Über ein Jahr lang hat die Baubranche die Corona- Krise gut gemeistert: Baustellen liefen weiter – die Baukonjunktur trotzte der Pandemie. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Das Baumaterial wird zum Nadelöhr. Engpässe vor allem bei Holz, Stahl und Dämmmaterial sowie exorbitante Preissteigerungen sind die Folge, wie es sie laut ifo-Institut in dieser Form zuletzt nach der Wiedervereinigung gegeben hatte. Das Paradoxe dabei: Baufirmen hätten volle Auftragsbücher und trotzdem drohen Baustopps sowie Kurzarbeit, weil der Nachschub an Baumaterial ausbleibt. Die Wirtschaft trifft der Rohstoffengpass zum denkbar ungünstigsten Moment, um neu durchzustarten. Dass vereinbarte Lieferfristen nicht mehr gelten und Bauverzögerungen zu Verlusten auflaufen, wiegt schwer.
Vorschläge, welche die Runde machen, wie gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, alternative Baustoffe anzubieten und Fristen zu verlängern, sind gut gemeint. In dem einen oder anderen Fall mag das helfen – doch der Weisheit letzter Schluss ist das nicht, weil die Konjunktur sowie die Nachfrage weltweit anziehen und mit ihnen damit auch der Hunger nach Bau- beziehungsweise Rohstoffen. Daher mehren sich die Stimmen, die aus Verzweiflung rufen: Die Politik soll es richten, und zwar mit Exportbeschränkungen. Doch die hat diesen bislang eine Absage erteilt. Und das aus gutem Grund. Denn eine solche Reaktion zieht immer auch eine Gegenreaktion nach sich. Die aktuelle Preis- und Beschaffungsproblematik ist kein rein deutsches Phänomen, sondern betrifft unsere europäischen Nachbarn ganz genauso.
Der größte Bauherr Deutschlands muss selbst etwas gegen die Verwerfungen am Baumarkt tun und mit gutem Beispiel vorangehen: In den öffentlichen Aufträgen müssen die sogenannten Preisgleitklauseln zum Standard werden, appellierte etwa Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Mit seinen Forderungen geht er noch weiter: Zudem dürfe kein Handwerksbetrieb, der wegen der aktuellen Probleme den Vertrag nicht rechtzeitig erfüllen kann, mit Vertragsstrafen überzogen werden. Wer Unternehmen nun hängen lässt und die Situation aussitzen will, spielt mit dem Feuer und akzeptiert Stillstand beim ohnehin schon angespannten Wohnungsbau und der energetischen Sanierung. Eigentlich sind staatliche Eingriffe und zu viel Regulierung immer kontraproduktiv, wenn Einfluss auf Marktmechanismen genommen werden. Doch hier handelt es sich um eine Ausnahmesituation.
Wie abhängig wir inzwischen vom Ausland, allen voran von Asien und da insbesondere von China, in der Beschaffung von Gütern geworden sind, wurde in der Corona-Krise offensichtlich: Unsere Versorgungssicherheit wurde der Geiz-ist-geil-Mentalität unterworfen, weil Produktionsstätten aus Kostengründen ins Ausland verlagert wurden. Immer nur billig: Da muss sich der Staat selbst an die Nase packen, wenn er bei öffentlichen Vergaben dem günstigsten und nicht dem wirtschaftlichsten Angebot den Vorzug gibt und so eine Entwicklung befeuert hat, die der Wirtschaft schadet. Massenprodukte tragen kaum noch das Siegel „made in Germany“ – das zeigte sich umso deutlicher bei den Lieferengpässen mit Masken und Corona-Tests und setzt sich fort. Ob Automobilhersteller, Elektroindustrie oder der Maschinenbau: Fehlen hierzulande Elektronik-Chips, die in jedem Fahrzeug stecken, geht dann plötzlich gar nichts. Solche Abhängigkeiten sind gefährlich – die Globalisierung birgt auch Schattenseiten, wenn hierzulande kein Nachschub an Material ankommt, die Vorräte aufgebraucht sind oder wir hilflos ausgeliefert sind, wenn Containerschiffe voll beladen mit Holz in Richtung USA auslaufen, aber unsere Dachdecker kein Holz haben, um Dachstühle zu zimmern.
Juli/August 2021