Leistungsgesellschaft am Ende?

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Erzählen erfolgreiche Bauunternehmer von ihren beruflichen Anfängen, als sie ihre Firma aus dem Nichts mit einem Bagger aus dem Boden gestampft haben, ist nie von Work-Life-Balance oder einer Vier-Tage-Woche die Rede. Stattdessen berichten sie von harter Arbeit und unermüdlichem Einsatz. In ihrer Gründerzeit herrschte eine andere Arbeitsmoral als heute. Damals wurde nicht auf die Uhr geschielt, wann der Feierabend endlich eingeläutet wurde oder Überstunden abgebaut werden konnten, sondern es wurde so lange unter Hochdruck geschafft, bis Baustellen fertig und Kunden zufrieden waren. Treffend besungen im Hit von Geier Sturzflug mit den Zeilen „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – wir steigern das Bruttosozialprodukt.“ Dafür gab es dann Wohlstand und Wachstum.

Derzeit entsteht der Eindruck, dass wir uns davon immer mehr entfernen und Leistung nicht mehr lohnt, wenn man sich die Forderungen der Nachwuchskräfte anhört, denen kein Bock auf Arbeit attestiert wird. Sie bestehen auf Homeoffice, wollen ihren Hund zur Arbeit mitbringen und verlangen, dass Familie sowie Freizeit nicht zugunsten ihres Jobs zu kurz kommen. Da sie sich angesichts des immer größer werdenden Fachkräftemangels ihre Jobs in Firmen aussuchen können, die ihnen das alles bieten, müssen sie sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, so wie es bei den Babyboomern noch der Fall war. Und falls es doch mal nichts wird, fallen sie weich: Das soziale Netz fängt sie auf.

Dabei wird gerne vergessen, dass dies nur möglich ist, weil es Menschen gab, welche die Grundlagen für den Wohlstand von heute legten. Mit dem Wunsch einer Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn werden Begehrlichkeiten geweckt, die unrealistisch sind. Wenn wir den Wohlstand erhalten wollen, müssen wir uns reinhängen und auch etwas dafür tun. Statt mehr Freizeit braucht es eine Leistungsgesellschaft, die hart arbeitet. Wir brauchen mehr Leistungsträger und Macher, die sich zutrauen, etwas aufzubauen. Das ist nicht der bequeme Weg, sondern wer etwas erreichen will, muss sich anstrengen, um die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Dass sich das Arbeitspensum effizienter in vier statt fünf Tagen bewältigen lässt, mag für den einen oder anderen Arbeitsplatz gelten, aber nicht jeder Job lässt eine Vier-Tage-Woche zu, weil etwa Kunden konstant betreut werden wollen. Ärzte und Pflegekräfte können nicht ab Donnerstagabend ins wohlverdiente Wochenende. Schon heute herrscht im Gesundheitswesen und in vielen anderen Bereichen ein riesiger Personalnotstand. Daher ist das Arbeitsmodell, das derzeit durch die öffentliche Diskussion befeuert wird, für viele kleine mittelständische Bauunternehmen kaum praktizierbar, die ohnehin schon um jede Fachkraft kämpfen. Wie sollen sie die ohnehin komplexen Bauprozesse und Bauabläufe in kürzerer Zeit bewältigen? Umgekehrt kann eine Vier-Tage-Woche natürlich auch zum ausschlaggebenden Argument werden, um Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden. Vor allem lassen sich diejenigen von flexibleren Arbeitszeitmodellen überzeugen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen oder sich um die Pflege kranker oder alter Angehöriger kümmern.

Einige Baufirmen haben daher schon den Schritt gewagt und von vier auf fünf Arbeitstage umgestellt. Sie berichten von durchaus positiven Erfahrungen, wie eine zufriedenere und ausgeglichene Belegschaft. Doch die Entscheidung für oder gegen eine Vier-Tage-Woche sollte jeder Unternehmer und Angestellte selbst treffen können und nicht vom Staat für alle als Standard erhoben werden.

Juli/August 2023