Mit Hochdruck arbeiten Baufirmen derzeit daran, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringen. So wurde Ende 2022 das schwimmende LNG-Terminal in Brunsbüttel an das Netz angeschlossen, um eine stabile Energieversorgung Deutschlands zu sichern. Erste Teilmengen an Flüssiggas konnten bereits über eine rund 3,5 Kilometer lange Gasleitung in der Nennweite DN 600, die in das regionale Netz von Schleswig-Holstein mündet, eingebunden werden. Dafür sorgte die Arbeitsgemeinschaft LNG Brunsbüttel. Ihr gehören die PPS Pipeline Systems GmbH und die Habau Group sowie zwei weitere Arge-Partner an. Sie verlegen auch seit 2023 die Energietransportleitung ETL 180 mit einer Nennweite von DN 800. Das beinhaltet eine rund 55 Kilometer lange Leitung an das deutsche Gasverbundnetz, die von Brunsbüttel nach Hetlingen in den Kreis Pinneberg verläuft. Herausforderungen bestehen nicht nur im eng getakteten Zeitplan, sondern auch im Hinblick auf den Trassenverlauf. Denn auf einer Länge von rund acht Kilometern muss das Krempermoor mit einem Grundwasserstand nahe der Geländeoberkante gequert werden.
Der Pipelinebau ist ein internationales Geschäft – das macht das Firmenkonsortium als Generalunternehmer deutlich, dem Fachkräfte aus ganz Europa, insbesondere aus Italien und Spanien, angehören. Rund 650 gewerbliche Mitarbeiter stemmen die Arbeiten. Einer von ihnen ist Dominic Lessing, der mit seinen Kollegen aus der Werkstatt dafür sorgt, dass das Equipment zuverlässig funktioniert. Das ganze Team muss sprichwörtlich Gas geben, um im Rohrleitungs- und Tiefbau voranzukommen, damit einer Fertigstellung im Dezember 2023 und einer zügigen Einspeisung des importierten Flüssiggases in das Gasnetz nichts im Wege steht. Mit einem Druck von PN84 (= 84 bar) wird das Erdgas durch die Leitung fließen und so Tausende Haushalte in Deutschland mit Energie versorgen.
Um das Vorhaben anzuschieben, hat der Bundestag ein LNG-Beschleunigungsgesetz verabschiedet. Das bedeutete auch, dass das Land Schleswig-Holstein dem Fernleitungsnetzbetreiber Gasunie einen vorzeitigen Beginn der Baumaßnahme ermöglichte – damit gab es grünes Licht vor der eigentlichen Genehmigung, um Baustraßen und Baustelleneinrichtungsflächen zu errichten sowie Baufelder für die spätere Trassenführung vorzubereiten, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Zäune abzubauen. Organisiert werden mussten die Lagerplätze, wo die Stahlrohre zwischengelagert wer-den, bis sie auf die Baustelle kommen. Die Stahlrohre lieferte Mannesmann Grossrohr, ein Unternehmen des Salzgitter-Konzerns. Insgesamt werden 3 200 von ihnen verbaut. Alle Rohre sind durchnummeriert und mit QR-Code versehen, damit sie später genau dort in der Trasse liegen, wo sie hingehören. Die Rohre bestehen aus einem Spezialstahl, weil die Leitung bereits als „Wasserstoff-ready“ ausgeführt wird. Das heißt: Es könnte in naher Zukunft grüner Wasserstoff angelandet und per Pipeline effizient ins Hinterland geleitet werden. Dazu Tobias Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein, bei einem Pressetermin diesen Februar: „Die letzten Monate in Brunsbüttel sind ein Paradebeispiel, wie gutes Teamwork Planung und Bau von Infrastruktur vorantreibt. Der Standort Brunsbüttel hat das Zeug dazu, zu einem bedeutenden Hub für grüne Energie in Europa zu werden. Dafür müssen jetzt alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.“
Die Verlegearbeiten für die deutschlandweit längste LNG-Anbindeleitung nahmen unmittelbar nach Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses im Frühjahr 2023 Fahrt auf. Neben der ETL 180 werden auch eine Mess- und Regelstation, eine Übergabestation sowie drei Schieberplätze errichtet. Zudem sind elf Horizontalbohrungen, fünf Microtunneling-Verfahren und 19 grabenlose Pressungen vorgesehen, um Querungen zu meistern. Zusätzlich verläuft ein erheblicher Teil der Leitung durch Moorgebiete und durch Boden mit ei-nem hohen Schlickanteil, der spezielle Maßnahmen im Bereich der Wasserhaltung sowie einer tiefen Spundung erfordert. Auch sind Tiefendrainagen unausweichlich, um das Wasser abzuführen. Zudem werden Brunnen aufgestellt und der Grundwasserstand alle 100 bis 150 Meter gemessen. „Es ist sicherlich eines der anspruchsvollsten Bauprojekte seitens PPS, was den Termindruck, aber auch die Geologie betrifft“, so Dominic Lessing. Dabei spielt dem Vorhaben die Witterung nicht unbedingt in die Hände, sondern erschwert die Bedingungen zusätzlich, sodass freigelegte Gräben auch schon mal einbrechen und die Arbeit von vorne beginnt.
In regelmäßigen Abständen stecken Pflöcke im Boden, sie markieren den Verlauf der Leitungsachse. Weil entlang der Trasse mitunter auch Hochspannungsmasten und Stromkabel verlaufen, müssen Maschinisten besonders vorsichtig agieren, wenn sie Mutterboden abtragen und mit einem Kettenbagger wie dem Cat 336 der neuen Generation den eigentlichen Rohrgraben mit einem Trapezlöffel ausheben. Die Pipeline wird mit einem Meter Deckung oder tiefer unter der Erde liegen. Doch bis die Leitung verlegt werden kann, muss noch jede Menge passieren. Rohre sind zu biegen, zu schweißen und zu prüfen. Um die ETL 180 termingerecht fertigzustellen, wird – wie bei einer Linienbaustelle üblich – an mehreren Abschnitten parallel gearbeitet. Das bedeutet, dass die verschiedenen Gewerke auf dem annähernd gleichen Stand sein müssen. Das Bauvorhaben ist ein Mammutprojekt, und das zeigt sich auch im Maschineneinsatz. „Es ist eine echte Materialschlacht, damit wir zügig vorankommen“, so Dominic Lessing. Verteilt stehen 20 Rohrverleger, darunter zehn Cat Rohrverleger wie die Modelle PL 87 und PL 83, von PPS bereit. Hinzu kommen 54 Bagger, elf Radlader, zwei Walzen, 25 Seilkräne, zwei Biegemaschinen, 15 Schweißraupen und diverse Rüttelplatten, Stampfer und Kompressoren. Damit das alles reibungslos funktioniert, übernehmen Dominic Lessing und sein Team die Instandhaltung. Verschleißteile müssen immer wieder erneuert werden. Dabei unterstützen auch Partner wie Zeppelin und der Service der Niederlassungen Rendsburg, Achim bei Bremen und Osnabrück. „Das läuft wirklich gut, auch wenn wir viel selbst vor Ort machen“, meint Dominic Lessing. Zu den Aufgaben der Werkstatt von PPS gehört es auch, die Technik an die Gegebenheiten der Baustelle anzupassen, was im Fall der Bagger eine Umrüstung auf ein Moorlaufwerk mit breiteren Ketten bedeutet, um eine höhere Stabilität zu gewährleisten.
Weil die Rohrverleger nicht im Dauerbetrieb gefordert sind, werden sie immer wieder auch durchgetauscht, sodass jedes Gerät einmal der Rohrbiegemaschine zuarbeiten muss. Die Rohre ähneln sich nur bei ihrer Anlieferung wie ein Ei dem anderen. Vor der Verlegung muss ein Teil von ihnen leicht gebogen werden, um sie an das Höhenprofil der Pipeline anzupassen. Das erfolgt auf dem Lagerplatz – die Biegemaschine mit rund hundert Tonnen Einsatzgewicht lässt sich kaum mobil in dem unwegsamen Gelände einsetzen. Dann wird Rohr für Rohr mit einem speziellen Trägerfahrzeug zur Trasse gebracht. Dort warten bereits die Schweißmaschinen – das Schweißen erfolgt automatisiert. Die Schweißnaht muss absolut fehlerfrei sein und wird darum mithilfe von Durchstrahlungs- oder Ultraschallprüfungen überprüft und technisch abgenommen. Schließlich will der Auftraggeber auf Nummer sicher gehen. Vor der Inbetriebnahme müssen die Rohre auch noch eine „Druckprüfung“ bestehen, um sicherzustellen, dass die Leitung den kommenden Belastungen auf jeden Fall standhalten wird.
Sofern die Naht einwandfrei ist, wird das Rohr mithilfe der Cat Rohrverleger in den Rohrgraben auf die Rohrsohle in bis zu acht Metern Tiefe abgelassen und somit sachte auf einem Bett aus Sand abgelegt. Und das kann mitunter Schwerstarbeit sein, wenn die Geräte einen 500 Tonnen schweren Rohrstrang absenken müssen. Um die bis zu 18 Meter langen Rohre mit ei-nem Gewicht von bis zu 4,5 Tonnen und einem Außendurchmesser von DN 800 = 80 Zentimeter in Position zu halten, unterstützt sie dabei das Kontergewicht. Mit der Absenkung ist die Arbeit an der Pipeline seitens PPS längst nicht abgeschlossen. Schließlich muss alles wieder verfüllt werden. Dafür wird teils getrockneter und gesiebter Elbsand verwendet, der schon als Untergrund für die Baustraßen diente – schließlich sollen die Ressourcen vor Ort geschont werden. Dabei dürfen eine Außenbeschichtung aus Kunststoff sowie ein Korrosionsschutz nicht beschädigt werden, damit der Zahn der Zeit – das heißt der Rost – keine Schäden an der Pipeline anrichtet. Den Abschluss bildet der Mutterboden. Von der Leitung wird nach Abschluss der Bauarbeiten nichts mehr zu sehen sein. Fachleute begleiten daher den gesamten Prozess bis zu der abschließenden Renaturierung und Rekultivierung, um möglichst den Ursprungszustand wiederherzustellen – so als wäre nichts gewesen.
September/Oktober 2023