Grün ist nicht gleich grün

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Plötzlich stehen alle auf grün: Damit ist nicht die Partei gemeint, sondern die Baubranche arbeitet daran, den Energiebedarf zu senken, Ressourcen zu schonen, Rohstoffe nachhaltig einzusetzen, den Flächenverbrauch zu reduzieren sowie im Sinne von Nachhaltigkeit auf Sicherheit und Gesundheit von Mitarbeitern zu achten. Die Potenziale sind groß, aber die Dimensionen sind es auch, die der Paradigmenwechsel mit sich bringt.

Jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, was es im Hinblick auf eine klimaneutrale Baustelle leisten kann und will, um schließlich Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen. Die Branche steht unter massivem Druck, wenn Deutschland in den nächsten 22 Jahren klimaneutral werden will. Schon kleine Änderungen können einen positiven Effekt auf die Umwelt haben. Manche Maßnahmen lassen sich leicht umsetzen wie eine Fotovoltaikanlage auf dem Büro- oder Werkstattdach oder der Einsatz kleinerer Elektro-Baugeräte. E-Fuels – synthetische Kraftstoffe – mögen eine weitere Option sein, den Maschinenpark nachhaltig auszurichten und die Klimabilanz zu entlasten. Anders ist es bei schwerem Arbeitsgerät: Ob es auf Elektromobilität oder Wasserstoff-Brennstoffzellen hinausläuft, lässt sich derzeit nicht absehen. Das Rennen um die vorherrschende Technologie ist noch offen. Bauunternehmen sehen außerdem die Ladeinfrastruktur als ungelöst an. Alternative Technologien muss man sich als Unternehmen auch leisten wollen, selbst wenn finanzielle Anreize hierzulande ausbleiben oder es das Budget nicht hergibt. So bleibt oftmals alles beim Alten – der Diesel ist nach wie vor der Treibstoff, der die Baumaschinen am Laufen hält.

Foto: Zeppelin

Ein weiteres Randphänomen: Nicht immer entspricht die Verpackung auch ihrem Inhalt. Anders gesagt: Grün ist nicht gleich grün. Maßnahmen entfalten nicht die Wirkung beim Umweltschutz, die sie vorgeben. Stattdessen dienen sie vordergründig dem Marketing. Was überzeugend klingt, erweckt den Eindruck von Greenwashing. Dann gilt, Nachhaltigkeit wird in der Tat höher gehängt, als sie auf der Baustelle praktiziert wird.

Umso wichtiger ist ehrliche Kommunikation, was gut läuft und wo es noch hakt. Denn dass bei einem solch großen Umbruch nicht alles von Anfang an gelingt, sondern auch Rückschläge sowie- Kurskorrekturen hinzunehmen sind, leuchtet ein. Ausbaufähig ist sicherlich, dass bei der Planung von Bauwerken immer noch nicht durchgängig die gesamten Lebenszykluskosten berücksichtigt werden. Auch fehlt es an einem verbindlichen digitalen Pass für neue und bestehende Gebäude, der alle Baustoffe im Hinblick auf Umweltauswirkungen, Wiederverwertungsquote und Recyclingpotenzial genau dokumentiert, damit dann Kreislaufwirtschaft auch endlich umgesetzt wird. Die Liste an Herausforderungen, vor denen Bau- und Baustoffindustrie stehen, ist lang. Doch nicht nur große Konzerne sollten die Weichen stellen, sondern jeder einzelne Betrieb sollte starten, seine Prozesse und Arbeitsschritte im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu überprüfen und danach auszurichten. Das kann sich langfristig nicht nur fürs Image auszahlen, sondern macht auch Arbeitgeber attraktiv, wenn sich Firmen hier bewegen. Ob Kunden langfristig das nachhaltige Engagement honorieren und sie bereit sind, für den Aufwand auch mehr zu bezahlen, bleibt abzuwarten.

September/Oktober 2023