Flexible Wohnkonzepte für die Zukunft

Künftig werden noch mehr Menschen in den Städten wohnen wollen. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, ist es notwendig, Stadtflächen intensiver zu nutzen. Die Dichte wird zunehmen und damit auch die Mischnutzungen von Wohnen, Büro, Gewerbe und Handel. Die städtebaulichen Konzepte einer autogerechten Stadt des vergangenen Jahrhunderts sind obsolet. Die aktuellen Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt mit einem hohen Anteil an Homeoffice-Berufstätigen bestätigen den schon seit Jahren bestehenden Trend in der digitalisierten Arbeitswelt, überall und jederzeit arbeiten zu können. Dies muss Niederschlag in Wohnkonzepten finden. Auch werden künftig alternative Wohnformen für Patchworkfamilien, Wohngemeinschaften oder Co-Working-Spaces multifunktionale Gebäudetypen erforderlich machen. Jens Merkel, Design Manager Objektplanung/Architectural Design bei der Hochtief Infrastructure GmbH, Building Hamburg, über die bevorstehenden Herausforderungen für den Wohnungsbau der Zukunft.

Baublatt: Welche Veränderungen wird das alles mit sich bringen?

Jens Merkel: Meiner Meinung nach werden monofunktionale Flächennutzungen weniger werden. Bestehende Immobilien, wie beispielsweise Bürogebäude, werden zu Wohnzwecken umgenutzt, Neubauten für multifunktionale Nutzungen ausgelegt. Der derzeitige Flächenverbrauch kann durch Misch- und Mehrfachnutzungskonzepte verringert werden.

Baublatt: Wie begründet sich diese Entwicklung?

Jens Merkel: Flächen- und Ressourcenverbrauch muss beschränkt werden, Klimawandel bedingt energieeffizientere Bauformen, die demografische Veränderung unserer Gesellschaft erfordert neue Antworten auf Landschafts-, Städtebau- und Siedlungsfragen, Veränderungen in der Büro- und Arbeitswelt bedingen andere Infrastrukturbedingungen und Gebäudetypen.

Baublatt: Über welchen Zeitraum sprechen wir?

Jens Merkel: Über die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre.

Baublatt: Was sind dabei die Herausforderungen, vor denen Architekten und Planer stehen?

Jens Merkel: An kreativen Ideen und Köpfen besteht kein Mangel, aber um die richtigen Voraussetzungen für eine nachhaltige, kreislauforientierte Wirtschaft zu schaffen, erfordert es nicht nur die notwendige Akzeptanz in unserer Gesellschaft, sondern auch den Willen zur konsequenten Umsetzung durch alle Beteiligten.

Baublatt: Wie können wir mit dem Platzmangel in den Ballungszentren umgehen?

Jens Merkel: Neben den klassischen Projekten zur Umnutzung und Nachverdichtung von Bestandsimmobilien in Städten gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen und Studien zu den Themen Neustrukturierung von Stadtflächen sowie zum flächenschonenden Neubau. Zum Beispiel gibt es in Hamburg stadtplanerische Ansätze, längs der Verkehrsmagistralen in den Randbezirken Bestandsflächen mit Einzelbebauungen künftig nachzuverdichten, indem man die Grundflächenzahl- und Geschossflächenzahl-Kennwerte erhöht.

Baublattt: Welche Maßnahmen eignen sich dafür?

Jens Merkel: Aufstockung und Umnutzungen von Bestandsimmobilien, beispielsweise Wohn- und Geschäftsgebäude aus der Gründerzeit, aber auch Büro- und Gewerbebauten der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das Bauen der Zukunft stellt Architekten und Planer, aber auch Baustoffproduzenten vor immer neue Herausforderungen. Der Wunsch der Nutzer nach individuell gestaltetem Wohnraum, alternative Wohnformen und Ansprüche an sich wandelnde Arbeitsbedingungen, insbesondere in den von Platzmangel beherrschten Ballungszentren fordern neue Wohnkonzepte, die flexibel und dabei nachhaltig sind.

Baublatt: Wie lässt sich das mit den Ansprüchen an individuelle Gestaltung des eigenen Wohnraums oder besondere Bedürfnisse vereinbaren?

Jens Merkel: Gerade die großzügigen Grundrisse der Altbauten aus der Gründerzeit lassen bei Umbauplanungen viel Spielraum für verschiedene oder gemischte Nutzungen wie Wohnen, Büro oder Gewerbe zu. Aber auch die meist klar strukturierten Bausubstanzen der 60er- und 70er-Jahre ermöglichen viel Gestaltungsspielraum beim Ausbau. Bei künftigen Neubauten sollte vor Planungsbeginn verstärkt die sogenannte „Phase 0“ dazu genutzt werden, mit den Bauherren und Nutzern die Bedürfnisse genauer zu klären, um dann in der Planung die späteren Nutzungen bedarfsgerecht und nachhaltig im Gebäude umzusetzen. Diese Vorgehensweise wird seit Jahren sehr erfolgreich, beispielsweise in den Niederlanden, praktiziert.

Jens Merkel ist Design Manager Objektplanung/ Architectural Design und arbeitet bei der Hochtief Infrastructure GmbH, Building Hamburg.

Baublatt: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Lebensdauer der Gebäude zu verlängern und an veränderte Nutzungsbedingungen anzupassen?

Jens Merkel: In den vergangenen Jahren wurde viel von nicht sehr alter Bausubstanz komplett abgerissen und deponiert; bestenfalls wurden Beton- und Mauerwerksmaterial geschreddert und als Unterbaumaterial wiederverwendet. Diese Ressourcenverschwendung ist nicht mehr zeitgemäß und aufgrund der jetzt schon sehr begrenzten Deponiekapazitäten nicht mehr bezahlbar. Durch gut geplanten Fertigteileinsatz bei Neubauten können nach Ende der Nutzungszeit Bauteile wiederverwendet werden, schon die früheren Kulturen haben dies eindrucksvoll praktiziert, man denke an den Verbau von Natursteinmaterial aus römischen Kastellen oder Stadtanlagen in den frühmittelalterlichen mitteleuropäischen Siedlungen und Städten oder an die Holz-Fachwerkbauten, die leicht ab- und wieder aufgebaut werden konnten.

Baublatt: Wie bewerten Sie den Einsatz von Betonfertigteilen, um den Herausforderungen im Wohnungsbau zu begegnen?

Jens Merkel: Bei der Planung und Ausführung von Betonfertigteilen wie Wand-, Träger- und Deckensystemen werden nicht nur durch die Bauzeitverkürzung Kosten gespart, sondern auch durch geringeren Aufwand bei Vorhaltungskosten für Schalungssysteme, Gerüste sowie Baustelleneinrichtungsflächen. Die Planung mit Fertigteilen bedeutet auch für die architektonische Entwurfsqualität der Gebäude überhaupt keine Einschränkung oder gar Verschlechterung, man schaue sich nur die Beispiele in der direkten europäischen Nachbarschaft an, wie beispielsweise in den Niederlanden, Skandinavien und zahlreichen weiteren Ländern.

Baublatt: Welche Vorteile bringt die Fertigteilbauweise gegenüber anderen mit sich?

Jens Merkel: Das Herstellen von Fertigteilen, beispielsweise in Montagehallen, gewährleistet höhere Ausführungsqualitäten in geschützter, wetterunabhängiger Umgebung. Beim Bauen mit vorgefertigten Bauteilen ist eine terminoptimierte Bauausführung möglich, aufwendige Lager- oder Transportlogistik entfällt. Zudem vermeiden Betonfertigteile viele CO2-Emissionen, da circa die Hälfte an Zement oder Stahl eingespart werden im Vergleich zu Massivkonstruktionen, die vor Ort errichtet werden.

Baublatt: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in diesen Betrachtungen?

Jens Merkel: Neben den erwähnten Ressourceneinsparungen trägt auch eine bessere Nachverwertung der Fertigteile zur optimierten Nachhaltigkeit bei. Stichwort „Rückbau“ in dem Sinne, dass die Bauteile tatsächlich wiederverwertet statt entsorgt werden.

Mai/Juni 2021