Peter Gerstmann: Deutschlands Kernproblem ist eine Politik des Alimentierens und Subventionierens statt des Investierens

Die Baubranche ist weit davon entfernt, 2023 die Ziele der Ampelkoalition zu erreichen: 400 000 neue Wohnungen pro Jahr sollten entstehen. Doch das wird in diesem Jahr nichts mehr. Auch in anderen Bereichen hat sich in der Wirtschaft Katerstimmung eingestellt – die hohen Energiepreise und Bürokratie belasten die Unternehmen. Peter Gerstmann, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns, hatte vor zwei Jahren eine goldene Dekade für die Baubranche vorhergesagt. Der Rückstau notwendiger Investitionen in die bestehende Infrastruktur, die Anpassungen an den Klimawandel und die Energiewende hatten ihn zu der Prognose verleitet, dass der Baubedarf für volle Auftragsbücher bei der Baudindustrie und ihrer Zulieferindustrie sorgen würde. Inzwischen sind die Vorzeichen andere – allein durch die politische Landschaft, die sich verändert hat, aber auch durch Krisen, wie den Ukraine-Krieg, den Konflikt im Nahen Osten oder den drohenden Konflikt zwischen China und Taiwan. Ging das goldene Zeitalter also schneller vorbei als gedacht? Wir sprachen mit Peter Gerstmann über die Herausforderungen, vor denen Deutschland und die Wirtschaft stehen, und was sich zwingend schnell ändern muss, damit der Standort D nicht weiter ins Hintertreffen gerät.

Baublatt: Warum ist das goldene Zeitalter für die Baubranche nicht eingetreten?

Peter Gerstmann: In den letzten zwei Jahren hat sich vieles verändert: Durch den Krieg gegen die Ukraine kam es zu einer Kettenreaktion: Energiekrise, unterbrochene Lieferketten und Absatzmärkte, die auf den Kopf gestellt wurden. Das alles führte zu massiven Preissteigerungen, die das Bauen teuer machten. Steigende Zinsen verstärkten den Effekt. Bauvorhaben wurden massiv zurückgeschraubt. Besonders drastisch zeigt sich das im Wohnungsbau, wo wir nach wie vor auf den Bau von 400 000 Wohnungen pro Jahr angewiesen sind. Der Investitionsbedarf ist auch im Bereich Infrastruktur unverändert hoch. Ich würde daher nicht sagen, dass das goldene Zeitalter in der Baubranche vorbei ist, aber es wurde ausgebremst. Bedingt durch die Energiewende müssen wir unsere Infrastruktur umbauen. Kohle- und Atomkraftwerke müssen rückgebaut und Abbauflächen müssen renaturiert werden. Wir müssen Gebäudestrukturen an den Klimawandel anpassen und die anfallenden CO2-Emissionen deutlich senken. Das zahlt alles auf den Bau ein – es ist ein massives Investitionsprogramm erforderlich, damit die Transformation gelingt. Eigentlich müssen wir mitten im Umbauprogramm sein. Die Wirtschaft wurde – auch durch eine Reihe von falschen politischen Entscheidungen – lahmgelegt. Es geht kaum noch was voran.

Peter Gerstmann, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Zeppelin Konzerns, kritisiert, dass die Politik die Weichen falsch stellt: Er fordert mehr und schnellere Investitionen. Foto: Zeppelin/Fotoloft Erfurt

Baublatt: Welche politischen Entscheidungen verhinderten den Umbau Deutschlands?

Peter Gerstmann: Steigende Energiepreise und Lieferengpässe führten zu massiven Preissteigerungen. Um Verbraucher, vor allem einkommensschwacher Schichten, zu entlasten, wurden Milliarden Euro in die Hand genommen. Anstatt das Angebot zu stärken, sollte der Preisanstieg etwa durch das 49-Euro-Ticket sowie den Tankrabatt oder die einmalige Übernahme der Abschlagszahlung für Gas- und Fernwärmekunden ausgeglichen werden. Die Atomkraftwerke wurden viel zu früh abgeschaltet und der Ausbau alternativer Energien hätte rasant beschleunigt werden müssen. Aber das haben wir bis heute nicht hinbekommen. Man hätte sich viel früher überlegen müssen, mit welchen Innovationen wir eine alternative Energieversorgung bewältigen. Das ist aber nicht passiert. Die jetzige Koalition ist mit einer ideologischen Idee gestartet, die Gesellschaft radikal auf verschiedenen Ebenen umzubauen. Die meisten der damit einhergehenden Entscheidungen waren investitionsfeindlich und innovationshemmend.

Baublatt: Welche denn zum Beispiel?

Peter Gerstmann: Geplant war, die Energiestandards für Neubauten zu verschärfen. Neue Häuser sollten auf dem Energieeffizienzstandard EH-40 basieren, obwohl das für die Klimapolitik nur einen sehr geringen Nutzen bringt. Die damit verbundenen Mehrkosten verunsicherten Bauwillige. Gut, das wird jetzt erst mal ausgesetzt. Ein weiteres Beispiel, warum private Bauherren und Wohnungsbauinvestoren ihre Bereitschaft tätig zu werden, überdachten, waren die wenig förderliche und andauernde Diskussion über Mietpreisbremsen. Wer soll denn dann noch in bezahlbaren Wohnraum investieren, wenn sich die Investitionen nicht refinanzieren lassen? Das hält Investoren ab.

Baublatt: Das Heizungsgesetz sorgte ebenfalls für Verunsicherung.

Peter Gerstmann: Die Idee ist richtig: Um die CO2-Bilanz zu verbessern, muss alte Gebäudestruktur saniert werden. Damit könnten Investitionen in der Baubranche angekurbelt werden. Doch das Hickhack um die Wärmepumpe führte zu massiven Verunsicherungen und Investitionskosten in Heizung und Gebäudedämmung schreckten viele ab, wenn das Gebäudeenergiegesetz ab 2024 zu neuen Pflichten für Eigentümer bei Heizungen führt. Jetzt kommt noch hinzu: Kommunen müssen eine Wärmeplanung machen, um den Fernwärmeausbau voranzubringen. Es dauert, bis die Planung fertig ist. Logisch, da wartet jeder erst mal ab. Das nächste Problem: Wir investieren nicht, sondern subventionieren. Wärmepumpen sollten bis 30 000 Euro gefördert werden. Klar, dass die Preise dann angehoben werden. Aber so ist es eben, wenn man in Angebot und Nachfrage eingreift. Aber diese Zusammenhänge werden offensichtlich nicht bedacht.

Um die CO2-Bilanz zu verbessern, muss alte Gebäudestruktur saniert werden. Damit könnten Investitionen in der Baubranche angekurbelt werden. Doch Investoren wurden verunsichert.

Baublatt: Können Sie nachvollziehen, warum das ausgeklammert wurde?

Peter Gerstmann: Für mich ist das fehlgeleitete Ideologiepolitik. Die Konsequenz daraus ist, dass wir in die falsche Richtung laufen. Da kann ich auch ein konkretes Beispiel für Baumaschinen geben: Wird ein Cat Radlader alter Bauart gegen ein Modell auf neuestem Stand der Technik ausgetauscht, ist der CO2-Effekt unter Berücksichtigung der Produktionskette höher, als wenn wir ein neues Gerät durch ein Elektromodell ersetzen würden. Wir hätten einen viel größeren Impact, würden wir erst einmal die alten Modelle gegen neue austauschen. Das lässt sich mit konkreten Zahlen belegen: Caterpillar hat dazu in einer Studie Spritverbrauch und anfallende Emissionen von einem Kettenbagger 320 der neuen Generation mit einem 320D ausgewertet. Neue Technik erzielt bis zu 30 Prozent weniger CO2 pro Tonne bewegtes Material, wofür natürlich moderne Abgastechnik, aber auch moderne Assistenzsysteme sorgen. Eine analoge Entwicklung haben wir im Pkw-Bereich und den Elektrofahrzeugen. Was für ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, dass die alten Fahrzeuge nach wie vor in nicht regulierte Länder geliefert werden. Anstatt sie erst einmal alle zu ersetzen, werden Hybrid- und Elektrofahrzeuge subventioniert. Und die nötige Energie kommt von Kohlekraftwerken, weil wir die Atomkraftwerke abgeschaltet haben. Das ist doch völlig unlogisch.

Baublatt: Deutschland fällt im Wettbewerb immer weiter zurück und wird vom britischen Magazin „Economist“ als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. Welche Diagnose stellen Sie für unseren Wirtschaftsstandort?

Peter Gerstmann: Deutschland ist ab- und angeschlagen. Unsere Volkswirtschaft wird schrumpfen. Wir werden die nächsten zwei Jahre kein Wachstum und wahrscheinlich als einziges Land in Europa ein negatives Bruttoinlandsprodukt verzeichnen. Deutschland ist ein „kranker Mann Europas“, weil wir die Weichen nach den Ereignissen falsch gestellt haben, die durch den Krieg gegen die Ukraine hervorgerufen wurden. Hierzu zählen Energiekrise, Lieferengpässe und Rohstoffknappheit. Wir verfolgen eine Politik des Alimentierens und Subventionierens statt des Investierens. Das ist das Grundproblem. Durch den riesigen Berg an Transferleistungen setzen wir gezielt das Leistungsprinzip außer Kraft. Ob in der Pflege, in der Gebäudereinigung oder in der Gastronomie sowie bei handwerklichen Hilfsarbeitern: Sie alle stoßen an die Grenzen des Bürgergelds. Die Grenzen hin zu geregelter Arbeit verschwimmen.

Baublatt: Sie spielen darauf an, dass Leistung sich nicht mehr lohnt.

Peter Gerstmann: Das ist die Botschaft. Unser Steuersystem bestraft die Leistungsträger unserer Gesellschaft, sprich die mittlere Einkommensschicht. Mit jedem Euro, den sie mehr verdient, wird sie belastet, weil sie davon dann mehr abgeben muss. Wenn dieses Geld dann in die Sozialsysteme umverteilt wird, anstatt in Infrastruktur, Innovationen und Bildung zu investieren, trifft das auf wenig Verständnis. Es geht weit in die Gesellschaft rein, dass der Wettbewerbsgedanke nicht mehr gelten soll. Doch Leistung kann man nicht negieren. Es gibt Leistungsträger in unserer Gesellschaft und es gibt Menschen, die leisten weniger. Und schließlich sind da noch diejenigen, die aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen, Krankheit oder sozialer Notlagen nur wenig beitragen können. Wir sind gesellschaftlich verpflichtet, für diese Menschen zu sorgen. Das ist das Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft. Durch ein Bürgergeld, das in einer Höhe ausgezahlt wird und damit die Arbeitsleistung ganzer Berufsgruppen infrage stellt, wird es kritisch. Was wird aus der Gastronomie, der Gebäudereinigung, dem Einzelhandel oder der Pflege, wenn dort Fachkräfte fehlen, weil sie den Mehrwert ihrer Arbeit nicht mehr erkennen? Dies ist gesellschaftlicher Sprengstoff und die Konsequenzen sehen wir derzeit bei jeder Landtagswahl.

Baublatt: Welche Regionen in der Welt sollten wir uns zum Vorbild nehmen, die es besser machen?

Peter Gerstmann: In den USA werden mit dem „Inflation Act“ Investitionen in die Infrastruktur massiv gefördert. Das ist ein gutes Beispiel, an dem könnten wir uns orientieren. Da werden Straßen, digitale Infrastruktur und Schulen ausgebaut. Die Menschen bekommen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen, damit sie Wertschöpfungsketten aufbauen können und dann Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen. Das sichert wiederum das Steueraufkommen. Bei uns ziehen sich dagegen die Genehmigungsverfahren in neue Infrastruktur endlos in die Länge. Hinzu kommen die Klagemöglichkeiten durch jegliche Interessenverbände. Das führt zu endlosen Verzögerungen. Eine Trendwende bei der Verkehrsinfrastruktur ist nicht gewollt, wenn der Verkehr nicht individuell ist. Und den Ausbau und die Modernisierung des Schienennetzes bekommen wir nicht auf die Reihe. Es ist beschämend, wie wir im Bereich digitaler Infrastruktur unterwegs sind. Die Funklöcher sind größer als die Löcher in der Straße. Und was die digitale Infrastruktur in den Verwaltungen und Behörden betrifft, sind die vielen manuellen Genehmigungsakte bezeichnend.

Baublatt: Symptomatisch für die Kommunikation in den Behörden steht für viele das Faxgerät.

Peter Gerstmann: Wenn man wie in Berlin für die Beantragung eines neuen Reisepasses zwei, drei Monate braucht, sagt das alles über den Zustand in den Behörden aus. Die Digitalisierung der Verwaltung und den 5G- sowie Glasfasernetz-Ausbau für schnelles Internet müssen wir stärker beschleunigen. Laut OECD belegt Deutschland im Länder-Ranking immer noch einen der hinteren Plätze. Wir kommen da leider nur schleppend voran. Wie ich schon sagte, wir müssen investieren anstatt zu alimentieren und zu subventionieren.

Das goldene Zeitalter in der Baubranche ist nach Peter Gerstmann nicht vorbei, sondern wurde ausgebremst

Baublatt: Tesla und Intel investieren Milliarden in Ostdeutschland und bauen neue Werke. Gleichzeitig profitieren sie von Subventionen. Ist es richtig, dass einzelne Industrien so begünstigt werden?

Peter Gerstmann: Es ist schon paradox: BMW will in Bayern eine Batteriefabrik bauen und scheitert fast an einem Bürgerentscheid. Elon Musk hat dagegen in Ostdeutschland eine Fabrik gebaut, weil er Subventionen erhält. Was ist das für ein Blödsinn? Man sollte doch Zukunftsindustrie in einem Umfeld fördern, das Unternehmen anzieht, weil es für sie attraktiv ist – aber nicht wegen der Subventionen, sondern weil dort Innovationen begünstigt werden. Was passiert, wenn die Subventionen aufgebraucht sind? Ist dann auf diese Investoren Verlass oder schließen die dann die Fabriken und ziehen zum nächsten subventionierten Standort?

Baublatt: Wie beurteilen Sie denn unsere Energiewende?

Peter Gerstmann: Wir müssen eine Transformation der Energieversorgung organisieren und schalten zunächst die Atomkraftwerke ab. Das halte ich für einen großen Fehler. Nicht, weil ich ein großer Befürworter von Atomkraft bin, sondern weil ich weiß, dass ganz Europa seine atomare Infrastruktur ausbaut oder auf einer unzulässig alten atomaren Infrastruktur sitzt. Wir kaufen Atomstrom aus Nachbarländern teuer ein. Da sind Reaktoren darunter, die auf dem technischen Stand von Tschernobyl sind. Gleichzeitig schalten wir Isar II ab, eines der modernsten Atomkraftwerke Europas. Wir haben Zukunftstechnologien, die den atomaren Restmüll auf ein Minimum reduzieren, doch nutzen das nicht. Andere Länder investieren in Technologien und werden von der EU subventioniert – die Gelder dafür bekommen sie auch aus Deutschland. Wenn wir nicht auf Atomkraft zurückgreifen wollen, müssen wir massiv in alternative Technologien investieren. Aber machen wir das wirklich? Beim Bau von Stromtrassen und beim Ausbau der Windenergie kommen wir nur schleppend voran.

Baublatt: Woran liegt der zögerliche Ausbau?

Peter Gerstmann: Genehmigungsverfahren der Behörden und Länder, aber auch die Berücksichtigung von Artenschutz, Anwohner-Klagen oder Probleme mit Transportgenehmigungen bremsten bislang die Umsetzung. Es hat aber auch mit überzogener ökologischer Ideologie zu tun, die von den Realitäten völlig entkoppelt ist und letztendlich das Ziel und die Machbarkeit aus den Augen verliert. Unsere Infrastruktur ist kaputt: Fernstraßen sind in einem schlechten Zustand, Brücken sind nur noch eingeschränkt mit Schwertransportern befahrbar und Schienenwege sind unzureichend ausgebaut. Wenn wir Baumaschinen ausliefern oder eben Rotorblätter für Windparks befördert werden, müssen große Umwege gefahren werden. Damit ist niemand geholfen, denn das kostet Geld und CO2. Als in Genua die Brücke eingestürzt ist, war sie innerhalb von zwei Jahren wieder neu gebaut. Wir haben zwei Rheinbrücken, die seit zehn Jahren nicht mehr von schweren Lkw befahrbar sind.

Baublatt: Damit Verkehrsprojekte künftig schneller umgesetzt werden können, hat der Bundestag kürzlich einem Gesetz zugestimmt, das Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen soll. Wird das wirklich helfen, den Knoten zu lösen? Bislang haben bürokratische Auflagen, Verordnungen und Vorschriften Planungen und Genehmigungen ausgebremst.

Peter Gerstmann: Bei uns wird viel zu viel auf die Unternehmen abgewälzt. Firmen müssen ganze Abteilungen beschäftigen, um Nachweise zu führen, ob und- wie sie CO2 reduzieren. Das kostet Geld, damit könnten sie viel besser konkrete Vorhaben finanzieren, um Emissionen einzusparen. Mittelständler müssen ganze Stäbe aufbauen allein wegen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Ganz zu schweigen davon, dass sie oftmals keinen Nachweis von Lieferketten erbringen können. Das treibt manche Unternehmen an den Rand der Legalität. Der soeben beschlossene Bau-Turbo-Pakt für schnellere Planungs- und Bauprozesse soll zu mehr Tempo beim Bau von Infrastruktur und Wohnungen führen. Das klingt vielversprechend. Abzuwarten bleibt, wie schnell den Worten auch Taten folgen, erste Ergebnisse vorliegen und Genehmigungsprozesse tatsächlich beschleunigt werden.

Baublatt: Immer mehr Unternehmen spielen mit dem Gedanken, ins Ausland abzuwandern, wenn sie es nicht schon getan haben. Sind wir schon mitten in der Deindustrialisierung, von der alle reden?

Peter Gerstmann: Es gibt Aussagen von politischen Vertretern der Ampelregierung, die eine Automobil- und Chemieindustrie in Deutschland infrage stellen. Da frage ich mich schon, was wird dann aus den Menschen, die dort beschäftigt sind? Sie können sicherlich nicht alle Programmierer und Dienstleister werden. Dieses Experiment ist in England vor vielen Jahrzehnten schon einmal richtig schiefgegangen. Wir waren führend im Fahrzeugbau und innovativen, chemischen Produkten. Wenn wir für diese Kernindustrien nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, werden diese Unternehmen sich anders orientieren. Dann findet die Wertschöpfung im Ausland statt. Die USA locken Unternehmen mit günstiger Energie. Es gibt ein leistungsorientiertes Steuersystem – auch das zieht Firmen an. Bundesstaaten wie Texas umwerben dann Elon Musk, der dann eben keine weitere Fabrik mehr in Brandenburg baut, sondern in Austin, Texas. Ein weiteres großes Problem für Deutschland sehe ich darin, dass derzeit Innovationen kaum gefördert werden oder bei uns stattfinden. Ein Ansatz wäre doch, dass wir in Innovationen investieren, um die Zukunft zu gestalten. So wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben. Da wurden immer Lösungen gefunden. Ein Beispiel ist die Zementindustrie. Sie gilt als einer der größten Verursacher von CO2. Es gibt bereits entsprechende Verfahren mit grünem Wasserstoff, um die CO2-Emissionen zukünftig weiter zu reduzieren. Solche Technologien müssen wir gezielt ausbauen. Wir müssen Anreize schaffen, damit Unternehmen in mehr Energie- und Ressourceneffizienz investieren und Innovationen fördern. Es gibt hierzulande ausgezeichnete Forschungseinrichtungen, aber es braucht mehr finanzielle Unterstützung, damit innovative Ideen auch umgesetzt werden können. Technologischer Fortschritt würde unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Baublatt: Woran orientieren Sie sich selbst, wenn Sie ein Unternehmen wie Zeppelin mit weit über 10 000 Mitarbeitern durch so schwierige Zeiten wie aktuell führen müssen?

Peter Gerstmann: Das Umfeld für Zeppelin ist schwierig, weil wir von unseren Produkten und Dienstleistungen eng mit der Bauindustrie verflochten sind und damit auch von der Baukonjunktur abhängen. Natürlich ist die Situation im Wohnungsbau fatal – hier gibt es ein großes Delta zwischen dem Baubedarf und was dann tatsächlich geplant und umgesetzt wird. Die Investoren im Industriebau sind sehr zurückhaltend und es entstehen wenig neue Büros und Produktionsanlagen. Die Tiefbauprojekte profitieren noch von einem guten Auftragspolster, das aber schnell dahinschmilzt. Es machen sich zunehmend die zögerliche Investitionsbereitschaft der Kommunen und die fehlenden Investitionsprogramme in die Infrastruktur bemerkbar. Darauf muss sich Zeppelin einstellen. Die ganzen Zulieferketten der Bauindustrie benötigen Baumaschinen, um aus den Grundstoffen und Schüttgütern Baumaterialien produzieren zu können. Das ganze Gebäude ist in einer Kette, in der Baumaschinen eingesetzt werden. Sie werden nicht so ausgelastet sein, wie wir das in der Vergangenheit kannten. Das betrifft Steinbrüche, Kies- und Sandgruben, aber auch die Produktion von Glas und Stahl. Es reicht bis zum Recycling und bis in die Entsorgung hinein, die dann ebenfalls weniger Maschineneinsätze haben, und das schlägt sich dann auch auf die Servicestunden nieder. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Ein Wachstum ist in den nächsten zwei Jahren nicht zu erwarten.

Baublatt: 2023 war Zeppelin stark bemüht, Auftragsrückstände von 2022 abzuarbeiten, die durch die unterbrochenen Lieferketten entstanden sind. Wie sieht das Auftragspolster zum Jahresende und für 2024 aus?

Peter Gerstmann: Im Moment sind wir in einem schwierigen Fahrwasser. Das merken wir am Auftragseingang und zunehmend auch an der Auslastung der Mietflotte. Aktuell arbeiten wir die hohen Auftragsbestände der letzten Jahre ab. Wir werden uns jedoch im nächsten und vielleicht auch übernächsten Jahr auf ein geringeres Niveau einstellen müssen. Die gute Nachricht ist: Das Niveau wird immer noch so hoch sein, dass es Zeppelin durch dieses schwierige Marktumfeld trägt. Ich sehe keine Finanz- und Wirtschaftskrise, wo alles auf null runtergefahren wird. Unsere Geschäftsmodelle sind sehr resilient und werden von unseren Service- und Lösungsangeboten sowie unserer breiten Aufstellung im Markt getragen. Wir haben uns eine gute Marktposition erarbeitet, und das wird uns in diesen herausfordernden Zeiten zugutekommen. Allerdings werden wir uns auf eine angespannte Marktlage einstellen. Durch den Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Entscheidung, aus dem Markt in Russland auszusteigen, haben wir einen sehr profitablen Markt und damit einen hohen Anteil unseres Umsatzes verloren. Der ist nicht mehr da und wird auch auf absehbare Zeit nicht wiederkommen. Hinzu kommt, dass wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Ukraine weiterhin einen sicheren Arbeitsplatz bieten. Wir wissen aber nicht, was passiert, wenn der Krieg zu Ende geht und wie das Land in der Zukunft aufgestellt sein wird. Aktuell leben wir weltpolitisch gesehen in einer fragilen Lage – bedingt durch den Konflikt im Nahen Osten und weiterer drohender Konflikte in der Welt. Das bedeutet, dass Lieferketten gestört bleiben und die Inflation weiterhin auf hohem Niveau verharren wird. Dies führt weiterhin zu höheren Lohnabschlüssen. Das macht wiederum Produkte teurer. Eine Inflation hat ihre eigenen Gesetze, die nur durchbrochen werden können, indem wir das Angebot sichern und erhöhen. Wir müssen die Kernprobleme bekämpfen.

Viele Brücken sind inzwischen nur noch eingeschränkt mit Schwertransportern befahrbar. Fotos (3): Zeppelin

Baublatt: Also gibt es für die Baubranche doch keine goldene Dekade?

Peter Gerstmann: Die unbedingte Notwendigkeit für bauliche Investitionen hat sich nicht geändert, wir brauchen Wohnungen und einen verstärkten Ausbau der Infrastruktur. Baumaßnahmen werden durch die Energiewende getrieben. Es werden Stromtrassen gebraucht. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie muss vorangetrieben werden und ein umfangreicher Rückbau von Kraftwerken wird erfolgen. Und weil auch Abbauflächen renaturiert werden, sehe ich somit weiterhin für Zeppelin glänzende Zukunftsaussichten. Baumaschinen, Lösungen und Dienstleistungen werden dringend benötigt, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Hier sind wir bestens aufgestellt. Zwar werden in ein paar Jahren die Verbrennungsmotoren auslaufen, aber ich bin mir sicher, dass unser Partner Caterpillar hier herausragende Lösungen mit neuen Leistungskonzepten anbieten wird. Der anstehende Austausch von verbrennungsmotorisch betriebenen Baumaschinen könnte unserem Markt zudem sogar eine Sonderkonjunktur bescheren. Noch mal auf den Punkt gebracht: Kurzfristig wird es die nächsten ein, zwei Jahre schwierig. Langfristig sind wir in der richtigen Branche.

Baublatt: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, die Unternehmen 2024 bewältigen müssen?

Peter Gerstmann: Die Aufträge fielen in der Vergangenheit vom Himmel. Es war schon fast ein Glücksfall, einen Handwerker zu bekommen, wenn man einen gebraucht hat. Selbst für unsere eigenen Bauvorhaben wie den Neubau von Niederlassungen war es schwierig, ein Bauunternehmen zu finden. Die letzten Jahre konnten Baufirmen und Baustoffhersteller gute Preise am Markt durchsetzen. Das wird sich wieder ändern, weil der Wettbewerb am Markt steigen wird. Es wird auch den einen oder anderen Verlierer geben. Wir werden wieder mehr Insolvenzen sehen, und das wird dann die gesamte Wertschöpfungskette schwächen. Für alle wird es schwieriger werden, aber das ist für die Branche nichts Neues. Die letzten acht Jahre waren eben kein normaler Zustand. Nun kommen wir zu einer gewissen Normalität zurück und die Spreu wird sich vom Weizen trennen. Es wird wieder Firmenzusammenschlüsse geben. Unternehmen werden auf Einkaufstour gehen. Die ganze Bauindustrie wird sich wieder neu strukturieren.

Baublatt: Eine Partei profitiert besonders von der Entwicklung, seitdem die politische Landschaft im Umbruch ist. Ist unsere Demokratie in Gefahr?

Peter Gerstmann: Ich glaube nicht. Dafür ist unsere Demokratie zu robust. Unsere demokratischen Säulen funktionieren und lassen sich zum Glück nicht zu leicht abschaffen. Es kam zu einer Abwanderung von Wählerstimmen wie bei den letzten Landtagswahlen in Bayern und Hessen, weil Rahmenbedingungen geschaffen wurden, an denen so manche inzwischen verzweifeln. Es geht beispielsweise um die gerechte Verteilung und Entlohnung von Arbeit – Leistung scheint nicht mehr ausschlaggebend dafür. Das führt zu Personengruppen, die sich als Verlierer nicht wertgeschätzt fühlen für ihre Arbeit und ihren Beitrag für die Gesellschaft. Sie sehen sich durch die angestammten demokratischen Parteien nicht mehr vertreten, sondern wenden sich denen zu, die ihnen Verständnis und Anerkennung versprechen. Wir müssen das Leistungsversprechen korrigieren und die empfundene Ungerechtigkeit beseitigen. Dann wird sich das rechte Phänomen schnell wieder in Luft auflösen. In der Geschichte haben autokratische Parteien immer Zulauf erhalten, wenn der Wohlstand in Gefahr war und die Menschen sich in ihrer Leistung nicht wertgeschätzt gefühlt habe. Man muss sich hier nur die Massenarbeitslosigkeit in den 30er-Jahren anschauen. Arbeitsplätze wurden durch den Bau von Autobahnen versprochen. Das Schlimme ist: Sobald rechte Parteien einmal zu viel Macht bekommen, können sie Einfluss auf die demokratischen Systeme nehmen. Das darf nicht passieren, und das müssen wir verhindern. Es wird schwer, aber wir brauchen unbedingt einen gesellschaftlichen Konsens. Diesen gab es immer in der Vergangenheit. Eine konsequente antizyklische Wirtschaftspolitik, wie sie Helmut Schmidt und Karl Schiller betrieben haben, hätten viele einer sozialdemokratisch geführten Regierung nie zugetraut. Das zeigt aber, es gab genug Kräfte in dem demokratischen Umfeld, die einen Konsens finden konnten.

Baublatt: Aber trauen Sie das der Ampel-Koalition auch zu?

Peter Gerstmann: Das wird ihr in dieser Konstellation nicht gelingen. Weil wir zwei Parteien haben, die zwei sehr ausgeprägt unterschiedliche politische Richtungen verfolgen und diese mit gezielten regulatorischen Maßnahmen und hohen Subventionen umzusetzen versuchen: ob Bürgergeld, Mindestlohn und Kindergrundsicherung auf der sozialpolitischen Seite oder Lieferkettensorgfaltspflichten- oder Gebäudeenergiegesetz, CO2-Taxonomie und Ökosteuer für den ökologischen Umbau auf der anderen Seite. Immer bestimmen Verbote, Transferleistungen und Subventionen die politische Arbeit. Es geht nicht mehr um Leistungsorientierung, Gerechtigkeit und eine gesunde sowie wachsende Wirtschaft. Und das ist der wunde Punkt.

November/Dezember 2023