Vier-Tage-Arbeitswoche auf Baustellen: Argumente pro und contra

Pünktlich zum Tag der Arbeit war unter anderem die IG Metall mit einem markanten Thema aufgeschlagen: Gewerkschaften fordern die generelle Einführung der Vier-Tage-Arbeitswoche in Deutschland bei vollem Lohnausgleich. Positive Zwischenergebnisse von Pilotprojekten in Großbritannien haben Schlagzeilen gemacht: Beschäftigte sind mit der verkürzten Arbeitszeit produktiver, weniger gestresst und seltener krank, so das Argument. Das andere lautet: Baupreise würden weiter steigen. Und daher sei eine Vier-Tage-Woche für Baustellen völlig unrealistisch.

Viele Arbeitnehmer halten eine Verkürzung ihrer Arbeitswoche unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll. Das zeigt eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Das Ergebnis: Rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit, um mehr Zeit für sich selbst und für ihre Familie zu haben. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen. Acht Prozent der Erwerbstätigen würden ihre Arbeitszeit auch reduzieren, wenn dadurch das Entgelt geringer ausfiele. 17 Prozent der Befragten lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, zwei Prozent haben ihre Vollzeittätigkeit bereits auf vier Tage verteilt. Wer eine Vier-Tage-Woche grundsätzlich ablehnt, hat sehr oft das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde oder die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen wäre. Etwa 86 Prozent wollen ihre Arbeitszeit nicht verkürzen, weil sie Spaß an der Arbeit haben. Knapp 38 Prozent lehnen eine Vier-Tage-Woche ab, weil sie häufig für Kollegen einspringen müssten, rund 34 Prozent haben das Gefühl, bei verkürzten Arbeitszeiten beruflich nicht voranzukommen.

Dass die große Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Lohn wünscht, ist nach Einschätzung von Dr. Yvonne Lott und Dr. Eike Windscheid von der Hans-Böckler-Stiftung keine grundsätzliche Hürde für eine Arbeitszeitverkürzung. Bisherige Forschung weist darauf hin, dass Arbeitnehmer bei einer Vier-Tage-Woche produktiver arbeiten, wodurch ein Lohnausgleich kompensiert werden könne, betonen Dr. Yvonne Lott und Dr. Eike Windscheid. „Insofern handelt es sich bei der Vier-Tage-Woche um ein Arbeitszeitarrangement“, so die beiden Forscher, „das nicht nur betriebliche Gewinne verspricht, sondern auch individuell breit favorisiert wird. Eine Verbesserung der subjektiven Zeitautonomie stellt dabei zugleich als wichtiger Aspekt von Arbeitgeberattraktivität einen Mehrwert bei der Gewinnung von Fachkräften dar.“

Kritisch sieht die Baubranche die Forderungen nach einer Vier-Tage-Woche. Für die Bauwirtschaft hält die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB) dieses Arbeitszeitmodell für „unrealistisch“. Baustellen hätten eigene Abläufe, die nicht kompatibel seien mit Büro- oder Industriejobs. „Letztlich würde das dazu führen, dass die Baukosten noch weiter steigen, dadurch noch weniger gebaut würde und sich beispielsweise die Wohnungsnot noch mehr vergrößern würde“, warnt BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka.

Eine Pilotstudie aus Großbritannien wird im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Vier-Tage-Arbeitswoche immer wieder zitiert. Dort hatten Ende vergangenen Jahres mehr als 70 Firmen für ein halbes Jahr dieses Arbeitszeitmodell getestet. Sie zahlten 100 Prozent des Lohns für 80 Prozent der Arbeitszeit mit der Vorgabe an die Arbeitnehmer, dass trotzdem am Ende der Woche 100 Prozent der Arbeit erledigt sein musste. 2/3 der Firmen meldeten, dass es dadurch einfacher wurde, Fachkräfte zu halten. 78 Prozent der Arbeitnehmer waren weniger gestresst. Der Umsatz der beteiligten Firmen stieg in diesem Zeitraum im Schnitt um 35 Prozent. Ein Erfolgsmodell auch für die Bauwirtschaft? „Das sehen wir so nicht“, analysiert BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka.

„Wir haben immer weniger Fachkräfte und dafür immer mehr Bürokratie in Deutschland – wie soll da eine generelle Vier-Tage-Woche funktionieren?“ Vor allem die Bauwirtschaft würde ein solches Arbeitszeitmodell laut Michael Gilka vor erhebliche Probleme stellen. „Die Arbeitsabläufe auf einer Baustelle sind nicht mit einer Stechuhrtätigkeit kompatibel“, erklärt Michael Gilka. Bereits bei Betonagen, erst recht aber beispielsweise bei Bahnbaustellen seien die komplexen Bauaufgaben nicht mit solchen Einschränkungen zu bewerkstelligen.

„Die Firmen müssten in diesem Fall dann die komplette Baustellenmannschaft mittendrin austauschen, damit keiner über vier Arbeitstage pro Woche kommt, das ist völlig unrealistisch – organisatorisch ebenso wie finanziell“, so Michael Gilka weiter. „Im Ergebnis würde die Zahl der Arbeitstage auf vier pro Woche sinken, aber dafür würden deutlich mehr Überstunden anfallen“, hält er die Idee auch nicht für arbeitnehmerfreundlich.

Mai/Juni 2023

Foto: Gerd AltmannPixabay