Bauvorhaben und deren Planung beschleunigen – über die Rolle von BIM

Fahrt aufnehmen: Das gilt für unsere Infrastruktur, konkret für 144 Autobahnprojekte, die neben dem Brückenbau und dem Erhalt sowie Ausbau des Schienennetzes schneller vorangebracht werden sollen. Darauf hat sich die Ampelkoalition nach ihrer Marathonsitzung Ende März verständigt. Das bestehende Fernstraßennetz ist längst „am Anschlag“, was das Stauaufkommen betrifft und kommt somit nicht nur der Volkswirtschaft teuer zu stehen, sondern belastet sie auch noch mit zusätzlichem CO2-Ausstoß. Bauunternehmen fordern längst langfristige Planungssicherheit, um Investitionen planen und Kapazitäten aufbauen zu können. Bauvorhaben zu beschleunigen, steht und fällt mit der Digitalisierung. Große Hoffnung verbinden die Bauakteure daher mit BIM, dem Building Information Modeling. Doch wie ist hier der Status quo?

Bei BIM geht es um eine ganzheitliche Planungs- und Steuerungsmethode, die Daten eines Bauwerks modelliert und für dessen gesamte Lebensdauer den Unterhalt deutlich vereinfacht. Ab 2025 soll BIM im Bundesfernstraßenbau flächendeckend die Regel werden. Der Bund als Bauherr verspricht sich durch die Digitalisierung mehr Transparenz bei Kosten- und Zeitbudgets insbesondere von Großprojekten. Allerdings wenden ein Großteil der Architektur- und Ingenieurbüros sowie Bauunternehmen BIM trotz der Vorgaben noch nicht an – gerade einmal 20 Prozent der deutschen Planungs-, Bau- und Handwerksfirmen nutzen laut Marktforschern von Bauinfoconsult die digitale Planungsmethode. Zu groß scheinen die Hürden – ein Grund, warum noch nicht mit BIM gearbeitet wird, ist oftmals die ausbleibende Nachfrage durch die Auftraggeber. Das zeigt auch eine Umfrage der Bundesingenieurkammer, die der Frage nachging, wie weit die Digitalisierung im Arbeitsalltag der Ingenieurbüros fortgeschritten ist. 59 Prozent der Befragten wurden bisher noch nicht durch einen öffentlichen Auftraggeber aufgefordert, mit BIM zu planen. Private Bauherren machen die digitale, objektorientierte Planung noch seltener zur Bedingung: 79 Prozent geben an, dass der Einsatz von BIM von ihnen nicht nachgefragt wurde. Ingenieurbüros, die unabhängig von der Nachfrage auf die neue digitale Arbeitsweise setzen, machen dies auch, um für ihre Angestellten und Nachwuchskräfte attraktiv zu bleiben. Zudem verweist fast die Hälfte darauf, aus Eigeninteresse BIM eingeführt zu haben. Befragte, die BIM bereits anwenden, sehen darin einen Wettbewerbsvorteil (67 Prozent) oder optimieren darüber interne Prozesse (58 Prozent).,

Damit Bauvorhaben schneller verwirklicht werden können, gilt manchen Bauakteuren BIM als Allheilmittel. Foto: joffi-Pixabay

„BIM ist nicht das Allheilmittel für eine Weiterentwicklung der Bauwirtschaft“, schränkt jedoch Jürgen Piel ein, Leiter BIM- und Prozessmanagement der Matthäi Bauunternehmungen sowie Sprecher des Arbeitskreises BIM bei der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB). „Dennoch ist BIM für geeignete Projekte eine wichtige Methode für fortschrittliches und modernes Bauen und die professionelle Digitalisierung im Bauwesen“, betont er. Vorausgesetzt, der Informationsaustausch und Wissenstransfer der beteiligten Baupartner funktioniert. Nötig sei dafür eine ausreichende Qualifizierung. „Hier werden Planer, ausführende Unternehmen und Auftraggeber vor große Herausforderungen gestellt“, hebt Daniel Jonas, Abteilungsleiter Straßen-, Tief- und Ingenieurbau von der BVMB, hervor.

Es braucht mehr Tempo. „Die geplante Digitalisierung und gezielte Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren in den Bauämtern sind entscheidende Faktoren, damit wir endlich deutlich mehr Geschwindigkeit in unsere langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren bekommen“, erklärt Thomas Möller, Geschäftsführer der Landesvereinigung Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Gerade mit Blick auf den Wohnungsbau müsse hier mehr Tempo rein. Aber auch im Wirtschaftsbau und vor allem bei wichtigen Infrastrukturprojekten wie dem Brückenbau hätten die oft jahrelangen Genehmigungsverfahren zu einem regelrechten Stillstand geführt. Dazu Thomas Möller weiter: „Der Flaschenhals lag bisher im Verwaltungsverfahren. Das wissen auch Land und Kommunen. Wir hoffen daher, dass es durch die rasche Digitalisierung der Ämter und mehr Standardisierungen in den Anpassungen in der Landesbauordnung zu einem verschlankten Verfahrensmanagement und damit zu schnelleren Baufreigabeverfahren kommt.“

Der Handlungsdruck ist bekannt: Das zeigte sich auf der Fachmesse Bau vom 17. bis zum 22. April 2023 in München, auf welcher der Bundesverband Bausoftware (BVBS) sich mit Politikern wie Bundesbauministerin Klara Geywitz und Michael Kießling, fachpolitischer Sprecher der CSU für Bauwesen, Infrastruktur und Mobilität, austauschte. Aus dem Gespräch ging hervor, dass die Politik BIM als digitale, gemeinsame Sprache versteht und diese auch in den zukünftigen Bundesbauten weiter fordern und fördern wird. „Es ist entscheidend, dass die Digitalisierung von den Köpfen noch mehr in die Praxis kommt“, so der BVBS-Vorstandsvorsitzende Professor Joaquín Díaz.

Welche Rolle inzwischen BIM übernehmen kann, wird sich bei den Bauarbeiten am Autobahndreieck Heumar zeigen. Den zentralen Verkehrsknotenpunkt in NRW, der die Bundesautobahnen A3, A4 und A59 verbindet, passieren im Schnitt täglich 220 000 Fahrzeuge. 20 Prozent davon entfallen auf den Schwerlastverkehr. Vorhersagen gehen für 2030 von einer Zunahme des Verkehrsaufkommens auf rund 240 000 Fahrzeuge pro Tag aus. Um auch in Zukunft der Belastung standzuhalten – das gilt insbesondere für die elf Brückenbauwerke, die kurz- bis mittelfristig ersetzt werden müssen – wird der zentrale Verkehrsknotenpunkt Heumar bis 2030 erneuert, und das bei laufendem Verkehr. Dabei setzt die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH in allen Planungs- und Bauphasen BIM ein, um Baufortschritt und Baukosten zu koordinieren und zu kontrollieren. In erster Linie wird hierfür in der Ausführungsplanung ein BIM-Modell erstellt und dieses für die Bauausführung genutzt. Es dient darüber hinaus dazu, Bauleistungen abzurechnen, Planänderungen umzusetzen, zum Mängelmanagement und zur Bauwerksdokumentation.

Allein im Rahmen der Umsetzung des BIM-Masterplans Bundesfernstraßen werden rund 110 Projekte verschiedener Größenordnungen und Projektarten von Bund und Ländern auf den Markt kommen, blickt Michael Gilka, Hauptgeschäftsführer der BVMB, auf die nahe Zukunft. „Das ist nur ein kleiner Teil der künftigen BIM-Projekte. Es kommt eine große Welle auf uns zu.“ Er zeigt indes auch Grenzen von BIM auf: „Man wird sich auch die Frage stellen müssen: Wie viel BIM verträgt ein Projekt im Mittelstand?“ Es sei Augenmaß gefordert. BIM dürfe nicht zum Automatismus werden, sondern müsse dort zum Einsatz kommen, wo auch wirklich Vorteile daraus entstünden, so Gilka. Er fordert insbesondere auch die mittelständischen Bauunternehmen auf, sich weiterhin verstärkt mit BIM zu beschäftigen und sich an den Pilotprojekten zu beteiligen.

BIM könnte Arbeitsplätze im Baubereich für junge Arbeitnehmer attraktiver machen – so die Hoffnung. Foto: PublicDomainPictures-Pixabay

Trotz aller Vorteile des digitalen Planens, Bauens und Betreibens mit BIM gibt es ein Problem: 3D-Modelle – insbesondere für Bestandsbauten – stehen meist nicht zur Verfügung. Dadurch wird nicht nur die Einführung von BIM verzögert, sondern es fehlen auch verlässliche Daten zur Optimierung des Lebenszyklus eines Bauwerks für die gesamte Bau- und Wohnungswirtschaft. „Für eine erfolgreiche Umsetzung der BIM-Implementierung braucht es unterschiedliche Sichtweisen und den regelmäßigen Informations- und Wissensaustausch“, erklärt Daniel Jonas. Man habe „nicht unerhebliche Hindernisse“ im Implementierungsprozess identifiziert. „In der Sache sind sich Baufirmen und Auftraggeber zwar einig, aber bekanntermaßen kann der Bund den Ländern beispielsweise nur Empfehlungen aussprechen und hoffen, dass die Länder sich anschließen, wenn es um einheitliche digitale Anwendungen geht“, so Daniel Jonas. Damit BIM funktionieren kann, müssten alle Stakeholder zügig ausreichend qualifiziert werden. „Hier werden Planer, ausführende Unternehmen und Auftraggeber vor große Herausforderungen gestellt“, hebt er hervor. „BIM dient nicht nur dem Selbstzweck der Auftraggeber“, unterstreicht er. Auch Baufirmen hätten durch die Anwendung der Methode Vorteile. Dazu Daniel Jonas: „Die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wird gestärkt und die Attraktivität als Arbeitgeber steigt – Digitalisierung und das damit eng verknüpfte Thema Nachhaltigkeit sind Themen, für die sich junge Menschen interessieren.“

Gerade im Hinblick auf nachhaltiges Bauen kann BIM bei der ganzheitlichen Planung Unterstützung bieten, wenn zentrale Informationen für alle Baubeteiligten bereitstehen. Das Problem bei der Erneuerung von Brücken ist aktuell, dass der Herstellungspreis immer noch das wichtigste Kriterium ist, wenn Bauherren entscheiden, welche Planungsvariante verfolgt wird. „Ökobilanzielle Auswirkungen durch die Brücken sowie die im Stau stehenden Fahrzeuge, Lebenszykluskosten und volkswirtschaftliche Kosten werden wenig bis gar nicht berücksichtigt. Dabei übersteigen die volkswirtschaftlichen Folgekosten die reinen Lebenszykluskosten der Brücken oft deutlich“, meint Matthias Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine des Karlsruher Instituts für Technologie. Zugrunde liegt dieser Schieflage ein methodisches Problem: Die Erschließung aller Planungsvarianten im Hinblick auf Lebenszykluskosten, volkswirtschaftliche Kosten und Emissionsaufkommen ist mit hohem Aufwand verbunden und erfordert beträchtliches Know-how. Dank des an der Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine durchgeführten Projekts IntegBridge könnte sich dies ändern. Denn dabei erstellte das Forscherteam rund um Matthias Müller für sämtliche brückenspezifischen Komponenten sogenannte Vorbilanzen – gewissermaßen Rohlinge aus ökobilanziellen, ökonomischen und verkehrstechnischen Daten und speicherte diese in einem Element-Katalog. „Diese Elemente“, so Matthias Müller, „werden mit projektspezifischen BIM-Modellen verknüpft. Anschließend kann ein Bewertungsalgorithmus die ökobilanziellen Auswirkungen, die Lebenszykluskosten und die volkswirtschaftlichen Kosten berechnen. Dieser komplett digitale Workflow erlaubt es Planern, Brückenvarianten frühzeitig, planungsbegleitend, ganzheitlich und teilautomatisiert zu bewerten.“ Damit wurden die methodischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die ganzheitliche Bewertung Einzug in die Planungspraxis halten kann. Nun sind Gesetz- und Auftraggeber gefragt. „Freilich wird die ganzheitliche Bewertung nur dann zum neuen Standard werden“, so Matthias Müller, „wenn öffentliche Auftraggeber entsprechende Analysen auch einfordern.“

Mai/Juni 2023