körnig.

Das will auch die Europäische Kommis­sion angehen, die nun Tempo machen will beim Ausbau erneuerbarer Energien. Maximal einen Monat darf die Geneh­migung vieler Solaranlagen künftig be­anspruchen. Drei Monate Zeit plant sie für die Bewilligung von Wärmepumpen und die Modernisierung von Windparks muss nach sechs Monaten Fahrt aufneh­men können. Dafür setzt sie sich für eine auf ein Jahr befristete Regelung ein, um bürokratische Hemmnisse für die Ener­giewende abzubauen. „Häufig liegen die größten Engpässe in der Genehmigungs­erteilung, wodurch rasche Fortschritte behindert werden“, so EU­Energiekom­missarin Kadri Simson in Brüssel.

Januar/Februar 2023