Bremsklotz Bürokratie

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Die Baubranche ist angeschlagen. Die Nachfrage nach Bauleistungen, allen voran im Wohnungsbau, ist auf Talfahrt. Ausufernde Bürokratie hat den Patienten geschwächt. Eine Flut von Verordnungen und praxisfremde Vorschriften machen Bauvorhaben immer aufwendiger und teurer – das verleidet Bauherren Investitionen.

Einige der größten Belastungen sehen Bauunternehmen in den umfangreichen Regeln zur Arbeitszeiterfassung. Aber viele Betriebe sind auch schon an der Hürde gescheitert, ausländische Fachkräfte als Mitarbeiter aufzunehmen. Leidgeprüfte Bauunternehmer haben angesichts der Regulierungswut, die sie im Tagesgeschäft behindert, längst resigniert, weil ihr Widerspruch verhallt. Einen neuen Anlauf unternimmt die DIHK im Vorfeld der Europawahl und legt den Finger in die Wunde: 2021 seien auf EU-Ebene für ein abgeschafftes Gesetz 1,5 neue entstanden, zählt ihr Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben auf. 2022 habe das Verhältnis bereits bei 1 zu 3,5 gelegen – und im Juni dieses Jahres seien auf ein abgeschafftes Gesetz sogar 5 neue gekommen. Er beklagt: „Innovationen, Gründergeist, Unternehmermut und Erfolg bleiben auf der Strecke.“

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Statt Aufträge zu akquirieren und zu verhandeln, Bauprojekte zu managen sowie das Personal zu führen, verbringen Bauunternehmer ihre Zeit hinter dem Schreibtisch und brüten beispielsweise über der neuen Ersatzbaustoffverordnung (EBV), die selbst nach ihrem Inkrafttreten seit August nach wie vor für Unmut sorgt. Denn Probleme bereiten die zusätzlichen Dokumentationspflichten. Kritik richtet sich an die Prüfverfahren, die Bewertung von Ersatzbaustoffen und die Vorschriften, wie Bodenaushub zu handhaben ist. Es gibt bereits Anzeichen, dass Bauen noch mehr kosten wird und so bezahlbaren Wohnraum torpediert. Denn Recyclingfirmen verweigern bereits die Annahme von Abfällen zur Aufbereitung, sodass dann als Ausweg nur noch die Deponie bleibt, wo sie teuer entsorgt werden müssen. Das geht am Ziel einer möglichst hohen Recyclingquote vorbei, die aus Recycling gewonnenen Baumaterialien stärker in den Markt zu bringen, und bremst somit das Recycling von Bau- und Abbruchabfällen. „Mehr als 200 Millionen Tonnen recycelte Mineralstoffe können in Deutschland nicht als hochwertige Baustoffprodukte vermarktet werden“, kritisiert Remex-Geschäftsführer Michael Stoll. Vertreter der Branche bemängeln, dass bestimmte Anforderungen der neuen Verordnung sich in der Baupraxis nicht realisieren lassen, die den Einbau und die Dokumentationspflichten von Asphaltmischgut betreffen, das unter Verwendung von Ersatzbaustoffen hergestellt wird.

Was zudem missfällt, ist der Terminus technicus. Unternehmen streben eine Umetikettierung an, um das Wort Abfall im Sprachgebrauch durch Produkt – oder noch besser Wertstoff – zu ersetzen, was sich natürlich so besser vermarkten ließe. Und so die Akzeptanz bei Auftraggebern erhöhen würde. Doch auch auf EU-Ebene täte eine einheitliche Linie gut, doch kochen die Abgeordneten in Brüssel ihr eigenes Süppchen. So kommt es immer wieder zu Problemen bei der einheitlichen Definition, wann Altmetall als Abfall oder als wiederverwertbarer Schrott für die Kreislaufwirtschaft gilt. Nicht nur die Zahl der Vorschriften und Regulierungen sind der Schlüssel dafür, wie sich ein Unternehmen entwickeln kann, sondern auch die Qualität der öffentlichen Verwaltung, die Vorschriften vor Ort umsetzt. Das ist das Ergebnis einer Studie des DIW. Aktuelle Berechnungen zeigen in EU-Regionen, dass gute öffentliche Verwaltung Unternehmen weniger schadet als gedacht. Ineffiziente Behörden dagegen verschärfen die negativen Auswirkungen. Das heißt für die Politik wiederum, sie muss nicht nur für weniger Vorschriften, sondern auch für bessere Strukturen in der Verwaltung sorgen. Dazu braucht es aber eine Trendwende. Denn es lässt sich nicht alles bis ins kleinste Detail vorschreiben und regeln, sondern manchmal muss auch der gesunde Menschenverstand von Fall zu Fall entscheiden dürfen.

November/Dezember 2023