Ein Kommentar von Sonja Reimann
Bevor sich der erste Baggerlöffel füllt, ist Geduld angesagt. 85 Prozent der Gesamtdauer eines Bauprojekts brauchen öffentliche Bauvorhaben, bis sie geplant und genehmigt sind, so der Zentralverband Deutsches Baugewerbe. Fertig gebaut wird im Gegenzug in Lichtgeschwindigkeit – dafür sorgen digitale Tools und Features wie 3D-Maschinensteuerung und weitere Assistenzsysteme. Umso frustrierender, dass öffentliche Bauvorhaben nach wie vor im Dickicht der Bürokratie stecken bleiben, durch Einsprüche juristisch blockiert werden und sich aufgrund von Umweltprüfungen in die Länge ziehen. So baut man heute weder Visionen noch schafft man Fortschritte bei Mobilität oder Energieversorgung. Verwaltungsvorschriften und Berichtspflichten geben den Takt vor – zum Leidwesen der Bauunternehmer. Problem erkannt, Problem gebannt? Mitnichten.
Wer die Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach zur Reformbereitschaft Deutschlands heranzieht, wird ernüchtert sein vom doppeldeutigen Ergebnis. Zwar weiß die Bevölkerung, dass sich was ändern muss. Doch fürchtet sich die Mehrheit der Befragten vor den unbequemen Nebeneffekten und will daher alles beim Alten belassen – mit fatalen Folgen für unseren Wohlstand.
Hoffnung macht die soeben angekündigte Modernisierungsagenda. Mit mehr als 80 Einzelmaßnahmen soll Deutschland zukunftsfähig und funktionstüchtig gemacht werden. Noch ist es ein Papier und wir wissen, Papier ist geduldig. Aber es könnte den Knoten zum Platzen bringen, sofern es damit nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt. Der Plan zur Modernisierung klingt jedenfalls vielversprechend.

Als Bundespräsident Roman Herzog einst forderte, es müsse ein Ruck durchs Land gehen, war das ein Weckruf, gerichtet an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Reformen nicht länger aufzuschieben. Auch wenn das nicht jedem schmeckt, aber genauso einen harten Ruck brauchen wir wieder, sonst werden keine Veränderungen angestoßen, die Konjunktur kommt nicht in die Gänge und das Ausmaß der Probleme mit unserem Gesundheits-, Sozial- und Rentensystem wird noch größer.
Wer abnimmt, kennt das Problem: Kilos purzeln nur, wenn der Körper mehr Energie verbraucht und ihm weniger Kalorien zugeführt werden. So ist es auch beim Bauen: Wenn wir hier schneller werden wollen, müssen wir abspecken – konkret den Katalog an Verordnungen und Auflagen entschlacken. Wir müssen uns mit den Standards und überregulierten Details auseinandersetzen, die nicht nur zu viel Zeit kosten, sondern Baukosten unnötig in die Höhe treiben. Was brauchen wir davon wirklich, was ist völlig überzogen? Wir müssen weg vom Prinzip „viel hilft viel“ und uns trauen, uns nicht doppelt oder dreifach abzusichern.
Aber das ist nicht der einzige Hebel, den wir umlegen müssen: Helfen könnte, bundesweit mehr Standards anzugleichen, beispielsweise bei Abstandsflächen oder Vorgaben für Stellplätze. Warum muss der Ersatzneubau einer Brücke komplett von vorn geplant werden und ein vollständiges Planfeststellungsverfahren durchlaufen – warum kann man nicht einfach das Modell von früher übernehmen und anpassen? Kurze Fristen zu setzen, würde Bauvorhaben beschleunigen. Wird innerhalb dieser Frist kein Veto eingelegt, gilt der Antrag als genehmigt. Natürlich sind Umweltprüfungen und Beteiligungsverfahren demokratisch legitim, nur dürfen sie nicht zum Dauerbremsklotz werden.
Das Vergabebeschleunigungsgesetz bietet der Baubranche einen tragfähigen Rahmen, aber wie immer steht und fällt es mit der praktischen Umsetzung durch die Kommunen. Nutzen sie ihren erweiterten planerischen Spielraum oder verharren sie im Status quo? Wer schneller bauen will, muss auch zügig entscheiden. Im Schnitt beanspruchen Schienenprojekte 20 Jahre von der Planung bis zur Inbetriebnahme, bei Bundesfernstraßen gehen durchschnittlich elf Jahre ins Land. An der Bauwirtschaft liegt es nicht, den Bauturbo zu zünden, doch das geht nur, wenn die Verwaltung von der Bremse runtergeht. Das erfordert ein Umdenken und ein anderes Mindset, mit Mut und Experimentierfreude Pilotprojekte anzupacken. Wer an Routinen festhält, wird keinen Wandel bewerkstelligen.
Ein anderes Hindernis ist der Fachkräftemangel, wenn Fahrer fehlen, die einen Bagger bedienen können. Um den Investitionsbooster wirklich zu zünden, braucht es auch eine Ausbildungsoffensive, gezielte Zuwanderung und bessere Arbeitsbedingungen. Wer schneller bauen will, muss nicht nur zügig entscheiden, sondern auch dafür sorgen, dass genügend Hände und Köpfe mit anpacken können. Sonst bleibt der Ruck aus.
Oktober 2025

