Jobs dank ChatGPT neu denken

Noch sind Handarbeit und Zettelwirtschaft auf Baustellen nicht wegzudenken. Doch mit neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere ChatGPT, werden sich Arbeitsweisen und damit Jobs in Bauunternehmen grundlegend verändern. Denn KI-basierte Systeme verarbeiten große Datenmengen mithilfe von Algorithmen, um mit automatisierter Datenanalyse schnell Entscheidungen zu treffen. Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen Mitarbeiter in Baufirmen, um mit digitalen Werkzeugen umzugehen und deren Vorteile zu nutzen? Und was bedeutet das für den Personalbereich, wenn Baufirmen ihr Personal für die digitale Bau-Arbeitswelt von morgen fit machen wollen?

Die Corona-Pandemie hat durch Homeoffice viele neue digitale Tools auf den Weg gebracht, die mit zunehmendem Einsatz von KI weiterentwickelt werden müssen, um wettbewerbsfähig zu sein. Doch hier liegt noch viel Potenzial brach. „Die erste notwendige – und noch sehr neue Fähigkeit der nächsten Generation ist das Denken in 3D und in virtuellen Realitäten: Mitarbeiter müssen sich Konzepte anhand digitaler Modelle vorstellen und verstehen. Die vorherige Generation musste lernen, Blaupausen zu lesen: wie man die Punkte, Linien und Bögen auf einem Satz von Plänen interpretiert und dieses Verständnis zur Ausführung des Bauprojekts nutzt. In Zukunft wird die Fähigkeit, sich in einer virtuellen 3D-Welt zurechtzufinden, von entscheidender Bedeutung sein, und zwar nicht nur für diejenigen, welche die Modelle erstellen und koordinieren, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Baustelle und im Außendienst, welche die Arbeiten ausführen“, so Matt Wheelis, VP Industry Strategy der Build & Construct Division bei der Nemetschek-Gruppe.

Das ist nicht die einzige Kompetenz, auf die es in Zukunft ankommt: Neue Anforderungen bestehen auch im Bereich der Computerprogrammierung. Mag die vorherige Generation von Mitarbeitern noch mit der Tabellenkalkulation zurande gekommen sein, wird das in Zukunft nicht mehr ausreichen, ist Matt Wheelis überzeugt. Fachkräfte müssen sich ihm zufolge mit KI und mit maschinellem Lernen auskennen, was damit die menschlichen Fähigkeiten ergänzt beziehungsweise ausbaut. Das gilt insbesondere für die Programmierung und Anpassung von Robotern oder automatisierten Systemen.

Fähigkeiten wie Digitalkompetenz, Datenanalyse und -interpretation sind im Umgang mit KI gefragt. Foto: Tung Nguyen/Pixabay

Allerdings herrscht oftmals unter den Beschäftigten eine falsche Vorstellung davon, was sie für den Umgang mit KI können müssen, so eine Studie der Recruiting-Plattform Stepstone. Aus ihrer Sicht sind Digitalkompetenz sowie Datenanalyse und -interpretation die mit Abstand wichtigsten Fähigkeiten für den erfolgreichen Einsatz von KI im Arbeitsalltag. Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, kritisches Denken und Anpassungsfähigkeiten werden von ihnen als weniger wichtig bewertet. „Viele Beschäftigte sind verunsichert. Sie glauben, dass jetzt alle Daten- und Technologie-Profis werden müssen“, so Dr. Tobias Zimmermann, Stepstone-Arbeitsmarktexperte. „Dabei brauchen wir im alltäglichen Einsatz von KI gar kein vertieftes technisches Detailwissen. Natürlich ist es wichtig, dass wir die Tools anwenden können – vor allem aber müssen wir die Ergebnisse angemessen einordnen können“, so Dr. Tobias Zimmermann.

Denn wenn Baumaschinen eine Fülle von Daten, etwa zum Spritverbrauch, zum Leerlauf oder zu auftretenden Fehlercodes, senden, wird das Erfassen, Analysieren und Interpretieren von Daten immer wichtiger. Mit ihrer Hilfe lassen sich Entscheidungen auf Basis von Fakten statt reinem Bauchgefühl treffen und somit Prozesse im Bauunternehmen verbessern, die sich auf Betriebskosten auswirken. Allerdings braucht es auch Mitarbeiter mit entsprechenden Kenntnissen. Sie müssen ein Verständnis für Daten entwickeln, um komplexe Zusammenhänge zu erkennen und dann daraus Maßnahmen abzuleiten. Dafür müssen sie mit Programmen zur Datenanalyse und -aufbereitung umgehen. Aber auch Datenbanken müssen bearbeitet und gepflegt werden. Das erfordert Kenntnisse über deren Struktur, Abfrage und Administration. Ein weiterer Aspekt der Datenkompetenz ist es, Vorhersagen und Prognosen anhand von Datenanalysen zu treffen – dies gilt insbesondere für die Wahrscheinlichkeit von Baumaschinenausfällen, wenn sich ein Defekt eines Bauteils ankündigt. Es geht darum, Wartungen sowie Reparaturen besser zu planen und auf die Abläufe auf einer Baustelle abzustimmen. „Fähigkeiten wie Datenanalyse und -interpretation sind zwar wichtig, mindestens ebenso entscheidend sind aber Kommunikationsfähigkeiten, kritisches Denken und sich immer wieder an neue Ausgangslagen anzupassen. Kommunikationskompetenz ist die Grundlage erfolgreicher zwischenmenschlicher Zusammenarbeit. Um diese auch in Zukunft mit Unterstützung von KI erfolgreich fortführen zu können, braucht es Empathie, Kreativität und Kontextverständnis – menschliche Eigenschaften, die kein Roboter übernehmen kann“, macht Dr. Tobias Zimmermann deutlich.

Um sich die nötige Kompetenz anzueignen, sind regelmäßig Schulungen nötig, um neueste Tools und Methoden zu nutzen. Für Mitarbeiter kann es auch ein Ansporn sein, wenn sie sich im Hinblick auf KI weiterentwickeln können und sich ihnen dadurch neue Möglichkeiten und berufliche Perspektiven bieten. ChatGPT, selbst befragt nach neuen Arbeitsplätzen in Baufirmen, sieht insbesondere im Bereich Ethik und Regulierung noch große Herausforderungen zu lösen, um ethische Richtlinien für den Einsatz von KI auf Baustellen zu entwickeln und sicherzustellen, dass alle Aktivitäten den entsprechenden Vorschriften entsprechen. Allerdings gilt auch: „Wer KI-Tools sicher und routiniert bedienen kann, gewinnt Zeit, um sich menschlichen, kommunikativen Aufgaben zu widmen – auf die wird es beim Erfolg im Beruf nämlich künftig mehr denn je ankommen“, resümiert Dr. Tobias Zimmermann.

Dass KI allerdings Jobs überflüssig machen wird, steht längst im Raum. „Wenn wir heute über den Einsatz von KI in Unternehmen sprechen, denken wir reflexartig an Mitarbeiterentlassungen. Das verwundert nicht, da es in den Schlagzeilen der Medien hauptsächlich um den Verlust von Arbeitsplätzen geht. Der weitverbreitete Generalpessimismus passt so gar nicht zur aktuellen Arbeitsmarktsituation und ist auch historisch nicht belegbar. Vielmehr haben Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Beschäftigung in der Vergangenheit zu einer Mischung aus Arbeitsplatzverlagerungen, neuen Arbeitsplätzen und veränderten Arbeitsplatzprofilen geführt. Auch der Fachkräftemangel, der uns aufgrund des demografischen Wandels noch lange begleiten wird, sorgt dafür, dass Automatisierungstechnologien nicht zwangsläufig zu Entlassungen von Arbeitnehmern führen müssen“, betont Milad Safar, Managing Partner der Weissenberg Group.

ChatGPT bietet selbst die Antwort, wie sich Mitarbeiter gegen einen Verlust des Arbeitsplatzes wappnen können: „Mitarbeiter in Baufirmen sollten Fähigkeiten entwickeln, die von künstlicher Intelligenz nicht leicht ersetzt werden können. Dazu gehören komplexe Problemlösung, kreatives Denken, Teamarbeit, Projektmanagement sowie die Fähigkeit zur Anpassung an neue Technologien und Arbeitsweisen. Zudem könnten Kenntnisse in der Programmierung und im Umgang mit digitalen Werkzeugen immer wichtiger werden, um mit den sich ändernden Arbeitsanforderungen Schritt zu halten.“

Gleichzeitig kommen nicht nur neue Aufgaben auf das Personal zu, sondern es entstehen auch Jobs. Schließlich braucht es Experten, die KI-Systeme einrichten, überwachen und anpassen, um dadurch sicherzustellen, dass sie funktionieren. Neue Tools könnten außerdem entwickelt werden, die auf KI-Algorithmen basieren und die Planung unterstützen. Außerdem würde KI helfen, die Einhaltung von Bauzeiten und Budgets zu kontrollieren und zu monitoren. Wenn Mitarbeiter mit Budget- sowie Zeitüberschreitungen und zugleich hohen CO2-Emissionen umgehen müssen, stellt das immer wieder neue Anforderungen an die Kompetenzen und das Know-how des Personals. Im Bereich Straßenbau versuchen derzeit Wissenschaft und Wirtschaft herauszufinden, wie dieser noch nachhaltiger werden kann. Smart Site Solutions startete darum gemeinsam mit der Reif Bauunternehmung, dem Makadamlabor Schwaben und der Universität Hohenheim das Forschungsprojekt „Künstliche Intelligenz für den nachhaltigen Straßenbau“. Dabei werden KI-Verfahren für die Echtzeitsteuerung von Asphaltbaustellen nach Kriterien der Nachhaltigkeit entwickelt, um die CO2-Emissionen im Bauprozess live zu messen und durch KI-basierte Optimierungsalgorithmen zu senken, ohne negative Auswirkungen auf Qualität, Kosten und Zeit. Als Ergebnisse sollen digitale Tools für das CO2-Reporting und die Entscheidungsunterstützung entstehen. Mittels Sensoren und Schnittstellen sollen Daten über die gesamte Asphaltlieferkette hinweg erhoben werden. In der Cloud werden diese Daten dann in Echtzeit mittels KI-Verfahren analysiert. Dies ermöglicht die Ableitung von Handlungsempfehlungen für das bauausführende Personal. Die Projektergebnisse sollen Bauunternehmen helfen, Straßenbauprojekte durch eine CO2-optimierte Planung und Prozesssteuerung nachhaltiger auszuführen.

Das mag ein vielversprechender Ansatz sein, doch gegenwärtig ist KI im Baugewerbe noch kaum ein Thema. Das geht aus einer aktuellen Befragung von Unternehmen des ifo Instituts im Auftrag des Hanseatic Blockchain Institute hervor. Anders sieht es die Industrie. Jedes dritte Unternehmen nutzt bereits KI oder plant ihren Einsatz. Bei den Dienstleistern und im Handel liegt der Wert bei rund 20 Prozent. „Die Mehrheit aller Unternehmen in Deutschland setzt sich aktuell mit KI auseinander“, sagt Branchenexpertin Anna Wolf vom ifo Institut. Und das wäre Bauunternehmen und ihren Mitarbeitern auch zu empfehlen. Doch die Lage in der Baubranche ist angespannt. So waren die Neuaufträge bei größeren Firmen im Bauhauptgewerbe im ersten Quartal im Schnitt um 6,1 Prozent rückläufig. So die aktuelle Untersuchung der Marktforscher von BauInfoConsult. Daher steht derzeit bei Bauunternehmern mehr die Sicherung der Liquidität auf ihrer Agenda als die digitale Transformation.

September/Oktober 2023