Über den CO2-Fußabdruck von Baustoffen

Was ihre Klimabilanz betrifft, so besteht in der Bau- und Baustoffbranche großer Handlungsbedarf: Etwa 40 Prozent der deutschen Rohstoffe werden im Bau- und Gebäudebereich verbraucht, nur ein Bruchteil stammt aus Recycling. Das erfordert ein Umdenken – insbesondere bei öffentlichen Gebäuden, was die Wiederverwertung und das Recycling betreffen. Aber auch andere Baustoffe wie Beton müssen ihren grünen Fußabdruck erheblich verbessern. Denn hierzulande verursachen die Herstellung, Errichtung, Nutzung und Entsorgung von Gebäuden sowie die Infrastruktur rund 55 Prozent der gesamten CO₂-Emissionen. Umso wichtiger sind neue Wege und Lösungen. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet, nicht zuletzt, weil die Umweltanforderungen an Baustoffe steigen und weil etwa Zementwerke bis 2045 klimaneutral produzieren müssen.

Nachhaltigkeit ist aktuell in aller Munde und Baufirmen erproben innovative Wege, um den Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht werden zu können. „Zuerst ist jedoch der Blick beim Thema Nachhaltigkeit auf die öffentlichen Auftraggeber zu richten“, betont Daniel Jonas, Abteilungsleiter für Straßen-, Tief- und Ingenieurbau bei der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e. V. (BVMB). Konkret lautet die Forderung des Verbandes, bei Vergabeverfahren Nachhaltigkeitskriterien stärker zu berücksichtigen. „Es ist nicht so, dass die mittelständischen Bauunternehmen hier nicht längst am Ball wären und aktiv daran arbeiten, das Bauen noch nachhaltiger zu gestalten“, stellt Daniel Jonas klar. Im Gegenzug weist er darauf hin, dass vor allen Dingen bei den öffentlichen Auftraggebern, die in einer Vorbildfunktion stehen, das Thema Nachhaltigkeit vielfach noch ein Schattendasein führt. „Der größte Hebel liegt im Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und damit in der Bedarfsermittlung: Im Rahmen der Planung und der Aufstellung einer eindeutigen Leistungsbeschreibung können Umwelt- und Klimaaspekte einfließen. Es ist Sache des Auftraggebers, ob er bereits in dieser Phase umweltbezogene Aspekte berücksichtigt. Hiervon machen die öffentlichen Auftraggeber noch immer zu wenig Gebrauch“, so Daniel Jonas. In der Diskussion ist derzeit ein „Schattenpreismodell“, bei dem der Angebotspreis mit einem fiktiven CO₂-Preis beaufschlagt wird und dann der niedrigste Wertungspreis den Zuschlag erhalten soll. Sollte es so weit kommen, wird es umso wichtiger werden, den CO₂-Fußabdruck beim Bauen zu senken.

Beim Recycling braucht es ein Umdenken. Foto: Maja Bechert/Pixabay

Doch dafür muss dieser auch berechnet werden können. Oris hat dafür einen CO₂-Kalkulator auf den Markt gebracht, der dies für Gesteinskörnungen ermittelt. Damit lässt sich das Treibhauspotenzial von Sand und Kies erfassen. Entwickelt wurde das digitale Werkzeug nach den Empfehlungen von CIRAIG, einem weltweit führenden LCA-Forschungszentrum, und MIRO, dem deutschen Bundesverband für mineralische Rohstoffe, vor dem Hintergrund der bevorstehenden Änderungen der EU-Verordnungen. Sie schreiben ab 2027 die Offenlegung der CO₂-Bilanz in der Leistungserklärung vor. Die Messung des CO₂-Fußabdrucks ist dabei der erste Schritt zur Umsetzung von Strategien zu dessen Minimierung.

Um den Kalkulator zu füttern, braucht es eine Reihe von Daten, wie den Energieverbrauch, die Menge der abgebauten Materialien, die verwendeten Sprengstoffe sowie die Transporte und vieles mehr, die eingegeben werden müssen. Der Oris-CO₂-Rechner folgt der Methodik der Lebenszyklusanalyse, die den ökologischen Fußabdruck eines Produkts oder einer Dienstleistung bewertet. Dabei handelt es sich um einen umfassenden Ansatz, der alle Phasen des Produktlebenszyklus berücksichtigt, wie die Gewinnung von Rohstoffen, die Herstellung des Produkts, den Transport zur Baustelle, die Nutzungsphase und das Ende des Lebenszyklus.

Dabei führt Beton das Ranking der Baustoffe an, die das Klima belasten. Denn dafür braucht es Zement, dessen Produktion erhebliche Mengen CO₂ freisetzt. Allein hierzulande gehen 2,8 Milliarden Tonnen Emissionen darauf zurück, was weltweit acht Prozent der verursachten Kohlenstoffdioxid-Menge entspricht. Um Zement herzustellen, werden Kalkstein und Ton in einem auf 1 450 Grad erhitzten Ofen zu Klinker gebrannt, wobei durch die chemische Zersetzung des Kalksteins zwangsläufig CO₂ freigesetzt wird. Der enorme Energiebedarf des Ofens trägt zusätzlich zu einer schlechteren Umweltbilanz bei. Darum treten Unternehmen der Branche einen Wettlauf im Bereich der Dekarbonisierung an, um die Vorteile von Beton als Baustoff, wie die hohe Druckfestigkeit oder die freie Formbarkeit, weiterhin zu nutzen, gleichzeitig aber umweltfreundlicher zu werden und so einen grünen Fußabdruck zu hinterlassen. Der Ansatz ist dabei: CO₂ zu binden und zu speichern.

So will Heidelberg Materials im nordrhein-westfälischen Geseke ab 2029 jährlich 700 000 Tonnen CO₂ abscheiden. Dort soll das erste deutsche Zementwerk entstehen, das Net-Zero-Zement und -Klinker auf Basis der CCS-Wertschöpfungskette (Carbon Capture and Storage) für die Abscheidung, den Transport und die dauerhafte Speicherung aller CO₂-Emissionen an einem deutschen Binnenstandort produziert. „Dies wird die Dekarbonisierung unserer Industrie erheblich beschleunigen“, ist Dr. Nicola Kimm, Chief Sustainability Officer und Mitglied des Vorstands von Heidelberg Materials, überzeugt. Dazu gehört neben dem Bau der Abscheideanlage ein neuer Oxyfuel-Ofen in Verbindung mit- einer CO₂-Reinigungs- und Verflüssigungsanlage sowie eine Bahnverladung, die den Zeitraum überbrückt, bis die notwendige Pipeline-Infrastruktur zur Verfügung steht. Das CO₂ wird zum CO₂-Hub von Wintershall Dea befördert – der Projektpartner wird für die dauerhafte Speicherung von CO₂ verantwortlich sein. Nach der Abscheidung wird es zum Verteilungszentrum von Wintershall Dea in Wilhelmshaven transportiert. Von dort aus wird es per Schiff/Pipeline zu Offshore-Speicherstätten in der Nordsee transportiert. Da die Anlage auch die Emissionen aus der Biomasse abscheidet, die anstelle fossiler Brennstoffe eingesetzt wird, wird der Standort eines der ersten europäischen Zementwerke sein, das vollständig dekarbonisierten Zement und Klinker herstellen kann. Der elektrische Energiebedarf soll ausschließlich durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Eine neue Fotovoltaikanlage auf dem Werksgelände wird dazu beitragen. Der Bau der Anlage wird 2026 beginnen, die Inbetriebnahme ist für 2029 geplant.

Doch nicht nur bei der Produktion von Baustoffen wie Beton gibt es Einsparpotenziale im Hinblick auf CO₂, sondern der Bausektor hat diese auch in der Kreislaufwirtschaft und im Ressourcenschutz. Der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zufolge liegen sie bis 2045 im Hoch- und Tiefbau bei bis zu 60 Millionen Tonnen CO₂, bei 66 Millionen Tonnen Ressourcen und einer Million Hektar Fläche, die eingespart werden konnten. Deswegen sollten Bund und Länder kreislaufgerechte Anforderungen für öffentliche Gebäude festlegen, beispielsweise zum Einsatz von Recyclingmaterialien oder zur Wiederverwendung von Bauteilen. Die DUH fordert Rückbaukonzepte schon in der Planungsphase verpflichtend zu machen. Dabei soll vorgeschrieben werden, welche Bauteile vorrangig einer Wiederverwendung und welche Baustoffe dem Recycling zuzuführen sind. Dadurch können mehr hochwertige Materialien für den Gebäudebau zur Verfügung gestellt werden. Dazu Viktor Schödwell, Senior Expert Kreislaufwirtschaft bei der DUH: „Besonders öffentliche Bauten müssen höchsten Standards für Ressourcenschutz entsprechen. Deswegen fordern wir Bund und Länder auf, konsequent auf wiederverwendete Bauprodukte und Recyclingbaustoffe zu setzen. Auch Zirkularitätskonzepte beim Bau- öffentlicher Gebäude müssen verpflichtend werden. Zur Dokumentation dieser wichtigen Informationen sollte schnellstmöglich ein Gebäuderessourcenpass eingeführt werden.“

Das Zementwerk von Heidelberg Materials in Geseke. Foto: Steffen Höft/Heidelberg Materials

Um Ressourcen zu schonen, erprobt derzeit auch die TH Köln ein Verfahren für die Betonherstellung. Durch die Verbrennung von gemischten Siedlungsabfällen, also haushaltsüblichem Müll, fallen in Deutschland jährlich etwa 5,7 Millionen Tonnen Müllverbrennungsaschen (MV-Aschen) an. Da diese Rückstände bisher nicht hochwertig weiterverarbeitet werden können, verbleiben sie größtenteils ungenutzt auf Deponien. Die TH Köln untersucht, ob MV-Aschen für die Betonherstellung nutzbar gemacht werden können. Untersuchungen mit ersten Rezepturen und Probekörpern belegen die grundsätzliche Machbarkeit. „Müllverbrennungsasche besteht neben metallischen und organischen Anteilen aus mineralischen Stoffen. Letztere haben das Potenzial, um natürliche Ressourcen bei der Betonherstellung zu ersetzen“, sagt Professor Björn Siebert vom Labor für Bau- und Werkstoffprüfung der TH Köln. Ziel ist es, die MV-Asche als alternative Ausgangsstoffe für die Herstellung von Transportbeton und Betonwerkstein, zum Beispiel Pflastersteine, verwenden zu können.

Auch die Schlacken von Stahlwerken geraten bei der nachhaltigen und klimaneutralen Zementherstellung in den Blick. Der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) verfolgt daher eine Vielzahl vielversprechender Ansätze, die sich bei einer technischen und wirtschaftlichen Eignung zu einem wichtigen Baustein der Dekarbonisierungsstrategie weiterentwickeln lassen. Neben den bekannten Verfahren zur CO₂-Abscheidung und Nutzbarmachung, ergeben sich auch im Bereich der mechanischen Verfahrenstechnik derzeit einige Möglichkeiten, die nachhaltige Nutzung von Zementhauptbestandteilen zu verbessern und den CO₂-Fußabdruck künftig relevanter und klinkereffizienter Zementarten weiter zu schmälern. So bieten Stahlwerksschlacken ein interessantes Potenzial in Hinsicht auf eine noch klimaschonendere und nachhaltigere Zementproduktion, was in künftigen Forschungsprojekten genauer untersucht und betrachtet werden soll. So beschäftigt sich das Forschungsvorhaben mit dem Einsatz von HMV-Schlacke als Rohstoff für die Zementherstellung mit der Trennung von Metallen aus Fertigschlacken zwecks Herstellung eines sauberen mineralischen Produkts. Es kann als Rohmaterial für die Klinkerproduktion in der Zementindustrie eingesetzt werden. Das Forschungsvorhaben „HMV-Öko-Beton“ der Universität Kassel befasst sich mit der Entwicklung geeigneter Aufbereitungspfade zur Erreichung einer hohen Qualität der mineralischen Fraktion zur Nutzung als Ersatz für Gesteinskörnungen und Bindemittel in Betonprodukten. Eine Arbeitsgemeinschaft der Heidemann Recycling GmbH und EEW Energy from Waste GmbH hat das aus aufbereiteter HMV-Schlacke bestehende Produkt „S-CEM“ entwickelt, das als Additiv zur Herstellung ausgewählter und konfigurierter Bindemittel und Betone genutzt werden konnte. Nach Auffassung der Unternehmen kann es in Zukunft zu einer erheblichen Verringerung der Emissionen in der CO₂-intensiven Zementherstellung und zur Schonung von natürlichen Ressourcen beitragen.

Doch bei allen Aktivitäten, die Unternehmen derzeit umtreiben, gibt es einen großen Haken: Es fehlt in Deutschland an den rechtlichen Grundlagen und entsprechenden Anpassungen der Normen für derartige Einsätze. Deshalb ist eine Befassung mit den Einsatzmöglichkeiten von HMV-Schlacken in gemischten Produkten durch den Gesetzgeber und die Normungsinstitutionen dringend erforderlich. Nur so können neben dem bereits bewährten Einsatz von HMV-Schlacke weitere Standbeine im Sinne der Kreislaufwirtschaft etabliert werden.

Februar 2024