Nachhaltigkeit in kleinen Etappen

Ein Kommentar von Sonja Reimann

Schlechtmachen und Schlechtreden gehören zum Zeitgeist. Es wird gejammert, genörgelt und geschimpft über das schlechte Wetter, die hohen Spritpreise, das geschmacklose Mittagessen in der Kantine, den miesen Chef oder die faulen Mitarbeiter – die Themen sind endlos. Statt positiv in die Zukunft zu schauen, lassen sich viele lieber von negativen Gedanken vereinnahmen – eine Methodik, der sich auch unsere Politik bedient, wenn sie Weltuntergangsstimmung verbreitet, um Veränderungen durchzusetzen. Denn wer mit den Folgen des Klimawandels eine Apokalypse mit Hitzewellen und Überschwemmungen heraufbeschwört, mit der Brechstange den gesamten Energiemarkt umwälzen will und mit Verboten droht, wird die breite Masse nicht motivieren, den Wandel ökologischer, kostengünstiger und sozialverträglicher zu gestalten. Um Innovationen und praxistaugliche Ideen auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität zu unterstützen, braucht es weniger Zwang, sondern mehr Freiwilligkeit und Anreize.

Gemäß dem Verursacherprinzip als Maßstab steht die Baubranche in großer Verantwortung. Baufirmen haben einen gewaltigen Handlungsspielraum, Bauen und Energieeffizienz in Einklang zu bringen. Denn knapp 30 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes, 40 Prozent des Energieverbrauchs, 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs, 60 Prozent des Abfallaufkommens und mehr als 70 Prozent des Flächenverbrauchs gehen auf den Gebäudesektor zurück. Dieser hat die letzten Jahre durchaus einen Kurswechsel in Richtung Nachhaltigkeit eingeschlagen – doch Bauunternehmer wissen, dass die große Transformation nicht von heute auf morgen gelingen kann, sondern sie manchmal auch erst schrittweise eine Veränderung herbeiführen müssen. Kleine Etappen sind allemal wirkungsvoller als durch Greenwashing das nachhaltige Image aufzupolieren.

Foto: Erich Westendarp-Pixabay

Um den Gebäudesektor nachhaltig umzubauen, sind kreative und differenziertere Lösungen gefragt. Unsere Stromerzeugung kann nicht nur durch Wind- und Sonnenenergie allein aufgefangen werden, um die Versorgung von Industrie, Gebäuden und Verkehr zu übernehmen. Wir können es uns nicht erlauben, Erdwärme, Biomasse sowie andere Treibstoffe nicht miteinzubeziehen oder Potenzial zu verschenken, weil Heizungen nicht optimal eingestellt sind. Genauso wichtig ist auch entsprechende Speichertechnik. Wir müssen unsere Energieeffizienz rapide verbessern. Es bringt nichts, schlecht isolierte Gebäude mit Wärmepumpen zu beheizen, sondern wir brauchen viel umfassendere Konzepte, um alle Optionen auszuloten und miteinander zu kombinieren.

Wirkungsvoll ist das Senken der grauen Emissionen, wenn regionale Baustoffe zum Einsatz kommen, die kurze Transportwege zur Baustelle haben und gleichzeitig auch noch recyclingfähig sind. Die Politik drängt zwar zu einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft im Baubereich und betont immer wieder, dass mehr Recyclingmaterial auf dem Bau verwertet werden muss. Mit der beschlossenen ersten Novelle der Ersatzbaustoffverordnung geht das aber am Ziel vorbei, denn RC-Material wird damit beim Einbau weiterhin rein rechtlich als Abfall eingestuft. Das schadet der Akzeptanz bei Bauherren, die nach wie vor Vorbehalte dagegen haben. Dabei muss recyceltes Baumaterial, das entsprechend beprobt, sauber aufbereitet, zertifiziert und in Güteklassen eingeteilt wird, gegenüber natürlichen Baustoffen kein Nachsehen haben.

Wir müssen anfangen, im Lebenszyklus von Bauwerken zu denken: Ressourcen zu schonen, sparsam einzusetzen und dann auch wieder für eine weitere Anwendung – sehr wahrscheinlich in anderer Funktion – zu nutzen. Helfen kann auch ein Ressourcenpass für Baustoffe, der genau erfasst, wie viel Energie und CO2 im gesamten Lebenszyklus angefallen sind. Jeder Neubau sollte gleich auch ein Konzept für den Rückbau beinhalten und aufzeigen, wie viel Bausubstanz wiederverwertet werden kann. In der Summe sind es viele kleine Stellschrauben, die wir für den großen Kurswechsel einer nachhaltigen Gesellschaft neu justieren müssen.

Mai/Juni 2023