Dr. Albert Dürr: Gottlob-Müller-Prinzip im Unternehmen verankert
Bereits 2010 hat das Bauunternehmen Wolff & Müller die Weichen für nachhaltiges Bauen gestellt und gilt als Vorreiter in der Branche, CO₂-neutral zu arbeiten. Seit zehn Jahren werden wesentliche Bauprozesse auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. So wurde auf Ökostrom umgestellt, den nicht nur die Büros, Betriebs- und Produktionsstätten in Deutschland, sondern auch Baustellen beziehen, um einen Beitrag für den Umweltschutz zu leisten. Bauherren sollen unterstützt werden, die ökologisch und ökonomisch beste Lösung für ihr Bauprojekt zu finden, indem sie durch einen nachhaltigen Bauprozess geführt werden. Schon der Firmengründer Gottlob Müller hatte nachhaltiges Wirtschaften im Blick, wie dessen Enkel Dr. Albert Dürr verrät, der das Familienunternehmen als Geschäftsführender Gesellschafter in dritter Generation führt.
Baublatt: Ihr Bauunternehmen war das erste in Deutschland, das komplett CO₂-neutral gebaut hat. Sie trimmen die Bauprozesse auf Nachhaltigkeit. Wie sehen Sie derzeit die Klimadebatte und die Bewegung „Fridays for Future“?
Dr. Albert Dürr: „Fridays for Future“ holt Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf die aktuelle Agenda und macht die Dringlichkeit dieser Themen deutlich. Es geht schließlich darum, unsere Erde vor dem Kollaps zu retten. Für unser Unternehmen ist Nachhaltigkeit viel mehr als ein Trendthema: Wir arbeiten schon lange daran, wirtschaftlichen Erfolg und verantwortungsvolles Handeln zu vereinbaren. Das CO₂-neutrale Bauen ist nur ein Beispiel: Inzwischen haben wir eine umfangreiche Nachhaltigkeitsstrategie, die auf mehreren Handlungsfeldern wirkt: nach innen, auf Mitarbeiter und Baupartner, und nach außen, auf Kunden, Umwelt und Gesellschaft.
Baublatt: Was verstehen Sie unter echter Nachhaltigkeit?
Dr. Albert Dürr: Nachhaltigkeit verbinden viele mit Umwelt- und Klimaschutz. Aber echte Nachhaltigkeit ist mehr. Für Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, bedeutet sie, so zu wirtschaften, dass es nicht zulasten kommender Generationen geht. Das hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte. Wir übernehmen beispielsweise Verantwortung für die Bedingungen, unter denen unsere Bauwerke entstehen, etwa indem wir uns gegen Schwarzarbeit engagieren. Als Bauunternehmen ist unser größter Beitrag jedoch, möglichst gut und störungsfrei zu planen und zu bauen.
Baublatt: Die Bau- und Baustoffbranche verursacht weltweit einen Ausstoß von CO₂-Emissionen in Höhe von acht Prozent. Machen Baufirmen und Baustoffhersteller genug für den Klimaschutz?
Dr. Albert Dürr: Gerade, weil Bauen so viel Energie und Ressourcen verbraucht, kann unsere Branche schon mit kleinen Maßnahmen viel bewirken. Und es gibt ja auch erfolgreiche Initiativen, die genau dieses Ziel haben. Zum Beispiel sind wir Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Unser Unternehmen will innerhalb der Branche Vorreiter sein.
Baublatt: Wo können Bauunternehmen schon im Kleinen ansetzen, um nachhaltiger zu werden?
Dr. Albert Dürr: Ein wichtiger Schritt ist der sogenannte Carbon Footprint – eine detaillierte Bilanz des unternehmenseigenen CO₂ -Ausstoßes. Unsere Tochtergesellschaft Wolff & Müller Energy hat diesen CO₂-Fußabdruck 2010 zum ersten Mal für uns errechnet und erneuert ihn seither regelmäßig. Der Fußabdruck macht transparent, an welcher Stelle welche Emissionen entstehen. Das ist der erste Schritt, um ihn systematisch zu verkleinern. Die Wolff & Müller Energy berät und begleitet auch externe Unternehmen auf dem Weg zur CO₂ -Neutralität .
Baublatt: Müssten Baufirmen innovativere Maßnahmen und Technologien zum Klimaschutz entwickeln?
Dr. Albert Dürr: Innovativ müssen alle Branchen sein, um ihre CO₂-Emissionen zu senken. Auch wir setzen auf innovative Technik und sind oft Pionieranwender. Ein paar Beispiele: Im Bereich der Baumaschinen arbeiten wir eng mit Partnern wie Zeppelin zusammen, die ebenfalls hohe Ansprüche an Nachhaltigkeit haben. Um die Baustellen zu steuern und zu vernetzen, nutzen wir Applikationen von BPO. In der Betriebsphase von Immobilien machen wir sehr gute Erfahrungen mit KARMA, einer Plattform für das digitale Gebäudemanagement. Damit können Betreiber nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die Sicherheit ihrer Gebäude und das Wohlbefinden der Nutzer verbessern.
Baublatt: Bereits Ihr Großvater und Firmengründer Gottlob Müller hat sich für den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen eingesetzt. Was haben Sie in Ihrem Unternehmen alles angestoßen, um den ökologischen Fußabdruck zu verbessern?
Dr. Albert Dürr: Wenn Gottlob Müller eine Schachtel Nägel im Dreck liegen sah, wies er darauf hin, dass man so nicht mit Ressourcen umgehe. Sein Anspruch, jegliche Verschwendung zu vermeiden, ist als Gottlob-Müller-Prinzip fest in unserem Unternehmen verankert. Um CO₂ zu sparen, haben wir ein zertifiziertes Energie-, Umwelt- und Qualitätsmanagementsystem eingerichtet, arbeiten an allen Standorten und Baustellen mit hundert Prozent Ökostrom, nutzen besonders emissionsarme Fahrzeuge und setzen umweltverträgliche Materialien ein. Unvermeidbare Emissionen kompensieren wir zum Beispiel durch Wiederaufforstungsprojekte in Indonesien, Vietnam und Laos. All unsere Maßnahmen können Interessenten in unserem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht nachlesen. Als Mitglied der Wirtschaftsinitiative Nachhaltigkeit (WIN) des Landes Baden-Württemberg haben wir uns dazu verpflichtet, regelmäßig über unsere Ziele und Maßnahmen zu berichten.
Baublatt: Warum ist Digitalisierung Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung?
Dr. Albert Dürr: Für Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft ist es wichtig, die Planungs- und Bauprozesse am Bau so zu gestalten, dass weder Zeit noch Geld, Ressourcen oder Energie verschwendet werden. Das tun wir mit digitalen Arbeitsmethoden und Technologien, aber auch mit weiteren Ansätzen wie Lean Management und dem modularen Bauen. Im Bereich Digitalisierung setzen wir vor allem auf Building Information Management (BIM) und damit auf das Prinzip: Erst virtuell und dann real planen und bauen. Bei Wolff & Müller verstehen wir BIM nicht nur als Building Information Modeling, sondern als Building Information Management. Weil es eben nicht „nur“ um das virtuelle Gebäudedatenmodell geht, sondern vor allem um das ganzheitliche Management von Informationen entlang des Produktlebenszyklus eines Bauwerks: von der Planung über die Realisierung bis hin zur Bewirtschaftung. BIM verbessert die Qualität, Termin- und Kostensicherheit der Bauprojekte spürbar. Der gesamte Lebenszyklus von Bauwerken wird digital abgebildet – auch das ist eine wichtige Voraussetzung für nachhaltiges Bauen.
Baublatt: Wie schwierig sind Aspekte der Nachhaltigkeit Bauherren und Auftraggebern zu vermitteln, wenn diese lieber schneller oder lieber billiger bauen wollen, sprich wenn keine ökonomischen Vorteile damit verbunden werden?
Dr. Albert Dürr: Nachhaltigkeit lohnt sich immer. Manchmal geht die Rechnung schnell auf. Ein Beispiel: Durch die Start-Stopp-Automatik bei Baumaschinen sparen wir nicht nur 600 Tonnen CO₂ pro Jahr ein, sondern auch 300 000 Euro. Die Bilanz ist immer positiv, wenn man den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks betrachtet. 80 Prozent der Kosten, die ein Bauwerk verursacht, entstehen in der langen Betriebsphase. Probleme, die durch eine unzulängliche Planung entstehen, lassen sich im Nachhinein nur mit viel Geld korrigieren. Bauherren sollten deshalb langfristig denken und rechnen, also sorgfältig planen und auch das Bauunternehmen so früh wie möglich als Ratgeber und Lotse einbeziehen. In der Planung entscheiden sich die meisten Faktoren, die ein Bauwerk gut und nachhaltig machen.
März/April 2020