Vor der Ostseeküste lagern bis heute Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg: Bomben, Minen oder Granaten. Diese aufzuspüren und unschädlich zu machen, ist das Kerngeschäft der Eggers Kampfmittelbergung. Dafür erhielt das Unternehmen aus Hamburg ein neues Flaggschiff in Form des Cat 374 mit LRE-Ausleger von der Zeppelin Niederlassung Hamburg und ihrem Gebietsverkaufsleiter Stefan Groos. Innerhalb der Eggers-Gruppe ist es mit 80 Tonnen und einer Reichweite von 25 Metern der größte Kettenbagger. Weil es die Kombination Trägergerät in Verbindung mit dem LRE nicht ab Werk gab, leitete die unternehmensübergreifende Abteilung Customizing bei Zeppelin einen Umbau des Auslegers mit seinem geschäumten Baggerarm in die Wege. Doch die Größe der Arbeitsausrüstung allein ist nicht das einzige Merkmal, sondern innovative Features und Sonderkonstruktionen sorgen dafür, die nächste Stufe im Unschädlichmachen von Munition einzuläuten.
Dazu soll der Cat 374 LRE mit dem Eggers Octopus-Tool (EOT) i500, einer Eigenentwicklung des Kampfmittelspezialisten, arbeiten und den Meeresgrund von Munitionsaltlasten befreien. Mit dem Multifunktions-Tool können Kampfmittel-Verdachtsobjekte sicher unter Wasser geortet, identifiziert und deren Bergung durchgeführt werden. Dabei wird der Cat 374 auf einer 36 Meter langen und 16 Meter breiten Hubinsel stationiert. Strömung und Tidenhub beeinflussen somit nicht die Baggerbewegung. Das Konzept: Tauchgänge sollen reduziert und kein Mitarbeiter soll mehr dem unmittelbaren Gefahrenbereich ausgesetzt sein. Wie groß noch immer die Gefahren sind, die von der Munition ausgehen, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg in der Nord- und Ostsee versenkt wurde, hat Meeresbiologe Dr. Stefan Nehring untersucht, als er verschiedene Archive von Bund und Ländern auswertete. So sollen bislang allein in den Gewässern Schleswig-Holsteins rund 139 Menschen aufgrund von Zwischenfällen mit Munition ums Leben gekommen sein. „Das Multifunktions-Tool haben wir deswegen unter Aspekten der Arbeitssicherheit entwickelt, denn diese hat bei der Kampfmittelbergung oberste Priorität. Wir wollen damit aber auch schneller vorankommen. Taucher brauchen mit konventioneller Saug- und Spültechnik ein Vielfaches an Zeit, um ein Objekt freizulegen. Dazu kommen schlechte Sichtverhältnisse, Strömung und stark begrenzte Tauchzeiten bei Tiefen größer zehn Meter, um die Gesundheit des Tauchers nicht zu gefährden“, erklärt Leif Nebel, Geschäftsführer der Eggers Kampfmittelbergung. Darum soll die Baumaschine mithelfen, Verdachtsobjekte zu lokalisieren, berührungslos freizulegen, optisch zu identifizieren und sicher zu bergen, damit – falls erforderlich – die kontrollierte Entschärfung und Sprengung vom Kampfmittelräumdienst von Schleswig-Holstein erfolgen kann.
Komponenten des Octopus-Tools i500 sind ein elektromagnetisches Sondiersystem, ein hochauflösendes Live-Imaging Sonar und eine HD-Unterwasserkamera, um Objekte auch unabhängig von den herrschenden Sichtverhältnissen zu orten und zu identifizieren. Um den Untergrund abzusuchen, macht sich die Eggers Kampfmittelbergung das auf der Erde vorhandene Magnetfeld zunutze. Stoffliche Veränderungen im Untergrund wie etwa Eisenteile beeinflussen die magnetischen Kennwerte messbar und sind somit aufspürbar. Sind die Sichtverhältnisse unter Wasser schlecht, unterstützt Sonartechnik bei der visuellen Identifizierung, ohne dass Bautaucher zum Einsatz kommen müssen. Hinzu kommen diverse schnell wechselbare Greifwerkzeuge, Saugpumpen und Spüldüsen.
So ein Einsatz erfordert entsprechende Vorbereitungen. Was den Cat Kettenbagger betrifft, so mussten viele zusätzliche Leitungen für die Hydraulik und Steuerung installiert werden. Eine extra Rohrleitung zum Spülen wurde auf der Unterseite des Unterwagens angebracht. Der Lack der Baumaschine erhielt eine spezielle Beschichtung als Schutzschicht vor dem salzigen Ostseewasser, um Korrosion zu verhindern. Die Scheiben der Fahrerkabine bekamen sicheres und robustes Panzerglas, was für Kampfmitteleinsätze unverzichtbar ist. Mit Verpanzerungen aus Polycarbonat und einem robusten Stahlrahmen versehen, erreicht die Kabine die Schutzklasse BR 6S/NS.
Vorgerüstet ist der Cat 374 für den Einsatz einer 3D-Steuerung. Hierfür wurde die firmeneigene Lösung von Markus Gehring, bei Eggers Kampfmittelbergung zuständig für Maschinensteuerung und Automatisierung, aufgebaut und ein zusätzlicher Sensor am Umlenker angebracht. Über ein GPS-basiertes 3D-Steuerungssystem lässt sich jedes Werkzeug genau georeferenzieren und anzeigen, damit die erfahrenen Experten die Prozesse steuern und überwachen können. Der Fahrer erhielt wiederum in der Kabine eine zusätzliche dritte Bildschirmanzeige in Form eines baustellentauglichen und robusten Tablets, um sich die Positionsdaten in Echtzeit anzeigen lassen zu können. Denn die Mitarbeiter müssen immer auf der Hut und für den Notfall gewappnet sein. „Es ist unerlässlich für das Vorgehen, dass der Operator rechtzeitig erkennt, wenn er auf ein Verdachtsobjekt trifft und wie er damit umgehen muss. Er muss die vermeintliche Munition sicher greifen können. Nicht verschossene Artillerie-Granaten zum Beispiel kann er vorsichtig rausheben. Ganz anders ist es bei einer Bombe mit Langzeitzünder. Da muss zwingend ein Taucher ran“, so Leif Nebel. Dem Maschinisten zur Seite steht ein Feuerwerker, der für die Munitionsräumung verantwortlich und berechtigt ist, mit Sprengstoff umzugehen und immer den Überblick beim Umgang mit Kampfmitteln behalten muss. Während der Maschinist Arm und Trägergerät bewegt, steuert der Feuerwerker das Octopus-Tool und leitet dabei den Fahrer an, dass dieser den Bagger in entsprechende Position bringt. Dritter im Team ist ein Geowissenschaftler, der für die Bedienung des Live-Imaging Sonars und die elektromagnetische Suchspule zuständig ist.
Um einzugrenzen, dass die Bewegungen des Arbeitsgeräts auf einen vorab definierten Bereich beschränkt bleiben, will die Eggers Kampfmittelbergung auf die integrierte Hub-und Schwenkbegrenzung des Cat 374 zurückgreifen. Sie ist Bestandteil der neuen Maschinengeneration und deren elektrohydraulischer Vorsteuerung. So können Daten von Positionssensoren verwendet werden, um Bewegungen automatisch abzubrechen, wenn die Arbeitsausrüstung die vom Fahrer definierten Grenzen erreicht. „Im Hinblick auf Sicherheit ist es sinnvoll, dass er dort mit dem langen Ausleger nichts beschädigt“, erklärt Leif Nebel.
Geplant ist in Zukunft der Einsatz von Cat Command, der Vorstufe zur autonom fahrenden Baumaschine, um die Baumaschine samt EOT i500 bei potenziellen Gefahren ohne direkte Sichtverbindung nur anhand von Monitoren zu steuern und über größere Distanzen zu betreiben. Damit soll eine Gefährdung des Fahrers in der Kabine ausgeschlossen werden, der dann über eine Kommandozentrale, die in einem Container außerhalb des Gefahrenbereiches untergebracht ist, alle Arbeitsvorgänge lenkt. Die Fernsteuerung ist vollständig in die elektronischen und hydraulischen Systeme der Maschinen integriert, um eine schnelle Reaktion und reibungslose Bedienung zu gewährleisten. Die Betriebsbefehle werden direkt an die Elektronik der Maschine gesendet, was zu einer Echtzeit-Steuerung des Kettenbaggers führen soll. „Auch wenn dann in Zukunft kein Fahrer mehr in der Kabine sitzt, so braucht der Maschinist, wenn er das Gerät aus der Ferne steuert, Unterstützung. Er muss wissen, wie weit er mit dem Löffel in den Boden eintaucht, was er aber nicht mehr sehen kann. Der Bagger funktioniert dann nur noch wie ein Roboter und soll die vorgegebenen Arbeitsbewegungen ausführen“, so Stefan Schumacher, technischer Leiter der Eggers Kampfmittelbergung. Letztlich soll so auch verhindert werden, das Arbeitsgerät zu überlasten, wenn es Störkörper und mögliche Kampfmittel heben muss. Hierfür entwickelte die Eggers Kampfmittelbergung in den letzten Jahren mit weiteren Partnern KI-gestützte Systeme in Kombination mit umfangreicher Sensorik, die es erlauben, wesentliche Arbeitsabläufe durch den Bagger autonom ausführen zu lassen, wodurch der Fahrer zum Operator mit deutlich breiterem Aufgabenfeld wird.
März/April 2023