Auf der Weltausstellung in Paris war es um 1900 noch eine Vision: Wie Roboter die Zukunft gestalten. Über hundert Jahre später nimmt die Robotik immer mehr Fahrt auf. Im Automobilbau sind Roboter längst Standard, mit denen die verschiedensten Teile eines Fahrzeugs in Rekordzeit zusammengesetzt werden. Aber auch das Bauen wird sich dadurch immer mehr automatisieren. Seit den 70er-Jahren existieren erste Ideen für die Konstruktion von Baustellenrobotern. Insbesondere in Japan sind diese seit den 80er-Jahren vor allem im Hochbau zugange. Seitdem der Chatbot ChatGPT für Furore sorgt, bezweifelt niemand mehr, dass künstliche Intelligenz (KI) und Robotik die Baubranche stark verändern werden. Denn Baubetriebe müssen sich angesichts von Fachkräftemangel und Ressourcenknappheit für die Zukunft wettbewerbsfähig aufstellen. Durch den Einsatz von KI haben sie die Chance, Prozesse zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Daher treiben Konzerne die Entwicklung von vollautomatisierten Maschinen voran.
Inzwischen können Robotik-Systeme ganze Wolkenkratzer wie am Fließband aus dem Boden stampfen. Wie in die Vertikale aufgerichtete Fertigungsstraßen – beispielsweise aus der Automobilindustrie – ziehen sich solche Baustellen quasi vollautomatisch und von selbst Stockwerk um Stockwerk hoch gen Himmel. Somit sind die Gebäude schneller bezugsfertig. Einen Beweis, wie das funktioniert, trat der australische Roboter Hadrian der Firma Fastbrick Robotics (FBR) an, als er die Mauern für ein Haus in 48 Stunden hochzog und dabei tausend Ziegel in 60 Minuten setzte – an solche Werte kommen selbst die besten Maurer nicht heran. Hadrian – benannt nach dem römischen Kaiser, der in Großbritannien das 117 Kilometer lange Grenzbefestigungssystem Hadrianswall errichten ließ – ähnelt mit seinem Teleskoparm nur auf den ersten Blick einer Baumaschine. Der Roboter arbeitet 3D-Baupläne ab, welche die Position des Ziegels vorgeben. Dabei nimmt er sie nacheinander auf, bringt sie nach Bedarf auf die benötigte Länge, verputzt sie mit Mörtel und positioniert sie dank Teleskopen an die richtige Stelle – und das alles ohne Hilfskräfte, aber mit höchster Präzision.
Bauroboter, die Bohrlöcher setzen, werden längst erprobt. 2020 brachte Hilti mit dem Jaibot den weltweit ersten semi-autonomen Deckenbohrroboter auf den Markt, der Bohrungen für Dübel-Befestigungen auf der Grundlage digitaler Planungsdaten selbstständig ausführt. Er bringt bereits weltweit in über hundert Projekten die Automatisierung auf die Baustelle, trägt zur Entwicklung von vernetzter Projektkommunikation sowie einer Entlastung von schweren Arbeiten bei. „In dem Bauvorhaben Welle 2 in Reutlingen haben wir rund 15 500 Deckenbohrungen im Sichtbereich mit der Unterstützung des Jaibot von Hilti vorgenommen. Wir sind mit defensiven 500 Bohrungen pro Tag in die Planung gegangen, konnten aber mit einem Ergebnis von über tausend Bohrungen das maximale Produktivitätsversprechen von Hilti überschreiten“, so Markus Voigt, Senior Projektmanager bei Geiger Schlüsselfertigbau, über den Einsatz im Neubau des Bürogebäudes. Jaibot erledigt Bohrungen und Markierungen in Beton- und Metallverbunddecken sowie seitlich in vertikalen Betonwänden in einem Höhenbereich von 1,2 bis 4,8 Metern. Sowohl die gewünschte Tiefe als auch der Durchmesser der Bohrlöcher werden präzise eingehalten. Daraus resultiert eine sehr geringe Fehlerquote, die Verzögerungen im Projekt verhindert und zu einer Effizienzsteigerung führt.
„Aufgrund der verlässlich präzisen Bohrungen des Jaibots konnten wir uns in unserem Projekt Nacharbeiten sparen, die uns unglaublich viel Druck in einem zeitkritischen Projekt genommen haben“, berichtet Unternehmer Christopher Frietsch, der mit seinem Gipser- und Stuckateurbetrieb die schallabsorbierenden Akustiktafeln in Teilen der Hospitality-Bereiche des neu gebauten BBBank Wildparks in Karlsruhe montiert hat. Während der Bohr- und Markierarbeiten synchronisiert sich der Roboter über das mobile Datennetz, sodass der Fortschritt in Echtzeit mitverfolgt werden kann. Ebenso profitiert der ausführende Betrieb von einer automatisierten Dokumentation der Bohrungen. Unternehmen, die bereits BIM-basierte Planungen und Ausführungsmodelle von Hilti nutzen, haben bereits eine perfekte Datengrundlage für den semiautonomen Helfer. Aber auch Unternehmen, die noch nicht mit BIM arbeiten, können von dem Jaibot profitieren. Hilti unterstützt bei der Vermessung und Überführung in ein digitales Datenmodell sowie der Integration der benötigten Bohrpunkte und Bohrdimensionen. Nach einem Training am Einsatzort ist der ausführende Betrieb selbst in der Lage, den Jaibot zu bedienen, wenngleich Hilti während des gesamten Projekts unterstützend zur Seite steht. „Es ist nicht schwer mit dem Jaibot zu fahren. Bereits nach kurzer Eingewöhnung kam ich gut mit der Fernsteuerung des Jaibots zurecht. Am praktikabelsten ist der Jaibot natürlich, wenn man in einem hindernisfreien Raum arbeiten kann. Diese Situation war uns nicht gegeben. Aber durch die Hinderniserkennungsfunktion wird Kollisionen automatisch vorgebeugt“, berichtet Detlef Dohms, Mitarbeiter der Frietsch Gipser- und Stukkateur GmbH.
Auch die Fischer Befestigungstechnik stellte im letzten Jahr den Befestigungsroboter Baubot vor, der mit dem gleichnamigen Wiener Start-up entwickelt wurde, das sich mit mobilen Automatisierungslösungen für die Baustelle beschäftigt. Bohren und Setzen erfolgen präzise an der im Bauplan vorgegebenen Stelle. Somit lassen sich Nacharbeiten und Verzögerungen vermeiden. Bevor mit den ausführenden Tätigkeiten begonnen wird, lässt sich eine vollständige Vorab-Simulation der Bohr- und Setzprozesse des Roboters vornehmen. Dadurch können Montageabläufe weiter verbessert werden. Eine Projekt-Budgetüberschreitung und ein Zeitverzug lassen sich somit reduzieren oder gänzlich vermeiden. In Kombination mit einem digitalen Bauplan lassen sich Baustellenabläufe nahezu vollständig automatisieren. Durch innovative Sensorik kann der Roboter jede Abweichung zum Standard-Bohr- und -Setzprozess detektieren und darauf reagieren. Die Prozessparameter jedes einzelnen Schrittes können dokumentiert und im BIM-Modell hinterlegt werden. Eine aufwendige, manuelle Dokumentation entfällt. In der Bauausführung bohrt der Baubot selbstständig, präzise und schnell alle geplanten Bohrpunkte. Position, Durchmesser und Tiefe der Bohrlöcher sind im BIM-Modell definiert. Der Bohrerwechsel zwischen unterschiedlichen Durchmessern und bei auftretendem Verschleiß funktioniert vollautomatisch, genauso das zulassungskonforme Reinigen der Bohrlöcher. Hierbei verhindert die Absaugvorrichtung ebenfalls den Austritt von Bohrstaub. Nach der Bohrlochreinigung wird das Bohrloch markiert, sodass es den einzelnen Gewerken zuordenbar ist. Im letzten Schritt entnimmt der Baubot vollautomatisch die ausgewählten Anker aus dem mitgeführten Magazin und bringt diese zulassungskonform in den Untergrund ein. Alle Bohr- und Setzdaten sind aufgrund des integrierten Kraft- und Momenten-Sensors überwachbar und werden aufgezeichnet, sodass eine detaillierte Dokumentation sämtlicher Installationsparameter zur Verfügung steht. Diese Daten werden im BIM-Modell zur späteren Nachverfolgbarkeit hinterlegt.
Im Ergebnis erhöht der Einsatz des Roboters die Effizienz beim Arbeiten, entlastet Verarbeiter, reduziert Fehlerquoten, spart Kosten, beschleunigt den Baufortschritt und steigert letztlich den Projekterfolg. Vor allem bietet er sich für Massenanwendungen und Großprojekte an. Denn die KI ist kostspielig und macht sich vor allem bei längeren Einsätzen bezahlt. Automatisierte und halbautomatische Maschinen sind nützlich, wenn alltägliche, sich wiederholende oder gefährliche Aufgaben ausgeführt werden, die Genauigkeit oder Geschwindigkeit erfordern. Roboter bieten sich an, um körperlich schwere und belastende Arbeiten auf der Baustelle zu vermeiden. Das können Anwendungen über Kopf sein oder Arbeiten in widrigen Arbeitsumfeldern, die für den Menschen ein erhöhtes Risiko darstellen. Ermüdungserscheinungen, die zu Unvorsichtigkeit führen, werden durch die Automatisierung erkennbar vermieden. Dies führt zu einer geringeren Fehlerquote und gleichzeitig zu einer gesteigerten Effizienz. Ebenso verringert die Automatisierung die Unfallquote am Einsatzort, was Versicherungs- und Arbeitsausfallkosten reduziert.
Die KI will sich in Zukunft auch die BG Bau zunutze machen, um mit deren Hilfe für sichere Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft zu sorgen. Mithilfe von KI sollen künftig bei der BG Bau die Daten aus den Prüfungen der Unternehmen sowie das Unfallgeschehen auf Baustellen auch automatisiert ausgewertet und möglichst valide Prognosen erstellt werden. Dies kann die Präventionsarbeit zusätzlich wirksamer machen und den Aufsichtspersonen helfen, ihre Einsätze zu planen. Erprobt wird dies im Rahmen eines Leuchtturmprojektes. „Ziel ist es, die Aufsichtstätigkeit durch die BG Bau noch zielgerichteter und effizienter durchzuführen und den Aufsichtspersonen eine konkrete Unterstützung bei ihrer Arbeit zu bieten“, so Michael Kirsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BG Bau.
Bauroboter wie Jaibot oder Baubot sind ein Hilfsmittel zum Paradigmenwechsel in der Baubranche. Sie helfen, Bauwerke nicht nur schneller, sondern günstiger und ohne Fehlerquote zu errichten. Hinzu kommt: Das Durchschnittsalter von Handwerkern steigt – Nachwuchs kommt nicht in dem Maße nach, wie er gebraucht wird. Der Fachkräftemangel könnte den Robotern den Weg in Richtung Automatisierung freimachen. Ein weiteres Argument: Roboter haben keine Arbeitsausfälle aufgrund von Krankheiten, wenn sie tonnenschwere Bauteile mit intelligenten künstlichen Gliedmaßen greifen, hochheben und in Position bringen – Berufskrankheiten wären somit vom Tisch, was die Sozialkassen entlasten würde. Gefährliche Arbeiten könnten die autonomen Maschinen übernehmen. Allerdings erfordert der Einsatz von Robotern auch entsprechende Fähigkeiten und ein Umdenken in der Branche, unterstreicht Matt Wheelis, VP Industry Strategy der Build & Construct Division bei der Nemetschek-Gruppe: „So wie die vorherige Generation von der Beherrschung von Tabellenkalkulationen und datenbankorientierter Software profitierte, müssen die Fachkräfte von morgen die Konzepte der KI und des maschinellen Lernens beherrschen. Häufig werden diese Technologien als Bedrohung menschlicher Arbeitskraft dargestellt. Stattdessen ist es viel wahrscheinlicher, dass Technologien wie künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um den menschlichen Einfallsreichtum zu ergänzen, nicht um ihn zu ersetzen. Diejenigen, die es verstehen, KI-Konzepte für die Automatisierung von Geschäftsprozessen und die Entscheidungsunterstützung zu nutzen, werden mehr Zeit mit dem Bauen und weniger mit dem Sammeln und Interpretieren von Daten verbringen können.“
Doch dem Einsatz von Robotern auf Baustellen sind auch Grenzen gesetzt. Während sie in der Massenproduktion immer gleiche Aufgaben ausführen können, ist jede Baustelle anders und stellt andere Anforderungen. Hinzu kommt, dass Robotik auch hohe Investitionskosten nach sich zieht, einschließlich der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Das mag vielen Baufirmen derzeit noch unrentabel erscheinen.
Juli/August 2023