„Nicht nur Berge auf den Baustellen, sondern in den Köpfen versetzen“

Als Unternehmerin ist Barbara Hagedorn selbst ein Vorbild und gleichzeitig eine Vorreiterin für Bauberufe. 2020 gab sie die Initialzündung für die weit über die Branche hinaus vielbeachtete Kampagne „Frau am Bau“. Damit will die Geschäftsführerin der Hagedorn Unternehmensgruppe anderen Frauen Mut machen, Bauberufe zu ergreifen und die attraktiven Seiten der Bauberufe in der Öffentlichkeit in den Fokus rücken. Ihr Ziel: geschlechterspezifische Vorurteile abbauen und den weiblichen Nachwuchs für Jobs am oder rund um den Bau begeistern. Welche Herausforderungen damit verbunden sind, war Thema unseres Gesprächs mit der Mutmacherin, die Frauen animieren will, sich einen Bauberuf auch zuzutrauen.

Vorbild und Vorreiterin ist Barbara Hagedorn, die Frauen Mut machen will, einen Beruf in der Baubranche zu ergreifen. Fotos: Hagedorn

Baublatt: Wenn man sich einen Baucontainer vorstellen soll, denkt man gleich an ein Poster mit leichtbekleideten Mädels. Man unterstellt Bauarbeitern, dass sie Frauen hinterherpfeifen. Stimmt dieses Bild heute noch?

Barbara Hagedorn: Festgefahrene Klischees gibt es überall – das gilt auch und besonders für unsere Branche. Der Bau ist ehrlich und direkt, das stimmt. Und natürlich gibt es noch den einen oder anderen Baucontainer, in dem ein solches Poster hängt oder Männer vom Bau, die Frauen hinterherpfeifen. Doch entscheidend ist: Es verändert sich etwas. Die Rollenbilder wandeln sich und immer mehr Frauen gehen den Schritt in eine männerdominierte Branche. Deshalb betonen wir permanent, dass wir mit unserer „Frau am Bau“-Kampagne nicht nur Berge auf den Baustellen, sondern vor allem in den Köpfen versetzen möchten. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir sind auf einem guten Weg. Und wer weiß: Vielleicht sind es irgendwann die Frauen, die den Männern hinterherpfeifen (lacht).

Baublatt: Eine schöne Vorstellung. Doch welches Image über Baustellenjobs herrscht noch in den Köpfen?

Barbara Hagedorn: Besonders fest verankert ist das Klischee, dass der Job auf dem Bau nur mit Muskelkraft zu stemmen ist. Das ist ein Irrtum. Durch die Digitalisierung und die damit zusammenhängende neueste Technik braucht es vielmehr Köpfchen und Fingerspitzengefühl. Früher war die Arbeit auf dem Bau mitunter auch eine andere, zum Beispiel gab es die Schnellwechsler an den Maschinen nicht. Das ist heute anders – um Anbaugeräte zu tauschen, muss niemand mehr aus dem Bagger steigen. Das ist ein Beispiel von vielen.

Barbara Hagedorn: „Das Selbstvertrauen und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten sind essenziell, um die beruflichen und persönlichen Ziele zu erreichen.“

Baublatt: Warum sind Frauen, die Jobs auf Baustellen oder rund um Baustellen ausüben, nach wie vor eine Ausnahme? Was sind die Hürden dafür?

Barbara Hagedorn: Das hängt nicht nur mit dem beschriebenen Klischee zusammen, sondern vor allem damit, dass die weiblichen Vorbilder fehlen und einige Frauen schlichtweg einfach nicht den Mut aufbringen, den Schritt in eine Branche zu gehen, die männerdominiert ist. Doch je mehr Frauen sichtbar sind und je öfter wir das Thema auf den Tisch bringen, umso mehr Bewerbungen von Frauen werden wir erhalten.

Baublatt: Was sind die gängigen Klischees, die gegenüber Frauen bestehen, wenn sie sich in technischen Berufen behaupten müssen? Und welche Vorurteile haben Frauen selbst gegenüber dem Arbeitsumfeld Bau?

Barbara Hagedorn: Dass eine Frau wenig Ahnung von Technik hat, zu emotional oder zu sensibel ist für den Bau, bleibt von dem einen oder anderen eine feste Überzeugung. Doch genau das ist das Problem: Wir klammern uns an Klischees, thematisieren laufend die Schwierigkeiten, anstatt gemeinsam zu versuchen, Dinge voranzubringen und dafür zu sorgen, dass beide Geschlechter ihre Stärken vereinen. Frauen sind häufig empathischer, und das tut jeder Firma und jeder Baustelle gut. Aber Sie merken, ich verfalle selbst in Klischee-Denken, wenn wir über das Thema sprechen. Sich davon zu lösen, ist nicht einfach. Aber wichtig ist, und da spreche ich für jedes Unternehmen, dass letztendlich allein die Leidenschaft, die Einsatzbereitschaft und das Verantwortungsbewusstsein des Mitarbeiters zählen – nicht nur unabhängig von Geschlecht, sondern auch unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung.

„Wir klammern uns an Klischees, thematisieren laufend die Schwierigkeiten, anstatt gemeinsam zu versuchen, Dinge voranzubringen und dafür zu sorgen, dass beide Geschlechter ihre Stärken vereinen“, so Barbara Hagedorn.

Baublatt: Was hat Ihnen geholfen, sich als Frau in der Abbruch- und Baubranche durchzusetzen? Was haben Sie gerade in Ihrer Anfangszeit als Unternehmerin so alles erlebt?

Barbara Hagedorn: Das Selbstvertrauen und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten sind essenziell, um die beruflichen und persönlichen Ziele zu erreichen. Natürlich gehören Rückschläge dazu. Ich erinnere mich genau an die Anfangszeit, als ich mich mit 23 Jahren in der Reifenbranche selbstständig gemacht habe. Als Mann reichte es, wenn er sagen konnte: „Der Reifen ist rund und schwarz.“ Als Frau musste ich den Reifen bis ins kleinste Detail erklären können, um mich zu beweisen. Das ist nicht immer fair, hat mich aber stärker gemacht und dazu geführt, dass ich mich nicht so leicht unterkriegen lasse.

Baublatt: Sind das die Fähigkeiten und Talente, die Frauen für Jobs auf Baustellen brauchen?

Barbara Hagedorn: So pauschal kann man das nicht mit Ja beantworten. Denn kaum jemand ist immer selbstbewusst, durchsetzungsstark und mutig. Wichtig ist, dass wir bereit sind, zu wachsen. Wenn ich als Frau in einen Beruf einsteige, der bisher eher männerdominiert ist, erfordert das schon eine gewisse Portion Selbstvertrauen, doch das gilt für jede Branche und wenn wir gut sind in unserem Job und mit Leidenschaft dabei sind, können wir alles erreichen.

Baublatt: Warum sind weibliche Vorbilder nötig, damit bei Frauen das Interesse für die Branche geweckt wird?

Barbara Hagedorn: Wir sind überzeugt davon, dass viele Frauen Interesse an Berufen im Baugewerbe haben, aber noch zögern. Diese Frauen möchten wir anschubsen, ihnen Mut machen, indem wir ganz bewusst Gesicht zeigen. Noch sind wir nicht viele, aber wir sind da. Und wir wollen Vorbilder sein. Dass es an weiblichen Vorbildern mangelt, ist kein Geheimnis und auch das Ergebnis einer von uns initiierten branchenweiten Umfrage. Mehr als 92 Prozent der Frauen wünschen sich mehr weibliche Vorbilder in der Branche sowie eine stärkere berufliche Förderung.

„Es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen – von der Führungsebene bis zum Praktikanten. Doch das geht nicht von heute auf morgen, deshalb muss zunächst der Wille und die Motivation da sein, etwas zu verändern“, meint die Geschäftsführerin der Hagedorn Unternehmensgruppe.

Baublatt: Welche Tipps haben Sie heute für Berufs- oder Quereinsteigerinnen, die mit dem Gedanken spielen, einen technischen Beruf zu ergreifen?

Barbara Hagedorn: Entscheidend ist, sich nicht von seinen Wünschen abbringen zu lassen – auch dann nicht, wenn es negative Stimmen gibt. Etwas Neues zu wagen oder sich umzuorientieren, ist mit Mut verbunden. Ich ermutige die Frauen daher immer dazu, sich einfach zu trauen.

Baublatt: Warum braucht es Netzwerke und Mentorinnen, damit sich Frauen austauschen können und bringt das was?

Barbara Hagedorn: Natürlich ist uns bewusst, dass wir nicht von einem Tag auf den anderen die Welt verändern, aber wir legen ein erstes Fundament und möchten in kleinen Schritten etwas bewegen. Denn das Entscheidende ist, dass man anfängt und Dinge verändert. Das kann man im stillen Kämmerchen machen oder man redet über Probleme und findet auf dem Weg neue Unterstützer. Im Zuge der Kampagne haben wir deshalb ein Netzwerk gegründet, dem sich mittlerweile mehr als 30 Firmen aus der Baubranche und dem Handwerk angeschlossen haben. Gemeinsam haben wir uns zum Ziel gesetzt, mehr Frauen für die Branche zu begeistern. Alle Mitglieder teilen die Überzeugung, dass Frauen den gleichen Job machen können wie Männer und viele Lust auf Bau haben, sich aber letztendlich nicht trauen, den Schritt zu gehen. In regelmäßigen Treffen tauschen wir uns aus, sprechen Probleme offen an und entwickeln Konzepte, um sowohl auf interner als auch auf externer Ebene etwas zu bewegen.

Baublatt: Mit Ihrer Kampagne „Frau am Bau“ waren Sie Vorreiterin, um mehr Frauen für einen Job in der Baubranche zu gewinnen. Was haben Sie inzwischen mit „Frau am Bau“ erreicht?

Barbara Hagedorn: Wir sind sehr stolz auf das, was wir schon geschafft haben. Als wir Ende 2020 mit unserer Kampagne an den Start gingen, haben wir zwar gehofft, aber niemals damit gerechnet, dass sie so hohe Wellen schlägt. Das große Medienecho führte dazu, dass das Thema wieder auf den Tisch kommt, wir mehr darüber reden und Lösungen finden, um Frauen zu unterstützen. Das bedeutet mir persönlich sehr viel. Für uns als Unternehmen haben wir schon jetzt tolle Ziele erreichen können. Wir haben nicht nur unser Netzwerk gegründet, sondern zum Beispiel mit Ex-Profiboxerin Regina Halmich eine prominente Unterstützerin gewinnen können und eine Kooperation mit Zeppelin Baumaschinen zur Frauenförderung begonnen. Das Beste ist: Wir haben mittlerweile 59 Auszubildende, davon sind 17 weiblich und sechs von ihnen arbeiten direkt auf der Baustelle – als angehende Baugeräteführerinnen oder Tiefbaufacharbeiterinnen im Straßenbau. In der Branche ist das eine absolute Seltenheit. Trotz allem ist uns bewusst, dass auch wir bei Hagedorn weit entfernt sind von perfekt. Auch bei uns sind Frauen ganz klar in der Unterzahl. Das zu ändern, ist eine Herausforderung.

Baublatt: Wie viele Mitarbeiterinnen beschäftigt die Hagedorn-Gruppe 2023? Und welche Ziele haben Sie sich noch vorgenommen?

Barbara Hagedorn: Wir zählen heute mehr als 2 000 Beschäftigte und unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren mit geballter Kompetenz den Strukturwandel, gerade zwischen Rhein und Ruhr, noch besser anpacken zu können und die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Dafür haben wir uns im Rheinland noch breiter aufgestellt. Mit dem Bergheimer Kranunternehmen Wasel und der Hagedorn Köln GmbH sind wir dort schon stark vertreten, haben aber durch den Zusammenschluss mit dem Kerpener Unternehmen Maaßen Erdbewegungen Transporte und der IK Umwelt Gruppe mit Sitz in Krefeld seit diesem Jahr zusätzliche Synergien erzeugen können. Strukturen wandeln wollen wir gleichzeitig weiterhin mit unserer „Frau am Bau“-Kampagne. Denn diese Kampagne hat kein Ablaufdatum. Wenn wir jetzt nicht anfangen, Strukturen zu wandeln, stehen wir in den nächsten Jahren vor noch größeren Problemen und bleiben auf den freien Stellen sitzen.

Baublatt: Was haben Sie in Ihrem Unternehmen konkret gemacht, um mehr Frauen für Jobs am Bau zu gewinnen?

Barbara Hagedorn: Wir haben unser Ziel über alle Kanäle verbreitet: unsere Heimatstadt plakatiert, viele Interviews gegeben, Social-Media-Beiträge geteilt, eine eigene Videoreihe produziert, eine branchenweite Umfrage gestartet und vieles mehr. Bei jedem Schritt haben wir versucht, die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinzubeziehen. Denn grundlegende Veränderungen müssen aus einem Unternehmen heraus entstehen und viele waren direkt mit an Bord und haben Ideen eingebracht. Daran arbeiten wir ständig weiter.

Die Auszubildenden Laura, Ronja und Nadine (von links).

Baublatt: Wie kann die Branche attraktiver für weibliches Personal werden und was müssen Bauunternehmen verändern, um bei der Berufswahl als attraktiver Arbeitgeber für Frauen wahrgenommen zu werden?

Barbara Hagedorn: Werbung machen, sichtbar sein, ist das eine, aber um Rahmenbedingungen und Strukturen zu verändern, ist es zusätzlich unabdingbar, Probleme innerhalb des Unternehmens offen anzusprechen und Schritt für Schritt ein neues Fundament zu schaffen. Es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen – von der Führungsebene bis zum Praktikanten. Doch das geht nicht von heute auf morgen, deshalb müssen zunächst der Wille und die Motivation da sein, etwas zu verändern.

Baublatt: Wie lange kann es sich die Branche noch leisten, Frauen als potenzielle Arbeitskräfte zu vernachlässigen?

Barbara Hagedorn: In keiner anderen Branche ist der Frauenanteil so gering wie im Baugewerbe. Auf gerade einmal 13 Prozent kommt der Frauenanteil hier, in bauhauptgewerblichen Berufen liegt er sogar nur bei 1,6 Prozent. Hinzu kommt, dass in den nächsten zehn Jahren ein Viertel der deutschen Baufacharbeiter altersbedingt ausscheiden wird. Damit kann ich Ihre Frage klar beantworten: Wir können und sollten Frauen als potenzielle Arbeitskräfte nicht länger vernachlässigen – und das aus absoluter Überzeugung heraus.

Baublatt: Welche beruflichen Möglichkeiten bietet die Baubranche gerade Frauen? Sie sind Unternehmerin und Mutter. Was muss auf der Arbeitgeberseite passieren, damit Frauen Beruf und Familie unter einen Hut bringen können?

Barbara Hagedorn: Ich glaube, dass wir als Arbeitgeber schon frühzeitig ansetzen müssen. Das heißt, wenn sich ein junges Mädchen dafür entscheidet, eine Ausbildung auf dem Bau zu beginnen und die Eltern sich wegen der Vorurteile über die Branche Sorgen machen, laden wir sie mit zum Vorstellungsgespräch ein und nehmen ihnen die Ängste. Wir sollten die Mädchen und Frauen fördern, die Lust auf die Branche haben. Das bedeutet auch, dass wir Lösungen finden müssen, damit sich Job und Familie miteinander vereinbaren lassen. Das funktioniert, wenn Unternehmen eine offene Gesprächskultur pflegen und zwischen der Führung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ehrlich, fair und wertschätzend miteinander umgegangen wird.

Barbara Hagedorn: „Entscheidend ist, sich nicht von seinen Wünschen abbringen zu lassen – auch dann nicht, wenn es negative Stimmen gibt.“

Baublatt: Und was muss auch der Staat leisten, um Frauen mehr zu unterstützen?

Barbara Hagedorn: Die Politik kann und muss insgesamt noch viel tun, um die Situation der Frauen zu verbessern. Aufgrund fehlender Kinderbetreuungsplätze sind viele Mütter gezwungen, im Job kürzer zu treten. Mehr zu arbeiten ist für viele Frauen deshalb keine Frage des Wollens, sondern des Könnens. Denn oft finden sie keinen Krippen- oder Kindergartenplatz für ihren Nachwuchs, oder die Einrichtung schließt bereits so früh, dass sie keine Vollzeitstelle annehmen können. Mehr Ganztagsschulen oder Hortplätze würden es Frauen ebenfalls erleichtern, ihre Arbeitszeit auszudehnen. Ein weiterer Punkt: Auch im Jahr 2022 haben Frauen nach Daten des Statistischen Bundesamts im Schnitt deutlich weniger verdient als Männer. Mit 18 Prozent ist die Gehaltsdifferenz demnach unverändert gegenüber dem Vorjahr. Dafür müssen Lösungen gefunden werden.

November/Dezember2023